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       # taz.de -- Dobrindt als Bundesinnenminister: Anheizer. Analytiker. Alexander
       
       > Er ist einer der Köpfe der „Migrationswende“, mit der die Union Wahlkampf
       > machte. Als Bundesinnenminister soll Alexander Dobrindt sie umsetzen.
       
   IMG Bild: Übt für den breitschultrigen Auftritt: Alexander Dobrindt Anfang April auf dem Weg zu den schwarz-roten Koalitionsgesprächen
       
       Berlin/München taz | Vor gut einem Jahr, es ist Mitte März, sitzt Alexander
       Dobrindt in der Bayerischen Landesvertretung in Berlin und erzählt
       begeistert von seiner jüngsten Reise. In der Ecke steht eine Büste von
       Franz Josef Strauß, darüber hängt ein Kreuz. Gereicht werden Weißwürste und
       Brezn. Es geht um Ruanda.
       
       Dobrindt war gerade dort und macht sich nun für einen Pakt mit dem kleinen
       ostafrikanischen Land stark. Geflüchtete, die nach Deutschland kommen, so
       sein Plan, sollen nach Ruanda gebracht werden, dort das Asylverfahren
       durchlaufen und nach der Anerkennung auch dort bleiben. Diese
       Drittstaatenlösung, sagt der CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, sei ein
       „notwendiger Baustein, um illegale Migration zu begrenzen“. Er habe ein
       UN-Flüchtlingslager in der Nähe von Kigali besucht, das zeige, dass dort
       Asylverfahren nach europäischen Standards möglich seien. Dass Gerichte
       gegen ein ähnliches Vorhaben Großbritanniens Einspruch erhoben hatten –
       geschenkt.
       
       Die Szene ist typisch für den Mann, [1][der jetzt Bundesinnenminister
       wird.] Der Oberbayer profilierte sich in den vergangenen Jahren besonders
       stark mit harten Forderungen in der Migrationspolitik. In [2][der
       „Bayern-Agenda“], dem ergänzenden Wahlprogramm der CSU zur Bundestagswahl,
       stellten er und seine Mitstreiter sogar das individuelle Recht auf Asyl
       infrage; und als die Union im Januar gemeinsam mit der AfD einen Antrag
       über Migrationsverschärfungen durch den Bundestag brachte und damit einen
       Tabubruch beging, war Dobrindt eine der treibenden Kräfte. Er gehört zwar
       nicht zu denen in der Union, die gern mal an der Brandmauer zur AfD
       kratzen, meint aber, wenn man die rechtsextreme Partei ein bisschen
       kopiere, kriege man sie schon klein.
       
       Alexander Dobrindt inszeniert sich überhaupt gern als harter, konservativer
       Knochen. Gleich bei seiner ersten Klausurtagung als Landesgruppenchef
       setzte er 2018 einen neuen Ton und sich selbst an die Spitze einer
       „konservativen Revolution“, womit er einen neurechten Kampfbegriff
       verwendete. Der Umsturzversuch verlief zwar schnell wieder im Sande. Doch
       die Schlagzeilen hatte Dobrindt da schon dominiert.
       
       Der Mann denkt in Schlagzeilen und versucht der Presse auch stets die dafür
       passenden Zitate zu liefern. Die [3][„Anti-Abschiebe-Industrie“ war mal so
       eine Dobrindt-Kreation], auch die „Klima-RAF“. Den damaligen
       Grünen-Politiker Volker Beck bezeichnete er ohne jegliche Grundlage als
       „Vorsitzenden der Pädophilen-AG“. Besonders aber haben es ihm
       Alliterationen angetan. Ob er über „Kante, Kurs und Kompromiss“
       philosophiert, „Mitte, Mehrheit, Merz“ proklamiert, über „Habecks
       Heizungshammer“ herzieht oder „Weiß-blau statt woke“ fordert – die
       Aussicht, am Ende als der Alberne-Alliterationen-Alex dazustehen, schreckt
       ihn offenbar wenig.
       
