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       # taz.de -- „Django Unchained“ von Tarantino: Es war einmal in Amerika
       
       > Kann ein Spaghetti-Western von Sklaverei erzählen? Quentin Tarantino wagt
       > das Experiment in „Django Unchained“ mit jeder Menge Kunstblut.
       
   IMG Bild: Jamie Foxx als Django in einer Szene mit Franco Nero
       
       Blut ist rot. Das Faserknäuel an einem Baumwollstrauch ist weiß. Spritzt
       das erste auf das zweite, ergibt das einen starken Farbkontrast. Sieht das
       Blut wie ein Import aus den Spaghetti-Western der 60er und 70er Jahre aus,
       wird der Kontrast noch kräftiger. Denn das Kunstblut leuchtete damals
       heller und war zähflüssiger als heute, es glich eher Tomatensugo als echtem
       Blut.
       
       In Quentin Tarantinos neuem Film „Django Unchained“ fließt viel von diesem
       Kunstblut. Dass es Baumwolle besprenkelt, ist alles andere als Zufall, denn
       Tarantino bezieht sich zwar auf den Spaghetti-Western, versetzt das Genre
       aber an einen Ort, an dem es nicht zu Hause ist, in den tiefen Süden
       Amerikas mit seinen Baumwollplantagen, seinen Silberweiden und
       Herrenhäusern. Das passt, weil der Spaghetti-Western seinerseits ein Genre
       auf Wanderschaft war.
       
       Er gründete auf einer europäischen Vorstellung vom amerikanischen Westen,
       den Regisseure wie Sergio Leone und Sergio Corbucci in den felsigen
       Ödländern Südspaniens reinszenierten. Bei diesem transatlantischen Transfer
       bekam der Frontier-Mythos Dellen und Beulen.
       
       Während es im klassischen US-amerikanischen Western darum ging, die
       Zivilisation in die Wildnis zu tragen, machte sich in den südeuropäischen
       Produktionen ein kruder Nihilismus breit. Am Ende von Sergio Corbuccis
       „Django“ (1966), auf den sich „Django Unchained“ immer wieder beruft, ist
       keiner übrig, der mit den Segnungen der Zivilisation etwas anzufangen
       wüsste.
       
       ## Lücke im kollektiven Gedächtnis
       
       Tarantino reimportiert also ein exportiertes Genre, um sich einem Sujet zu
       nähern, von dem im Kino bisher erstaunlich wenig zu sehen war, der
       Sklaverei. Steven Spielberg hat 1997 „Amistad“ gedreht, Jonathan Demme ein
       Jahr später „Beloved“ nach dem Roman von Toni Morrison; es gibt die
       Fernsehserie „Roots“ und einige Exploitation-Filme wie Richard Fleischers
       „Mandingo“ (1975).
       
       Und auch wenn einige Filme mit entsprechendem Sujet in Arbeit sind, ist im
       Augenblick nicht viel mehr zu finden. Glaubt man Tarantino, dann sieht es
       jenseits der Kinoleinwand nicht besser aus. Bei einer Pressekonferenz in
       Berlin sagte er vor wenigen Tagen, er habe in der Schule mehr über den
       Goldrausch gelernt als über die Sklaverei.
       
       Es gibt also eine Lücke in der Repräsentation und im kollektiven
       Gedächtnis, und darin macht sich „Django Unchained“ mit der
       Unverfrorenheit, die man von Tarantinos Arbeiten kennt, breit. Im
       Mittelpunkt steht Django (Jamie Foxx), ein Sklave, der in der
       Auftaktsequenz von dem deutschen Kopfgeldjäger King Shultz (Christoph
       Waltz) freigeschossen und freigekauft wird. Die beiden finden Gefallen
       aneinander, sie reiten durch Texas und Tennessee, erschießen hier und da
       einen Weißen, auf den ein Kopfgeld ausgesetzt ist.
       
       Sie machen sich auf den Weg nach Mississippi, wo sie auf der Plantage von
       Calvin Candie (Leonardo DiCaprio) Djangos Ehefrau Broomhilda Von Shaft
       (Kerry Washington) zu befreien versuchen.
       
