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       # taz.de -- Dokumentation „Surviving R. Kelly“: Das #MeToo der Musikbranche
       
       > Seit Jahrzehnten werden dem R’n’B-Sänger R. Kelly sexueller Missbrauch
       > und Pädophilie vorgeworfen. Jetzt kommen Betroffene zu Wort.
       
   IMG Bild: Die Graswurzelbewegung, die die große Aufarbeitung initiierte:#MuteRKelly, hier in Chicago
       
       Berlin taz | „Ich habe entschieden: Es reicht jetzt“, sagt Jerhonda Pace.
       Sie hat beschlossen nach Jahren des Schweigens ihre Geschichte zu erzählen.
       Wie sie mit R. Kelly als 16-Jährige Oralsex hatte, wie er sie im Laufe ihre
       Beziehung zwang, ihn „Daddy“ zu nennen, wie sie ihn immer um Erlaubnis
       bitten musste, wenn sie essen oder duschen wollte. Wie er sie hungern ließ,
       sie schlug und tagelang in ein Zimmer sperrte, wenn sie nicht tat, was er
       wollte.
       
       Jerhonda Pace ist mit ihren Erfahrungen nicht alleine. Mehrere Frauen
       werfen in der kürzlich erschienen Doku-Serie „Surviving R. Kelly“ dem
       R’n’B-Sänger, der vielen wohl vor allem durch seinen Hit „I Believe I Can
       Fly“ (1998) bekannt ist, verschiedene Formen des Missbrauchs vor. Das
       beginnt mit der illegalen Heirat zwischen dem damals 27-Jährigen und der
       15-jährigen Sängerin Aaliyah. Auf der Urkunde wurde sie als 18 eingetragen,
       als das nach wenigen Monaten öffentlich wird, wird die Ehe annulliert.
       
       Immer wieder haben Frauen ihn verklagt, weil er mit ihnen Sex hatte, als
       sie minderjährig waren. Sie sind Backgroundsängerinnen oder -tänzerinnen,
       Mädchen aus armen Verhältnissen, die sich mit dem Musiker einließen, weil
       sie auf eine große Karriere hofften. Es ist ein Muster, das sich
       durchzieht. Sie alle sind Women of Color, die meisten haben R. Kelly
       kennengelernt, als sie minderjährig waren. Verurteilt wurde R. Kelly nicht
       – alle Anschuldigungen wurden außergerichtlich mit Geldzahlungen geklärt.
       Doch ist die Gesellschaft jetzt, gut ein Jahr nach #MeToo, bereit, sich mit
       R. Kelly auseinanderzusetzen?
       
       Seit den 90er Jahren soll Kelly seine Berühmtheit, sein Geld und seinen
       Einfluss genutzt haben, um Sex mit Minderjährigen zu haben und Frauen
       psychisch und physisch zu missbrauchen. Aktuell gibt es Vorwürfe, dass
       Kelly eine Art „Sex-Kult“ pflegt, in dem er junge Mädchen und Frauen als
       „Sklavinnen“ halten soll. Dies wurde im Sommer 2017 [1][in Form einer
       Recherche von Buzzfeed öffentlich.] Auch in „Surviving R. Kelly“ kommen
       verschiedene Eltern zu Wort, die ihre Kinder seit Jahren nicht mehr gesehen
       haben. Kelly streitet alle erhobenen Vorwürfe gegen ihn ab. Die
       sechsteilige Doku lief Anfang Januar beim US-amerikanischen Fernsehsender
       Lifetime, im Mai wird sie in Deutschland auf dem Pay-TV-Kanal A&E
       ausgestrahlt.
       
