URI: 
       # taz.de -- Doku über Fotografen Helmut Newton: Bildwelten seiner Jugend
       
       > In einer Doku porträtiert Gero von Boehm den umstrittenen Fotografen
       > Helmut Newton. Um das Thema des male gaze kommt er nicht herum.
       
   IMG Bild: Auch die Schauspielerin Charlotte Rampling wurde von Newton fotografiert
       
       Ohne Frage: Helmut Newton war nicht nur der „professionelle Voyeur“, als
       den er sich selbst gerne bezeichnetet, sondern ein bemerkenswerter
       Fotograf. Trotzdem kommt man angesichts mancher seiner überdimensionierten
       Schwarz-Weiß-Bilder kaum umhin zu fragen, wie seine Karriere heutzutage
       verlaufen würde – gäben etliche seine Bilder, die mehr oder weniger subtil
       mit Provokation und Klischeehinterfragung spielen und bisweilen bei
       Entstehung schon Kontroversen auslösten, doch sicher Anlass für einen
       veritablen Shitstorm: etwa, als er 1994 das Model Nadja Auermann in
       Netzstrümpfen in einen Rollstuhl setzte.
       
       Würden Hochglanz-Magazine wie die Vogue, in der etliche seiner Fotostrecken
       erschienen, überhaupt jemanden beauftragen, der Frauen ganz unverhohlen als
       Lustobjekt inszeniert, gefesselt oder sonst wie S&M-kompatibel aufgepimpt?
       Newton kokettierte gern und offensiv mit seinem Faible für dominante
       Frauen; oft nehmen sie Rollen ein, bei denen sie scheinbar am längeren
       Hebel sitzen. Trotzdem bleiben seine Inszenierungen vor allem eine
       Männerfantasie – auch wenn Newton die Machtstrukturen des male gaze in
       seinen Bildern oft gleich schonungslos mit offengelegt hat.
       
       Dem Regisseur Gero von Boehm, der schon zahllose Prominente fürs Fernsehen
       porträtierte, war wohl klar, dass er bei seinem Dokumentarfilm an Fragen
       wie diesen kaum vorbeikommt. Trotzdem wird das Thema eher pflichtschuldig
       abgehandelt.
       
       Der erste Teil des Films gehört den Models, Popstars und Schauspielerinnen,
       die von Newton fotografiert wurden – und naturgemäß seinen Ruhm lieber
       teilen, als ihn kritisch zu reflektieren. Claudia Schiffer, Charlotte
       Rampling, [1][Grace Jones] und andere erzählen alle mehr oder weniger
       dasselbe: was für ein brillanter Geist Newton war; dass das, was mitunter
       als Chauvinismus gelesen wurde, bei seinen Modellen eher ein Gefühl von
       Selbstermächtigung weckte. Auf Dauer wirkt so viel Lob etwas eintönig. Viel
       später im Film darf die Essayistin und Schriftstellerin Susan Sontag in
       einem alten Talkshow-Mitschnitt Newton dann noch ein bisschen anmeckern.
       
       Bezüge zwischen Newtons Leben und Werk 
       
       Spannender wird das Porträt in der zweiten Hälfte, wenn die
       Lebensgeschichte des mit 83 Jahren bei einem Autounfall ums Leben
       gekommenen Newton in den Fokus rückt und er zudem in sehenswertem
       Archivmaterial selbst zu erleben ist – im Privaten mit seiner Frau June,
       die unter dem Alias Alice Springs ebenfalls als Fotografin arbeitete, aber
       auch bei der Arbeit, etwa, wie er auf dem Set kommunizierte.
       
       Newton, im Jahr 1920 als Helmut Neustädter in eine jüdische Familie
       geboren, musste in seiner Berliner Jugend erleben, wie nach der
       Machtübernahme der Nationalsozialisten der Wahnsinn immer stärker in sein
       Leben eingriff. Mit 16 ging er bei der Mode- und Aktfotografin Else
       Neuländer-Simon – besser bekannt unter dem Künstlernamen Yva – in die
       Lehre. Wegen des Berufsverbots 1938 musste sie ihr Atelier endgültig
       aufgeben; 1942 wurde sie im Vernichtungslager Sobibor ermordet.
       
       Unmittelbar nach der Reichspogromnacht 1938 verließ die Familie Neustädter
       Deutschland; der 18-jährige Helmut schlug sich zunächst nach Singapur,
       später nach Australien durch. Bis zu Newtons großem Durchbruch sollten noch
       gut drei Jahrzehnte vergehen. Seine größten Erfolge hatten er dann in den
       1970er und 1980er Jahren, mit Auftragsarbeiten für Modemagazine oder
       Fotoserien, etwa seinen „Big Nudes“ (1979–81).
       
       Anhand seiner Biografie werden durchaus spannendere Bezüge zwischen Newtons
       Leben und Werk aufgemacht. Und Isabella Rossellini bringt die Bildwelten,
       die seine Jugend prägten, dann doch mit dem Sexismusvorwurf zusammen, wenn
       sie schön prägnant formuliert: „Newton fotografierte Frauen auf dieselbe
       Weise, in der Leni Riefenstahl Männer inszenierte.“
       
       9 Jul 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Zum-70-Geburtstag-von-Grace-Jones/!5507229
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stephanie Grimm
       
       ## TAGS
       
   DIR Fotografie
   DIR Dokumentarfilm
   DIR Kinofilm
   DIR Filmkritik
   DIR Modefotografie
   DIR zeitgenössische Fotografie 
   DIR Mode
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Fotografie
   DIR Modefotografie
   DIR Grace Jones
   DIR Modefotografie
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Retrospektive zu Michael Schmidt: Rau, düster und voller Poesie
       
       Frei von Voyeurismus erforschte Michael Schmidt mit der Kamera Berliner
       Lebensräume. Der Hamburger Bahnhof widmet ihm eine Retrospektive.
       
   DIR Buch über Modebranche: Handtasche statt Bezahlung
       
       Sozialanthropologin Giulia Mensitieri entlarvt die Schattenseiten des
       „schönsten Berufs der Welt“: Oft reicht er nicht für den Lebensunterhalt.
       
   DIR Rezension zu Filmdrama „Waves“: Therapie in Wellenform
       
       Trey Edward Shults erzählt in „Waves“ die Geschichte einer
       afroamerikanischen Familie aus der Perspektive eines jungen, obsessiven
       Sportlers.
       
   DIR Peter-Lindbergh-Schau in Düsseldorf: Dominante Models
       
       Der Düsseldorfer Kunstpalast zeigt Fotos von Peter Lindbergh. Am stärksten
       sind dabei die Arbeiten jenseits seiner ikonischen Modefotografie.
       
   DIR Deutscher Starfotograf: Peter Lindbergh ist tot
       
       Mit Schwarzweißfotos von Supermodels wurde der Fotograf berühmt, immer
       wieder arbeitete er für große Modemarken. Am Mittwoch ist Lindbergh
       gestorben.
       
   DIR Zum 70. Geburtstag von Grace Jones: Schamgrenzen sind anderswo
       
       Androgyn, sexuell selbstbewusst, immer aktiv. Grace Jones wird mit den
       Jahren immer lauter statt leiser. 70 Jahre sind noch lange nicht genug.
       
   DIR Neue Ausstellung in der Newton Stiftung: Der Akt des Ausziehens
       
       In der Helmut Newton Stiftung ist bei der Dreierschau „Mario Testino.
       Undressed. Helmut Newton. Unseen. Jean Pigozzi. Pool Party“ viel Haut zu
       sehen