       ## Kapuze verrutscht
       
       Das Jahr der Handlung ist 1858; neben den Anspielungen auf
       Spaghetti-Western gibt es auch solche auf das Nibelungenlied, wobei
       Broomhilda eine zahme Variante der Brunhilde vorstellt, Django dagegen
       einen umso kühneren Siegfried. En passant bekommt auch der rassistische
       Filmklassiker „Birth of a Nation“ (1915) eine Ohrfeige verpasst. D. W.
       Griffith schickte seinerzeit die Klansmen einer von Schwarzen bedrängten
       weißen Familie zur Rettung; bei Tarantino sind die Klansmen eine
       Lachnummer, da ihnen die Kapuzen verrutschen, kaum machen ihre Pferde den
       ersten Schritt.
       
       „Django Unchained“ hat in den USA einige Unruhe ausgelöst, und das nicht
       nur, weil das Wort „Nigger“ darin so oft fällt. Ohne den Film gesehen zu
       haben, äußerte sich Spike Lee: „Die Sklaverei war kein
       Sergio-Leone-Spaghetti-Western.“ Und weiter: „Sie war ein Holocaust. Meine
       Vorfahren sind Sklaven. Gestohlen aus Afrika. Ich werde sie ehren.“
       
       Die Abwehr ist nachvollziehbar und reflexhaft zugleich; sie erinnert ein
       wenig an die Reaktionen, die Tarantinos vorangegangener Film „Inglourious
       Basterds“ hervorgerufen hat. Neben all denen, die für diese kontrafaktische
       Rachefantasie schwärmten, gab es auch solche, die sich verstimmt abwandten.
       Der US-amerikanische Filmkritiker Jonathan Rosenbaum etwa schrieb in seinem
       Blog knapp und empört über einen „Film, der in moralischer Hinsicht mit der
       Leugnung des Holocaust verwandt scheint“.
       
       ## Der Vorteil des B-Movies
       
       Tatsächlich muss man sich damit auseinandersetzen, inwiefern es angemessen
       ist, ein Verbrechen gegen die Menschheit mit den Attraktionen des B-Movies
       zu verbinden. Verstößt das nicht gegen alle Gebote des Anstands und der
       historischen Genauigkeit? Oder lässt sich damit etwas gewinnen, was in
       einem anderen Repräsentationsmodus unterginge? B-Movies sind gegenüber
       A-Movies im Vorteil, wenn es gilt, gesellschaftliche Gewaltverhältnisse
       abzubilden.
       
       Exploitation kennt weder Scheu noch guten Geschmack, deshalb bringt sie zum
       Ausdruck, was in aufwändigeren Produktionen verschämt ausgelassen wird.
       Doch dies geschieht um den Preis einer moralischen Verwirrung. Die Gewalt
       der Unterdrücker an den Unterdrückten ist genauso genießbar wie umgekehrt
       die Befreiungsschläge. Exploitation-Filme stehen unentwegt auf der Kippe,
       sie lassen sadistische Regungen ebenso zu wie Begeisterung, wenn die
       Entrechteten endlich zurückschlagen.
       
       Am Anfang von Sergio Corbuccis „Django“ zum Beispiel sieht man, wie der
       weiblichen Hauptfigur das Kleid vom Körper gezerrt wird, bevor sie, an ein
       Holzgerüst gefesselt, ausgepeitscht wird. Die Szene mag Empathie für die
       Figur hervorrufen, doch genauso gut bietet sie sich auch dem lüsternen
       Genießen an.
       
       Und wer sich „Mandingo“ von Richard Fleischer anschaut, einen Film, dem
       Quentin Tarantino bis hin zur Platzierung von Bisswunden an der Schulter
       einer Nebenfigur die Treue hält, ahnt, dass es hier bei weitem nicht nur
       darum geht, die Verkommenheit der Plantagenbesitzer zur Schau zu stellen.
       „Mandingo“ ist überaus zeigefreudig, wenn es um nackte schwarze Körper
       geht, um Männer wie Frauen, die bald kopfüber aufgehängt und geschlagen
       werden, bald zur Erfüllung der sexuellen Bedürfnisse der Plantagenbesitzer
       gedungen werden.
       
