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       # taz.de -- Doku: Der Punkrock-Warlord
       
       > Joe Strummer erfand den Punkrebell und verkaufte einen Song an die
       > Jeans-Werbung. Julien Temple zeigt in "The Future Is Unwritten" die
       > Karriere des Clash-Sängers.
       
   IMG Bild: London Calling? Clash-Frontmann Strummer.
       
       Einige Jahre bevor die Stooges mit "Search and Destroy" den Soundtrack zum
       Nike-Lebensgefühl lieferten, hatten The Clash mit ihrem Pubrock-Gassenhauer
       "Should I stay or should I go" bereits die domestizierte Rebellenpose in
       die cleane Werbewelt eingeführt. Ihr 82er-Album "Combat Rock", auf dem der
       Song erstmals erschienen war, galt unter Fans seinerzeit als kommerzieller
       Sell-out der Band (der Flirt mit als kommerziell verschrienen schwarzen
       Musikstilen wie Rhythm n Blues, Funk und Disco stieß in den traurigen
       Überresten der traditionell weißen, britischen Punk-Szene auf wenig
       Verständnis). Da war es nur konsequent, dass Clash-Frontmann Joe Strummer,
       das soziale Gewissen der ersten Punk-Welle, zehn Jahre später das
       Undenkbare tat und seine Musik an einen Jeans-Hersteller verkaufte. "Should
       I stay or should I go" bescherte The Clash, sechs Jahre nach Auflösung der
       Band, ihren einzigen Nummer-1-Hit. Kurz darauf begann MTV, Nirvanas "Smells
       Like Teen Spirit" rauf und runter zu nudeln, und machte 1991 damit zu "the
       year punk broke".
       
       Die Genealogie von Punk ist dezentral und kompliziert, doch wo man auch
       nach seinen Ursprüngen sucht, der 2002 verstorbene Joe Strummer war eine
       der großen Identifikations- und Integrationsfiguren. The Clash haben Ende
       der Siebziger Punk einer Menge Menschen zugänglich gemacht. Den Dreads und
       Rudeboys, als sie Junior Murvins "Police and Thieves" coverten. Den Rockern
       und Billieboys mit ihrem Outlaw-Image und der Selbststilisierung des
       Diplomatensohns Strummer als klassenkämpferischer James-Dean-Verschnitt.
       Und später selbst dem Mainstreampublikum, das sich vom rechtschaffenen
       Furor von Songs wie "I Fought the Law" noch vor den Kopf gestoßen gefühlt
       hatte. Es gibt Punkte in der Biografie des widersprüchlichen Joe Strummer,
       die sich nicht ziemen für einen echten Punk (schlechte Filme wie "Straight
       to Hell" zum Beispiel oder ausverkaufte Stadien): das hat oft zu
       Verwirrungen geführt. Was aber nie in Zweifel stand, waren seine
       musikalische Integrität und seine personal politics. Sie dienen als
       Ausgangspunkt für Julien Temples emphatische Hommage "The Future Is
       Unwritten", die diese Woche anläuft.
       
       Temple ist der bekannteste Chronist der englischen Punk-Explosion der
       Siebzigern; seine Sex-Pistols-Dokus "The Great Rock n Roll Swindle" und
       "The Filth and the Fury" haben das Terrain sondiert und so manchen
       Gründermythos zerstört. Vor allem aber war er Augenzeuge der ersten
       Gehversuche von Punk; er hing damals mit Johnny Rotten und Strummer rum und
       filmte deren ersten Auftritte. Seine Aufnahmen von frühen
       Clash-Proberaumsessions und nie zuvor gesehenes Live-Material von Strummers
       Band 101ers gehören zu den Highlights von "The Future Is Unwritten". Doch
       auch sie sind nur Mosaiksteinchen in der Gesamterscheinung von Strummers
       schillernder Persona, dem selbsterklärten "Punkrock Warlord", der seine
       Band, wie er im Film einmal bemerkt, mit stalinistischer Härte leitete.
       
       Temple liefert ein ungleich sympathischeres Bild, ohne charakterliche
       Defizite Strummers unter den Teppich zu kehren. Um ein großes, symbolisches
       Lagerfeuer versammelt Temple ehemalige Klassenkameraden und Jugendfreunde,
       Wegbegleiter wie Paloma McLardy von den Slits oder Reggae/Punk-Ikone Don
       Letts und merkwürdig deplatziert wirkende Promis wie Johnny Depp (noch im
       "Pirates of the Carribean"-Make-up), John Cusack und Martin Scorsese (im
       Anzug), und lässt sie alle über Joe plaudern, nicht selten mit feuchten
       Augen und verklärtem Blick. Der Joe, das war schon eine Marke, wie er auf
       seine alten Tage noch zum Hippie konvertierte und damals auf dem
       Glastonbury Festival seine Punkbegegnungsstätte Strummerville initiierte,
       wo man bei offenem Feuer einfach so abhängen und total ungezwungen
       miteinander kommunizieren konnte.
       
       Das Lagerfeuer ist ein strukturierendes Motiv in "The Future Is Unwritten",
       ein schöner Einfall - genauso wie Temples Idee, Strummer seine Geschichte
       selbst erzählen zu lassen. In den letzten Jahren vor seinem Tod moderierte
       er für die BBC die Radiosendung "London Calling", in der er die Hörer durch
       seine musikalische Welt begleitete, von Elvis über Miriam Makeba bis Bukka
       White und obskurem Calypso. Temple benutzt Ausschnitte aus diesen Sendungen
       als Wegweiser für Strummers expandierenden free spirit, der sich mit seiner
       letzten Band The Mescaleros auch live Bahn brach.
       
       Im Film sagt Bono den gewichtigen Satz, dass The Clash mit ihrer Musik eine
       Art Landkarte entworfen hätten, an der nachfolgende Bands ihr politisches
       Bewusstsein geschärft haben. Wohin das führen kann, sieht man heute an U2.
       Aber das darf man Strummer nicht vorwerfen. Eigentlich wollte Joe nur Musik
       machen, Comics zeichnen und seinen Kindern am Lagerfeuer erzählen, wie das
       1977 so war, als es reichte, sich eine speckige Lederjacke überzuschmeißen,
       um gegen das Establishment zu rebellieren.
       
       ## "Joe Strummer - The Future Is Unwritten". Regie: Julien Temple, mit
       Johnny Depp u. v. a. 123 Min., IRL/GB 2007
       
       24 May 2007
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Busche
       
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