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       # taz.de -- EEG-Autor zur Strommarktreform: „Meine Grünen müssen hinschauen“
       
       > Der frühere Bundestagsabgeordnete Hans-Josef Fell ist einer der Väter des
       > Erneuerbaren-Energien-Gesetzes. Heute sieht er großen Reformbedarf.
       
   IMG Bild: Gut gewappnet für die Energiekrise: Einfamilienhaus mit Solardach
       
       taz: Herr Fell, als Sie vor mehr als 22 Jahren das
       [1][Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG)] miterfanden, haben Sie und Ihre
       Bundestagskolleg:innen damals geglaubt, dass klimafreundlicher Strom
       aus Solar- und Windenergie einmal so günstig sein wird wie jetzt? 
       
       Hans-Josef Fell: Ja, das war unsere klare Strategie. Wir wussten ja: Im
       Unterschied zu den Fossilenergien sind Solar-, Wind-, Wasserkraft,
       Geothermie frei von Rohstoffkosten. Und heute ist eine verlässliche
       Versorgung mit erneuerbaren Energien selbst mit Speichern die günstigste
       Art der Stromerzeugung. Das ist doch phänomenal.
       
       Mittlerweile wird Grünstrom über die Börse vermarktet. War das auch Ihr
       Plan? 
       
       Nein, die Vermarktung über Grünstromunternehmen war das Ziel. Es gibt ja
       seit Längerem einige eindeutig zertifizierte Unternehmen, die Ökostrom
       direkt an ihre Kunden verkaufen. Aber an der Börse sollte Grünstrom nicht
       vermarktet werden. Im Gegenteil.
       
       Der Börsenstrompreis geht zurzeit in der aktuellen Energiekrise durch die
       Decke. Er steigt aber schon seit Mitte 2021 stark. Wie ist es dazu
       gekommen? 
       
       Es sind viele Gründe. Ein wichtiger ist: [2][Der ehemalige
       Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD)] hat 2009 das ursprüngliche
       EEG-Prinzip mit einer Änderung der Berechnung der EEG-Umlage abgeschafft.
       Ich konnte es damals aus der Opposition heraus nicht verhindern. In den
       Jahren danach hat es erhebliche Verwerfungen gegeben. Vor allem stieg
       dadurch die EEG-Umlage massiv an, obwohl die Erneuerbaren-Erzeuger-Preise
       sanken. Und heute bestimmt das teuerste Kraftwerk bei der Börsenvermarktung
       den Strompreis. Der ist wegen der gestiegenen Erdgaspreise sehr teuer. Eine
       widersinnige Konstruktion! Denn dadurch erzielen nicht nur
       Ökostromproduzenten, sondern vor allem aber Betreiber von Kohle- oder
       Atomkraftwerken überdimensionierte Gewinne. Dieses Marktdesign muss
       abgeschafft werden, die Gewinne müssen wir abschöpfen. Es muss immer wieder
       klar gesagt werden: Nicht der Ökostrom ist zu teuer, sondern dieser
       Marktmechanismus ist falsch.
       
       Die Bundesregierung will kurzfristig eine Strompreisbremse auf die Beine
       stellen. Wie könnte eine langfristige Lösung des Problems aussehen? 
       
       Wir brauchen zwei Märkte: einen schnell wachsenden für die erneuerbaren
       Energien und einen für die Alt-Energien. Weil der so teuer wird, werden die
       Kunden dort schnell verschwinden. Die momentane Vermischung der
       Erneuerbaren mit den fossilen Energien ist das entscheidende Problem. Das
       Beispiel des Ökostrom-Anbieters Naturstrom zeigt, es geht auch anders: Das
       Unternehmen erzeugt schon ein Drittel eigenen Ökostrom und kann seinen
       Neukunden heute günstigere Angebote machen als seine meisten Konkurrenten.
       Aber günstigen Ökostrom kann auch jeder selber produzieren, im Unternehmen,
       auf dem Haus, gemeinschaftlich im Quartier. Man muss nicht auf Angebote
       warten.
       
       Sie empfehlen also Wind- oder Solarbetreiber:innen, ihren Ökostrom anders
       zu vermarkten als über die Börse? 
       
       Ja. Denn Ökostrom hat einen anderen Charakter als „konventionell“
       erzeugter. Die Konzerne haben die Gewinnmaximierung als Ziel, wollen also
       über die Börse gehen. Kleinere Wind- oder Solarstrom-Erzeuger können
       zunächst ihren Strom selbst nutzen, sich selbst Kunden suchen, zum Beispiel
       über [3][sogenannte PPA-Verträge] direkt an Stadt- oder Gemeindewerke
       verkaufen. Das muss ausgeweitet werden, damit der kostengünstige Ökostrom
       an die Verbraucher herankommt.
       
