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       # taz.de -- Diskussion um Stickoxid-Grenzwerte: Zweifel an Expertise von Initiator-Arzt
       
       > Nach Kritik von Lungenärzten sieht die EU keinen Anlass für neue
       > Stickoxid-Grenzwerte. Die Qualifikation des Initiators des Vorstoßes ist
       > fraglich.
       
   IMG Bild: Die nun protestierenden Lungenärzte sind nur eine kleine Minderheit unter den Angefragten
       
       BERLIN taz | Nachdem am Dienstag [1][gut 100 LungenärztInnen die geltenden
       Grenzwerte für Stickoxid infrage gestellt haben], hat die Europäische
       Kommission die Vorgaben verteidigt. „Die geltenden EU-Grenzwerte, die von
       allen Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament verabschiedet wurde,
       basieren auf soliden wissenschaftlichen Erkenntnissen der
       Weltgesundheitsorganisation, der weltweit führenden Autorität in
       Gesundheitsfragen“, erklärte EU-Umweltkommissar Karmenu Vella.
       
       Eine zusätzliche Überprüfung [2][der Grenzwerte], die auch von
       CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer und FDP-Chef Christian Lindner ins
       Gespräch gebracht worden war, hält Vella nicht für erforderlich. „Die
       Erkenntnisse werden von unzähligen wissenschaftlichen Studien gestützt, die
       – wenn ich dies betonen darf – einer wissenschaftlichen Überprüfung
       unterzogen wurden“, sagte er. Zuletzt hat die WHO im Jahr 2013 eine
       umfassende Review veröffentlicht. Darin heißt es, neue Studien hätten
       bestätigt, dass unterhalb der Grenzwerte negative Effekte auftreten. Zudem
       überprüfe die EU selbst die Grenzwerte regelmäßig auf Relevanz und
       Wirksamkeit, teilte eine Sprecherin mit. Die aktuelle Prüfung soll Ende
       2019 abgeschlossen sein.
       
       Die gut 100 Lungen-MedizinerInnen sowie einige weitere WissenschaftlerInnen
       und TherapeutInnen hatten in ihrer Stellungnahme erklärt, sie würden
       „derzeit keine wissenschaftliche Begründung für die aktuellen Grenzwerte
       für Feinstaub und NOx“ sehen, und eine „Neubewertung der wissenschaftlichen
       Studien durch unabhängige Forscher“ gefordert.
       
       ## Nur rund 100 von rund 3.800 Ärzten
       
       Sie vertreten damit aber nur eine kleine Minderheit unter den
       LungenärztInnen. Als UnterstützerInnen angefragt hatte der Initiator der
       Stellungnahme, der pensionierte Pneumologe Dieter Köhler, rund 3.800
       Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin
       (DGP), teilte die Geschäftsstelle der taz mit. Die DGP selbst vertritt eine
       gegenteilige Position wie ihr ehemaliger Vorsitzender Köhler: In einem
       ausführlichen Positionspapier vom November hat die DGP die bestehenden
       Grenzwerte ausdrücklich verteidigt. „Gesundheitliche Effekte von
       Luftschadstoffen sind sowohl in der Allgemeinbevölkerung als auch bei
       Patienten mit verschiedenen Grunderkrankungen gut belegt“, heißt es darin.
       
       Die Umweltmedizinerin Barbara Hoffmann, Mitautorin des DGP-Papiers,
       kritisierte Köhlers Argumentation. Dieser hatte erklärt, er habe noch nie
       einen Menschen gesehen, der an NOx gestorben sei. NOx erhöhe das Risiko für
       viele Krankheiten, sagte Hoffmann im Deutschlandfunk: „Menschen sterben
       nicht an Risikofaktoren, Menschen sterben an Erkrankungen.“ Auch der
       Vergleich mit der höheren Dosis beim Rauchen von Zigaretten sei unsinnig.
       
       Auch scheint Köhlers Qualifikation für die Auswirkungen von Stickoxid
       fraglich. Er selbst bezeichnet sich im Anschreiben an die LungenärztInnen
       zwar als einen der „wenigen Experten in diesem Bereich“. In der Datenbank
       Medline, die alle wissenschaftlichen Veröffentlichungen erfasst, findet
       sich von ihm aber keine einzige Publikation zum Thema Stickoxid. Er selbst
       schickte der taz auf Anfrage nach seinen Veröffentlichungen zum Thema einen
       einzigen Text aus dem Deutschen Ärzteblatt, der nicht der
       wissenschaftlichen Beurteilung durch Kollegen, der sogenannten Peer Review,
       unterliegt. Überprüfte wissenschaftliche Veröffentlichungen zum Thema
       Stickoxid habe er nicht, erklärte Köhler.
       
       24 Jan 2019
       
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