       ## Verhaftet wegen Kinderpornografie
       
       Bis heute wurde der R’n’B-Star für kein Verbrechen verurteilt und seine
       Karriere hat unter den Vorwürfen nie merklich gelitten – mit mehr als 150
       Millionen verkauften Tonträgern zählt er zu den erfolgreichsten Musikern
       weltweit. 2002 wurde R. Kelly zum ersten Mal verhaftet wegen
       Kinderpornografie. Ein Video war aufgetaucht, in dem der Sänger angeblich
       beim Sex mit einer 14-Jährigen zu sehen war. Sechs Jahre später wurde er im
       Prozess freigesprochen, da er und das Mädchen aussagten, es seien nicht sie
       in dem Video. Verwandte und Freund*innen identifizierten jedoch die beiden.
       
       Das Video wurde als VHS auf dem freien Markt verkauft, es gab
       Medienberichte, die Branche wusste Bescheid, doch Konsequenzen gab es
       keine. Stattdessen sang der Musiker im gleichen Jahr bei der
       Eröffnungsfeier der Olympischen Winterspiele in Salt Lake City. Kurz nach
       seiner zweiten Verhaftung, erneut wegen Kinderpornografie, im Jahr 2003
       brachte er den Song „Ignition“ auf den Markt, der zum Welterfolg wurde. Zum
       Prozess kam es nach seiner zweiten Verhaftung nicht.
       
       Welche Strukturen das Verhalten R. Kellys begünstigt haben, ist kein
       zentrales Thema der Dokumentation. „Surviving R. Kelly“ stellt die
       Überlebenden in den Vordergrund, die zum Teil erstmals von ihren
       Erfahrungen erzählen. Doch ohne Mitwisser*innen und Mittäter*innen könnte
       R. Kelly nicht über solch einen langen Zeitraum weitermachen.
       
       „Er musste Helfer haben“, sagt auch seine Ex-Frau Andrea Lee. Und die hatte
       er. Unter anderem ist da sein Bruder, der feststellt: „Ja, er mag jüngere
       Frauen, aber das ist kein Problem.“ Und er ist nicht der Einzige, der
       wegschaut. Sein ehemaliger Assistent Demetrius Smith und ein anderer
       Mitarbeiter outen sich als Mitwisser und Unterstützer – sie sagen, dass sie
       ihre Taten von damals heute bereuen.
       
       Doch warum interessierte sich lange Zeit niemand für die Vorwürfe gegen R.
       Kelly? Eine Frage, mit der sich auch die Doku beschäftigt. Autorin Mikki
       Kendall hat darauf eine Antwort: „Die Leute haben mitbekommen, was passiert
       ist. Aber es war ihnen egal, weil wir schwarz sind.“ Und auch Chance the
       Rapper bestätigt das aus eigener Erfahrung: „Ich habe den Geschichten keine
       Beachtung geschenkt, weil es um schwarze Frauen ging.“ Studien unterstützen
       diese Annahmen, 2017 [2][fand die Georgetown Law heraus], dass Erwachsene
       finden, schwarze Mädchen bräuchten weniger Schutz als weiße Mädchen.
       
       ## Kampagnen im Netz
       
       Doch seit die Doku ausgestrahlt wurde, tut sich etwas. Als Produzentin
       dream hampton auf der Suche nach Prominenten war, die bei der Doku
       mitwirken möchten, war John Legend einer der wenigen, der zusagte. Laut
       hampton waren Künstler*innen, wie Jay-Z oder Erykah Badu, nicht bereit, vor
       der Kamera zu sprechen. Doch jetzt distanzieren sich immer mehr
       Musiker*innen von dem R’n’B-Weltstar.
       
       So entschuldigte sich vergangene Woche Lady Gaga für die Zusammenarbeit mit
       R. Kelly und will den gemeinsamen Song „Do What U Want“ von allen
       Streamingdiensten entfernen lassen. Große Radiosender verkünden, dass sie
       seine Musik nicht mehr spielen wollen, Konzerte von ihm werden abgesagt,
       und zuletzt überraschte die Nachricht, dass sein Musiklabel RCA Records,
       das zum Konzern Sony Music gehört, nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten
       will.
       
