URI: 
       # taz.de -- Diskussion um Hamburger Bismarck-Denkmal: V-Effekt gesucht
       
       > Hamburg setzt das größte Bismarck-Denkmal instand – und laut wird die
       > Forderung, es abzureißen. Die Stadt wirbt für einen differenzierten
       > Umgang.
       
   IMG Bild: Temporäre Irritation: 2015 platzierten Wiener Künstler einen Steinbock auf dem Hamburger Bismarck
       
       Hamburg taz | Wer den Glauben illustrieren will, Geschichte werde durchweg
       gemacht von einzelnen, besonders großen Männern: Am Rand des Hamburger
       Hafens findet sich ein eigentlich nicht zu übersehendes Beweisstück. 34
       Meter hoch – mit Sockel – ist das nicht nur weit und breit, nein, gleich
       weltgrößte Denkmal für den Politiker [1][Otto von Bismarck] (1815–1898).
       Geleistet haben es sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts die ach so
       bürgerlich gesinnten Hamburger*innen (oder waren es hier doch vor allem:
       Hamburger?).
       
       Spätestens mit der auch hierzulande an Fahrt aufnehmenden [2][„Black Lives
       Matter“]-Bewegung ist [3][all die Ehre für den Fürsten] Gegenstand von
       Diskussionen: Darf Hamburg einen (hohen einstelligen) Millionenbetrag
       ausgeben für die nötige Sanierung des Steinernen? Gehört der nicht vielmehr
       abgebaut und eingemottet?
       
       ## „Erinnern auch an dunkle Kapitel“
       
       Nein, findet zum Beispiel [4][Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda]: „Wir
       müssen aufpassen, dass wir uns als Gesellschaft keine geschichtslose
       Oberfläche bauen“, sagt der Sozialdemokrat der taz. „Sondern dass wir uns
       die Widerhaken erhalten, die uns an die dunklen Kapitel in unserer
       Geschichte erinnern. Wir brauchen auch die Relikte solcher Zeiten, um uns
       dazu aus dem Jetzt heraus zu verhalten.“
       
       Das habe seine Grenzen bei Hakenkreuzen oder Hitlerbüsten, aber, so Brosda:
       „An dem Denkmal lässt sich eine Menge erzählen: Das ist einmal die
       Ambivalenz der historischen Figur. Das ist aber auch die Haltung der
       Hamburger Kaufleute, die nach seinem Tod diesen Bismarck errichtet haben,
       durchaus auch aus Dank für [5][das Schaffen der Kolonialgebiete des
       Deutschen Reichs], mit denen sich für einige dieser Kaufleute ja durchaus
       ökonomische Vorteile verbunden haben.“
       
       Ehrung erfuhr der „Reichseiniger“ im späten 19. Jahrhundert [6][Land auf,
       Land ab] (und sogar in Übersee). Mal gab man Statuen in Auftrag, mal ließ
       man Türme bauen, auch Bäume wurden gepflanzt. Reichte irgendwo der wenig
       subtile Symbolwert einer „Bismarck-Eiche“ – vom schnöden Zeitgeist so wenig
       zu beeindrucken wie durch das Wetzen der sprichwörtlichen Wildsau – noch
       nicht, griff man zu Findlingssteinen, die noch mehr für urwüchsiges
       Beharrungsvermögen stehen dürften.
       
       ## Nur ein Denkmal von mehreren
       
       In Hamburg finden sich bis heute Beispiele für beinahe all diese
       Vorgehensweisen, das markante große Denkmal ist nur eines von mehreren. So
       steht, grob gesagt, am anderen, westlichen Ende der Reeperbahn, im
       seinerzeit preußischen Altona, ein sehr viel bescheideneres: [7][Nur etwa
       lebensgroß] wurde Bismarck dort 1898 dargestellt, im Stil auch all der
       reitenden zeitgenössischen Kaiser-Wilhelm-Figuren. Im ebenfalls erst seit
       1937 zu Hamburg gehörenden Bergedorf dagegen entschied man sich 1906 für
       einen [8][Granitstein mit Bronzemedaillon und Inschrift], ruhend auf drei
       Säulen.
       