       Dobrindt heizt die Debatte gern mal mit Forderungen an, deren
       Aussichtslosigkeit ihm bewusst sein muss. So wollte er im Wahlkampf das
       Betreiben von Tauschbörsen unter Strafe stellen, die das Ziel verfolgten,
       die Bezahlkarten für Flüchtlinge zu umgehen. Zuvor war er schon mit der
       selbst in der Union nicht mehrheitsfähigen Idee vorgeprescht, Deutschland
       möge doch alle arbeitslosen Ukrainer [4][zurück in das Kriegsland
       schicken]. Ach ja, und das Porträt des „russischen Söldners“ Gerhard
       Schröder im Kanzleramt solle abgehängt werden. Hauptsache, die Schlagzeile
       stimmt.
       
       Die Ausflüge in rhetorisch seichte Gewässer könnten einen dabei aber
       schnell in die Irre führen. Denn Dobrindt ist ein intelligenter und
       scharfsichtiger Analytiker und Stratege, er hat – für den Lebenslauf eines
       CSU-Politikers eher ungewöhnlich – Soziologie studiert und vertieft sich
       gern in demoskopische Studien. Kaum eine populistische Forderung, die er im
       inneren Zirkel nicht auch mit Argumenten unterfüttern kann, warum sie bei
       der eigenen Klientel gut verfangen müsste.
       
       ## Einer, der Türen öffnet
       
       Noch überraschender allerdings ist, dass sich hinter dem Hardliner-Image
       ein Mann verbirgt, mit dem auch die politischen Gegner gern reden. Der als
       verbindlich, verlässlich und mit Verständnis für die roten Linien der
       anderen ausgestattet gilt.
       
       Das hat Dobrindt gerade erst unter Beweis gestellt. Als sich Union und SPD
       bei den Koalitionsverhandlungen über Steuerfragen so verhakten, dass
       plötzlich ein Scheitern möglich schien, war es Dobrindt, der den Knoten
       löste. In zahlreichen Gesprächen suchte er – und nicht Friedrich Merz – mit
       SPD-Chef Lars Klingbeil eine Lösung. Mit Erfolg, wie mehrere Zeitungen
       rekonstruiert haben.
       
       Auch zuvor, als es galt, die Grünen für die Grundgesetzänderung in Sachen
       Schuldenbremse zu gewinnen, hat Dobrindt eine entscheidende Rolle gespielt.
       Als die Zeit drängte, die Verhandlungen stockten und [5][die grünen
       Fraktionschefinnen von Merz’ Gesprächsstil genervt waren,] bat Dobrindt
       Katharina Dröge vor die Tür. Eine halbe Stunde sprachen sie zu zweit,
       danach gab es einen Kompromiss. Zu Details will Dröge sich nicht äußern, im
       Gespräch mit der taz gibt sie allerdings zu: „Die Art und Weise, wie
       Alexander Dobrindt verhandelt, hat dazu geführt, dass die Verhandlungen am
       Ende erfolgreich waren.“ Wobei sie Dobrindts Hetze gegen die Grünen
       natürlich nicht vergessen hat. Wenige Wochen zuvor hatte er diese noch als
       „Brandbeschleuniger für die AfD“ bezeichnet.
       
       Es sei nicht hilfreich, ständig mit dem Kopf vor die Wand zu rennen, bis
       alle blutig sind, so beschrieb Alexander Dobrindt seinen Blick auf die
       Verhandlungen [6][in einem Podcast bei Table.Media]. Besser sei es, eine
       Tür zu suchen. Und: „Ich bin auf der Seite derer, die eine Tür suchen.“
       
       Seine diplomatischen Fähigkeiten unterscheiden Dobrindt auch von den beiden
       starken Männern der Union, Friedrich Merz und Markus Söder, die für derlei
       nicht bekannt sind. So avancierte er in den vergangenen Jahren zum
       Vermittler auch zwischen den beiden, die Augsburger Allgemeine titulierte
       ihn gar schon als „Paartherapeuten“.
       