       Ein solcher Film ist eine ambivalente Sache: Zum einen muss man wohl lange
       suchen, um etwas zu finden, was die biopolitischen Implikationen der
       Sklaverei so ungeniert zum Vorschein bringt. Fleischer verhandelt etwas,
       worüber andernorts züchtig geschwiegen wird, und er verhindert so, dass man
       die Gräuel – in diesem Fall: die Gräuel der Menschenzucht – vergisst oder
       so tun kann, als seien sie nie geschehen. Zugleich liegt in der Art und
       Weise, wie die Weißen über die Körper der Schwarzen verfügen, so viel
       Softcore-Potenzial, dass einem angesichts dieser Schmierigkeit ganz anders
       wird.
       
       ## Die Lust an Exploitation
       
       Tarantinos Relektüren von Genrefilmen und B-Movies haben es bisher fast
       immer geschafft, solche Ambivalenzen kenntlich zu machen. Sie etablieren
       eine selbstreflexive Ebene und werfen damit den genießenden Blick
       augenblicksweise auf sich selbst zurück. Dadurch stellen sich eine Menge
       Fragen: An welche Bilder kann man unter welchen Umständen Spaß haben?
       Welche Darstellungen von Gewalt ergeben Sinn in welchem Kontext? Wo liegen
       die Widersprüchlichkeiten einer Rachefantasie?
       
       Diese Selbstreflexivität ist der Grund, weshalb Tarantinos Filme weit mehr
       sind als postmoderne Spielereien oder Zitatwucherungen und weshalb man
       ihnen mit der These, der Regisseur sei ein in der Videothek sozialisierter
       Nerd, der sich für nichts als Filmgeschichte interessiere, nicht beikommt.
       
       Doch in „Django Unchained“ ist die selbstreflexive Ebene verkümmert und
       unscharf – so unscharf wie der Bildhintergrund, den der Kameramann Robert
       Richardson immer wieder mit der Fettlinse bearbeitet. Shultz und Django
       debattieren zwar manchmal darüber, wie es ist, eine Rolle einzunehmen, etwa
       wenn Django zur Tarnung seiner wirklichen Absichten so tun muss, als sei er
       ein schwarzer Sklavenhändler, etwas, was er zutiefst verabscheut. Damit
       aber hat sich die Selbstreflexion schon erschöpft.
       
       ## Spektakel der Grausamkeit
       
       Wenn Broomhilda ausgepeitscht wird oder ein Brandzeichen verpasst bekommt;
       wenn ein flüchtiger Sklave von Hunden zerrissen wird; wenn ein Aufseher
       damit droht, Django die Hoden abzuschneiden, dann fehlt den Bildern eben
       die Vielschichtigkeit, die nötig wäre, um das Spektakel der Grausamkeit
       nicht nur zu betrachten, sondern es auch reflektieren zu können.
       
       Etwa in der Mitte des Films gibt es eine lange Sequenz, in der zwei Sklaven
       dazu gezwungen werden, gegeneinander zu kämpfen, bis einer von ihnen tot
       ist. Dieser Schaukampf dient der Belustigung der Weißen, was noch einmal
       die Frage aufwirft, wer es unter welchen Bedingungen genießt, Gewalt zu
       sehen. Im Showdown dann greift Tarantino das Motiv des Kampfes zweier
       Schwarzer wieder auf. Diesmal allerdings nicht, um die Niederträchtigkeit
       der Sklaverei zu betonen, sondern, ganz naiv, um die Coolness des Helden zu
       untermalen.
       
       An diesem Spektakel kann sich nur der erfreuen, dem die Kapuze so
       verrutscht ist, dass er blind für die abgrundtiefen Widersprüchlichkeiten
       des Sujets geworden ist.
       
       „Django Unchained“. Regie: Quentin Tarantino. Mit Jamie Foxx, Kerry
       Washington u. a. USA 2012, 165 Min.
       
       16 Jan 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Cristina Nord
       
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