       1906 ist auch das große Hamburger Denkmal eingeweiht worden, errichtet aus
       100 Blöcken Schwarzwälder Granits nach Plänen des Architekten Emil Schaudt
       und des Bildhauers Hugo Lederer.
       
       War es jemals ein Wahrzeichen für die Stadt? Oder gefiel sich die
       Hanseatenschar doch immer viel zu gut in ihrer angeblichen Distanz zu jenem
       Reich, das Otto da schmiedete? Hartnäckig jedenfalls hält sich die Fabel,
       es sei subversiver Humor im Spiel gewesen, als man den alten grauen Mann
       nun so herum aufstellte, wie er steht: den Blick nach Westen gerichtet –
       und den [9][Hintern in Richtung Stadt].
       
       Diskussionen gab es von Anfang an: Mit [10][Aby Warburg] und [11][Alfred
       Lichtwark] stritten damals allergrößte Namen der Kunstvermittlung darüber,
       ob dieser abstrahierte, monumentale Bismarck nun gelungener Modernismus sei
       oder gerade dessen Gegenteil. Andere zankten sich darum, ob Bismarck mit
       seiner Pose des mittelalterlichen Ritters Roland nicht bestens passe zu
       einer stolzen Stadt wie Hamburg – oder ob damit ausgerechnet der Bezwinger
       des Erbfeinds als „französischer Vasall“ dargestellt sei.
       
       Der Hamburger Kunsthistoriker Jörg Schilling hat sich 2006, um das
       100-jährige Jubiläum der Statue herum, gründlich mit dem Denkmal
       beschäftigt. Seine auch als Buch erschienene Dissertation [12][“Distanz
       halten“ (Wallstein Verlag)] zeichnet nach, wie Bismarck insgesamt, und also
       auch all die ihm gewidmeten Orte und Objekte, nach dem Ersten Weltkrieg zu
       Projektionsflächen wurden für nationalistische und völkische Kräfte.
       
       Nicht erst die Nationalsozialisten behaupteten später eine angebliche
       Traditionslinie, indem sie Hitler zum Verwirklicher Bismarck’scher Ideen
       erklärten. Ist der Hinweis nötig, dass heute so mancher AfD-Promi
       Bismarck-Devotionalien auf dem Schreibtisch oder an der Wand hat?
       
       ## Bismarcks letzte Verbündete
       
       Hamburgs Ableger jener Rechtsaußenpartei suchte sich jüngst zu Bismarcks
       letztem Verbündeten zu stilisieren: Da war das kleine Altonaer Standbild
       von unbekannten Kritiker*innen mit roter Farbe versehen worden; auch einen
       Sack bekam er schon über die Pickelhaube gestülpt und einen Strick um den
       Hals geknüpft. Die AfD nun drehte prompt ein Video, in dem, von sanften
       Gitarrenklängen begleitet, einer der Ihren diverse Angriffe beklagt: auf
       „den Kanzler der Einheit“ (!) und überhaupt: unser aller Identität.
       
       Anfällig für derlei Pathos zeigte sich aber auch die örtliche CDU. [13][Die
       fand es unerträglich], dass die Altonaer Grünen Bismarcks Ehre nicht
       unverzüglich mit dem Schrubber wiederherstellen lassen wollten. Gereinigt
       wurde dann doch – und prompt fiel der kleine Bismarck der nächsten Attacke
       zum Opfer: „Fuck you!“ steht seit einigen Tagen darauf gesprüht.
       
       ## Symposium später im Jahr
       
       Eine ums Entscheidende andere Vorgehensweise schwebt Hamburgs Kultursenator
       für den großen Bismarck vor: „Ich habe immer gesagt, [14][wir sollten die
       Zeit nutzen], in der der Bismarck saniert wird, um einen Umgang mit dem
       Denkmal zu entwickeln.“ Ende des Jahres soll ein Symposium stattfinden, um
       „in die inhaltliche Arbeit zu gehen“, so Brosda: „Welches sind die
       Dimensionen, die berücksichtigt werden können und müssen? Wir haben die
       Diskussion stark über den Kolonialismus begonnen, aber der ist ja nicht das
       einzige Thema.“
       
       Folgen soll dann ein künstlerischer Wettbewerb und eine Jury, nicht die
       Stadt, wird am Ende entscheiden.
       