       Das alles ist auch der Graswurzelbewegung #MuteRKelly zu verdanken, die
       2017 von der #MeToo-Initiatorin Tarana Burke und Oronike Odeleye ins Leben
       gerufen wurde. Sie suchten das Gespräch mit Szenegrößen der Musikindustrie,
       demonstrierten und organisierten Kampagnen im Netz – mit Erfolg. Die
       jetzigen Konsequenzen zeigen, dass #MeToo und #TimesUp etwas verändert
       haben, sie haben die Gesellschaft für eine Debatte geöffnet. Nachdem #MeToo
       hauptsächlich von Geschichten weißer Frauen dominiert wurde, wird die
       Debatte um R. Kelly nun von vielen als der #MeToo-Moment der schwarzen
       Frauen bezeichnet.
       
       Doch das ist nur die eine Seite der Geschichte. Nur wenige Tage nach
       Veröffentlichung der Doku haben sich die Klickzahlen seiner Songs bei
       Streaming-Anbietern verdoppelt – von 870.000 auf 1,7 Millionen pro Tag. Im
       Mai hatte Spotify die Musik von R. Kelly aus allen Spotify-Playlisten
       genommen. Doch nach nur drei Wochen nahmen sie ihre Policy, mit der
       „hasserfüllte Inhalte“ nicht gefördert werden sollten, wieder zurück. Und
       noch immer hält die Musikindustrie an dem R’n’B-Star fest.
       
       ## Großes Geld
       
       So finden in Deutschland in den kommenden Monaten noch Konzerte von Kelly
       statt, im April soll er in Ludwigsburg sowie in Hamburg auftreten. Auf
       Anfrage der taz, ob es Überlegungen gäbe, die Konzerte abzusagen,
       reagierten die Veranstalter nicht, und bis heute stehen die Tickets zum
       Kauf bereit. Allein für das Konzert in Ludwigsburg interessieren sich über
       5.000 Menschen bei Facebook.
       
       Auch in Deutschland regt sich erster Protest. Unter dem
       #RKellyStummschalten gibt seit Anfang der Woche eine Petition, die dafür
       sorgen will, dass die beiden angekündigten Konzerte abgesagt werden. Bisher
       haben knapp 2.000 Menschen sie unterschrieben.
       
       Während die Opfer jahrelang nicht gehört wurden und keine Gerechtigkeit
       erfahren, verdient R. Kelly weiterhin großes Geld mit seiner Musik. Auch
       ohne bisherige Verurteilung sind viele der Vorwürfe durch Recherchen, unter
       anderem von Buzzfeed, [3][dem New Yorker] oder der Chicago Sun-Times,
       Gerichtsunterlagen, Zeugenaussagen und Videos belegt.
       
       Doch was die Betroffenen brauchen, ist ein fairer Gerichtsprozess. Das
       könnte jetzt passieren. Staatsanwälte aus Chicago und Atlanta haben nach
       der Ausstrahlung der Doku die Ermittlungen zu den Anschuldigungen der
       Pädophilie und sexueller Übergriffe durch den Sänger aufgenommen, Sie rufen
       Betroffene und Zeug*innen auf, sich bei ihnen zu melden. Denn auch wenn es
       20 Jahre zu spät ist, werden die Überlebenden jetzt endlich gehört.
       
       23 Jan 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.buzzfeednews.com/article/jimderogatis/parents-told-police-r-kelly-is-keeping-women-in-a-cult
   DIR [2] https://www.washingtonpost.com/local/education/study-black-girls-viewed-as-less-innocent-than-white-girls/2017/06/27/3fbedc32-5ae1-11e7-a9f6-7c3296387341_story.html?utm_term=.b14d5fab7dc2
   DIR [3] https://www.newyorker.com/news/daily-comment/r-kelly-and-the-complexities-of-race-in-the-metoo-era
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Carolina Schwarz
       
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