       Im Bundestag sitzt Alexander Dobrindt seit 2002. Durchgehend eroberte er in
       dieser Zeit den Wahlkreis Weilheim. Anders als der Münchner Franz Josef
       Strauß, der hier zuvor jahrzehntelang das Mandat geholt hatte, kommt
       Dobrindt auch tatsächlich aus der Gegend – genau genommen aus Peißenberg,
       einer Marktgemeinde auf halber Strecke zwischen München und der Zugspitze,
       auf deren Gipfel Dobrindt gern politische Weggefährten schleppt.
       
       Dobrindt galt einmal als Seehofers Mann. Horst Seehofer, der ihn seinerzeit
       zum Generalsekretär machte, soll ihn in Stellung gebracht haben, um Söder
       als seinen Nachfolger zu verhindern. Von 2013 bis 2017 war er dann
       Bundesverkehrsminister. Der erste Abstecher ins Kabinett fiel jedoch wenig
       erfolgreich aus. Dobrindt war der [7][Vater des Mautdesasters], das dann zu
       seinem Glück vor allem sein Nachfolger Andreas Scheuer auszubaden hatte.
       Auch im VW-Abgasskandal machte Dobrindt keine gute Figur. Seit 2017 steht
       er der CSU-Landesgruppe vor – ein Job, der ihm offensichtlich mehr liegt.
       
       ## Einer, dem Söder vertraut
       
       Sie seien „nicht automatisch schon geborene beste Freunde“ gewesen, sagte
       Söder mal. Inzwischen allerdings verbindet die beiden unverkennbar ein
       starkes Vertrauensverhältnis. Söder lässt seinem Statthalter in Berlin
       weitgehende Beinfreiheit, der wiederum kommt ihm in München nicht in die
       Quere. Ob die Konstellation auch noch funktioniert, wenn Söder künftig
       über den Koalitionsausschuss selbst mehr in der Hauptstadt mitmischen will,
       wird sich zeigen.
       
       Innenministerium und CSU – thematisch passt das, auch wenn Dobrindts
       CSU-Vorgänger nicht zu den strahlendsten Vertretern ihrer jeweiligen
       Kabinette gehörten. Von der Amtszeit von Hermann Höcherl (1961 bis 1965)
       blieb nach einer Abhöraffäre vor allem das Zitat „Die Beamten können nicht
       den ganzen Tag mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen“. In den
       Achtzigern bekleidete das Amt Friedrich „Old Schwurhand“ Zimmermann,
       bekannt als strikter Law-and-Order-Mann, Hans-Peter Friedrich (2011 bis
       2013) hinterließ noch weniger bis gar keinen Eindruck, und Seehofer
       schließlich hatte seinen Zenit schon überschritten, als er ins
       Bundesinnenministerium einzog. Er machte es zu einer Art Bunker, in dem er
       seine Niederlage gegen Söder zu verdauen versuchte.
       
       Der 54-jährige Dobrindt wird sich daher genau überlegt haben, ob er sich
       noch einmal in die Kabinettsdisziplin einbinden lassen will. Aber nachdem
       die „Migrationswende“, wie sie der künftigen Bundesregierung vorschwebt, zu
       einem gehörigen Teil seine Handschrift trägt, ist es folgerichtig, dass er
       sich nun auch um deren Umsetzung kümmert.
       
       Das Ruanda-Modell hat es zwar nicht in den Koalitionsvertrag geschafft,
       aber zahlreiche andere Verschärfungen, die die Union im Wahlkampf fest
       versprochen hat. Darunter die Zurückweisung an den Grenzen auch von
       Asylsuchenden, obwohl diese nach weit verbreiteter Auffassung gegen
       Europarecht verstößt und von angrenzenden EU-Ländern scharf kritisiert
       wird. Dobrindt könnte nun also das vollenden, was Seehofer nicht schaffte,
       weil die Kanzlerin es damals verhinderte.
       
       Seine Chancen jedenfalls stehen besser. Denn er und Merz wollen die
       Verschärfungen beide. Dobrindt kann nicht nur, er muss sie sogar umsetzen.
       Es liegt an ihm, zumindest dieses Wahlversprechen einzulösen, nachdem Merz
       schon so viele gerissen hat. Der künftige Kanzler ist auf ihn angewiesen.
       Mal wieder.
       
       3 May 2025
       
       ## LINKS
       
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