       Dabei lecken sich gerade die Betreiber:innen ausgeförderter
       Solarstromanlagen ja zurzeit die Finger: Gut 2 Cent pro Kilowattstunde
       wurde ihnen für den Weiterbetrieb nach dem 20-Jahre-Fördersystem
       versprochen, für das Jahr 2022 dürften es als durchschnittlicher
       Börsenstrompreis wohl fast 20 Cent werden. Was halten Sie davon? 
       
       Entscheidend ist, dass Hausbesitzer mit eigener Anlage die
       Eigenstromnutzung massiv erhöhen. Wenn sie 60 bis 80 Prozent Eigenstrom
       nutzen, ist viel gewonnen. Stellen Sie die Heizung auf Wärmepumpe um, laden
       Sie das Elektroauto daheim. Richtig ist zwar auch: Fachunternehmen kommen
       zurzeit nicht nach mit den Installationen. Aber seit 20 Jahren hätten viele
       etwas machen können, das darf auch nicht vergessen werden.
       
       Aber mehr Eigenstrom im Einfamilienhaus kann doch nicht die einzige Lösung
       sein. 
       
       Nein, es sind auch gesetzliche Änderungen notwendig. Energy Sharing unter
       Nachbarn muss erlaubt werden. Warum nicht das Dach des Nachbarn mitnutzen,
       wenn das eigene verschattet ist? Eine EU-Richtlinie fordert das –
       Deutschland hat es immer noch nicht umgesetzt. Über etwas anderes wird
       schon lange geredet: Die sauberen Stromproduzenten müsste man entlasten,
       die dreckigen fossilen und atomaren aber belasten. Würde man den Ökostrom
       von der Stromsteuer befreien, hätten wir auf einen Schlag eine zusätzliche
       Entlastung und Lenkungswirkung für den Klimaschutz. Doch dieses
       Grundprinzip – also Sauberes entlasten und Schmutziges belasten – ist immer
       noch nicht angekommen bei der Regierung. So soll, Stand heute, die neue
       Gasumlage auch auf Biogas erhoben werden.
       
       Apropos Regierung: Ihre grüne Partei ist eine von drei
       Koalitionspartner:innen. Was erwarten Sie? 
       
       Diese überbordende Bürokratie, die Umstellung auf Ausschreibung bei
       größeren Anlagen, die Nichtumsetzung des von der EU geforderten Energy
       Sharing: Da müssen meine Grünen stärker hinschauen. Und Energieminister
       Robert Habeck sollte nicht in der Welt rumfliegen und nach LNG (Flüssiggas)
       suchen, sondern nach Bayern fahren und Ministerpräsident Söder den Kopf
       waschen, vor allem bei der Windkraft.
       
       Sie sollen zusammen mit den anderen beiden noch lebenden „EEG-Eltern“
       Michaele Hustedt von den Grünen und Dietmar Schütz von der SPD einen Appell
       an die Ökostromproduzenten gerichtet haben: Die sollen ihre Kostenvorteile
       freiwillig an die Verbraucher:innen weitergeben. Stimmt das? 
       
       Ja, wir appellieren an die Ökostrombranche, auf überzogene Gewinne zu
       verzichten, um die sozialen Probleme durch überhöhte Strompreise zu
       verhindern. Ich fürchte, AfD und die Linke werden bald auf die Straße gehen
       und behaupten, der Ökostrom sei schuld. Deshalb sollten gerade größere
       Gemeinschaftsanlagen, Solar- oder Windkraft, jetzt nicht einfach die großen
       Gewinne mitnehmen von der Börse, sondern die billigen Erzeugungskosten der
       Erneuerbaren an viele Kunden weitergeben. Die Firma Westfalenwind zum
       Beispiel macht das vor: Sie stellt ihren Anlegern und Bürger:innen in
       der Gegend billigen Ökostrom zur Verfügung. Wenn die Menschen sehen, wie
       günstig der Ökostrom ist, dann fallen sie nicht mehr auf die Fake News der
       Rechten rein. Ich möchte aber klarstellen: Die Gewinne bei den
       konventionellen Anbietern sind noch weitaus höher als die der Erneuerbaren.
       Die Altenergiekonzerne müssten erst recht helfen.
       
       Wie waren die Reaktionen der Betreiber denn bisher? 
       
       Leider gab es bisher kaum welche. Die erste positive stammt von einem
       Windkraftbetreiber aus Franken. Fakt ist: Die möglichen Vermarktungsmodelle
       zur Entlastung der Stromkunden müssen bekannter gemacht werden. Das ist
       auch Aufgabe der Medien.
       
       12 Sep 2022
       
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