       Mehr zum Bismarck-Gedenken (nicht nur) in Hamburg lesen Sie in der taz nord
       am Wochenende – oder [15][hier].
       
       4 Sep 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Bismarck-und-die-Rechten/!5644694
   DIR [2] /!t5320244/
   DIR [3] /Hamburg-ehrt-bis-heute-Kolonialisten/!5691779
   DIR [4] /Gemein-zur-AfD-oder-gut-zur-Verfassung/!5577807
   DIR [5] https://www.bpb.de/apuz/202989/bismarck-und-der-kolonialismus
   DIR [6] https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Bismarckdenkmale_in_Deutschland
   DIR [7] https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:14907_K%C3%B6nigstrasse_Bismarck-Denkmal.JPG
   DIR [8] https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Bismarck-Denkmal_im_Schlo%C3%9Fgarten_Vinhagenweg_(1).jpg
   DIR [9] https://www.abendblatt.de/hamburg/article107760764/Warum-wendet-sich-Otto-von-Bismarck-ab.html
   DIR [10] /Kulturwissenschaftler-Aby-Warburg/!5342558
   DIR [11] /Archiv-Suche/!1077508/
   DIR [12] https://www.wallstein-verlag.de/9783835300064-distanz-halten.html
   DIR [13] https://www.abendblatt.de/hamburg/article230248976/Bismarck-Denkmal-beschmiert-CDU-empoert-ueber-Stefanie-von-Berg-altona.html
   DIR [14] https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Brosda-Bismarck-Denkmal-braucht-kritische-Betrachtung-,bismarckdenkmal212.html
   DIR [15] /Unser-eKiosk/!114771/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alexander Diehl
       
       ## TAGS
       
   DIR Deutsche Geschichte
   DIR Denkmäler
   DIR Kolonialismus
   DIR Hamburg
   DIR Geschichtspolitik
   DIR Black Lives Matter
   DIR Bismarck
   DIR Bismarck
   DIR Denkmal
   DIR taz.gazete
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Schwerpunkt Rassismus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Zukunft des Hamburger Bismarck-Denkmals: Zankapfel aus Granit
       
       In dieser Woche beginnen die Workshops zur Kommentierung des umstrittenen
       34-Meter-Standbilds. Und die sind selbstverständlich auch umstritten.
       
   DIR Kultursenator über Bismarck-Denkmal: „Wir wollen nicht nur sanieren“
       
       Wie sollte Hamburg mit dem Bismarck-Denkmal im Alten Elbpark umgehen?
       Kultursenator Carsten Brosda setzt auf eine Neukontextualisierung.
       
   DIR Corona-Essay von Hamburgs Kultursenator: Schock und Zusammenhalt
       
       Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda hat nachgedacht über „notwendige
       Debatten nach Corona“ – und ein Buch geschrieben.
       
   DIR Umgang mit Denkmälern: Der Kindheits-Reflex
       
       Viele Menschen wollen, dass die Denkmäler ihrer Kindheit durch nichts
       befleckt werden. Dabei ist es immer richtig, Dinge in Frage zu stellen.
       
   DIR Hamburg ehrt bis heute Kolonialisten: Rassismus durchzieht die Stadt
       
       Weltweit stürzt „Black Lives Matter“ überkommene Statuen. In Hamburg, das
       vom Kolonialismus profitierte, stehen die steinernen Symbole noch.
       
   DIR Debatte um Denkmalstürze: Wenn Steine beleidigen
       
       Allein die Tatsache, dass Denkmäler ein gestriges Geschichtsbild
       vermitteln, kann kein Grund für ihre Zerstörung sein. Manchmal ist es aber
       richtig.