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       # taz.de -- EU-Agrarkommissar über die Ökobranche: „Das Vertrauen in Bio retten“
       
       > Wir brauchen auch wegen des tödlichen Ausbruchs von Ehec-Keimen in
       > Bio-Lebensmitteln vor 5 Jahren neue Regeln für die Öko-Branche, sagt Phil
       > Hogan.
       
   IMG Bild: Der EU-Agrarkommissar schlägt vor, Pestizide auf Ökologischen Vorrangflächen zu verbieten
       
       taz.am wochenende: Herr Hogan, am Samstag demonstrieren Tausende in Berlin
       dagegen, dass ständig Bauernhöfe schließen und die Landwirtschaft die
       Umwelt gefährdet. Warum zahlt die EU immer noch pro Jahr 55 Milliarden Euro
       für Agrarsubventionen? 
       
       Phil Hogan: Oh Gott, ich wusste nicht, dass Landwirtschaft so schlecht ist.
       Vor Beginn der Gemeinsamen Agrarpolitik hungerten Menschen in der
       Europäischen Union. 50 Jahre später produzieren die Bauern genügend
       qualitativ hochwertige Lebensmittel. Wir sind sogar ein großer Exporteur
       geworden.
       
       Die Landwirtschaft hat ihre Produktivität nicht durch Subventionen, sondern
       durch Technik immens erhöht. Noch mal: Warum soll die Europäische Union
       Milliarden in diese Branche stecken? 
       
       Die Landwirtschaft leistet wahrscheinlich den größten Beitrag zu
       Arbeitsplätzen und Wachstum im ländlichen Raum. Das hilft, die Menschen auf
       dem Land zu halten. Wir hatten in den 1960er Jahren wegen der
       Mechanisierung eine Agrarrevolution. Jetzt sehen wir eine Revolution wegen
       der computergestützten Präzisionslandwirtschaft. Das wird dazu führen, dass
       wir weniger Bauern haben werden. Deshalb müssen wir uns auf eine bessere
       Wertschöpfung der Landwirtschaft in der Lebensmittellieferkette und auf die
       Arbeitsplätze im ländlichen Raum konzentrieren.
       
       Wir haben in Deutschland in den vergangenen drei Jahren 10 Prozent der
       Milchbauern und Schweinehalter sowie seit 1960 rund 80 Prozent aller
       Landwirtschaftsbetriebe verloren. Schafft es die Agrarpolitik wirklich,
       Landflucht zu verhindern? 
       
       Die EU ist der weltweit größte Milchproduzent. Und wir sind unter den Top 3
       bei anderen Agrarprodukten wie Fleisch. Wenn wir diese wirtschaftliche
       Aktivität auf dem Land nicht hätten, würden alle in die Städte ziehen. Dann
       hätten wir dort eine Umweltzerstörung wie im Mittleren Westen der USA. Wir
       brauchen Menschen vor Ort, die man Bauern nennt, um Umweltpolitik
       umzusetzen.
       
       Wie gut machen die es bisher? 
       
       Der Treibhausgasausstoß ist seit 1990 um 23 Prozent gesunken. Die
       Wasserqualität in Flüssen ist um 17 Prozent gestiegen. Aber wir machen kaum
       Fortschritte dabei, die Vielfalt von Pflanzen- und Tierarten zu erhalten.
       Wir erwarten von den Bauern, dass sie in Zukunft mehr für die Artenvielfalt
       tun, aber auch für Wasser, Böden und Luft. Das wird Teil meines
       Eckpunktepapiers für die Agrarpolitik nach 2020 sein, das ich Ende des
       laufenden Jahres fertigstellen werde.
       
       Die letzte Reform hat zwar 30 Prozent der wichtigsten Subventionsart, der
       Direktzahlungen, an Umweltauflagen gebunden, aber Studien zeigen, dass die
       Artenvielfalt von diesem „Greening“ nicht profitiert. Was wollen Sie jetzt
       anders machen, damit es klappt? 
       
       Ich schlage vor, Pestizide auf Ökologischen Vorrangflächen zu verbieten.
       Das sind die 5 Prozent des Ackerlands, die die Direktzahlungsempfänger seit
       der letzten Reform im Interesse der Umwelt nutzen müssen, zum Beispiel zum
       Erhalt von Hecken. Jetzt muss der Gesetzgeber, also der Rat der
       Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament, darüber entscheiden.
       
       Immer noch zahlt die EU die meisten Subventionen pro Hektar Agrarfläche,
       fast unabhängig davon, ob der Boden umweltfreundlich bewirtschaftet wird
       oder nicht. Das ist doch ein Widerspruch? 
       
       Die EU-Kommission hat zum Beispiel bei der letzten Reform vorgeschlagen,
       die Zahlung an die größeren Betriebe zu begrenzen. Und dass man sich mehr
       auf die Unterstützung der kleinen und mittleren Höfe konzentriert. Doch das
       ist vom Gesetzgeber der EU abgelehnt worden.
       
       Es gibt immer mehr Unmut darüber, wie Nutztiere gehalten werden. Sollte
       die EU stärker Projekte finanzieren, die die Lage in den Ställen
       verbessern? 
       
       Wir geben für Tierschutzbelange während sieben Jahren 750 Millionen Euro
       allein in Deutschland. Die Mitgliedstaaten haben Optionen, das
       aufzustocken. Manche Länder nutzen aber nicht die Möglichkeiten für
       Tierschutzschutzprogramme, die es in unseren Vorschriften gibt.
       
       Der Ökolandbau bietet höhere Tier- und Umweltschutzstandards. Die
       Kommission hat neue Regeln für die Branche vorgeschlagen, die seit Jahren
       in Rat und Parlament feststecken. Wann werden Sie dieses Projekt aufgeben? 
       
       Wir ziehen unseren Vorschlag nicht zurück. Am 22. März verhandeln wir mit
       Rat und Parlament weiter. Unser Entwurf der neuen Öko-Verordnung reagiert
       auf Probleme der Branche: 2011 starben Menschen wegen Ehec-Keimen in
       Bioprodukten, die von außerhalb der EU zum Beispiel nach Deutschland
       importiert worden waren. Auch Bulgarien und Italien hatten Probleme mit
       Ökoimporten. Wir müssen etwas tun, um das Vertrauen in Bio zu retten.
       
       Die verseuchten Sprossen waren doch nicht infiziert worden, weil sie bio
       waren. Der Skandal hätte auch in der konventionellen Landwirtschaft
       passieren können. 
       
       Er ist aber mit Bioprodukten passiert. Das ist der Schwachpunkt dieses
       Branchenarguments.
       
       Aber der Entwurf sieht doch nichts vor, um Einträge durch Keime zu
       verhindern. 
       
       Die Kommission schlägt vor, dass die gleichen Ökolandbau-Standards für
       Importe wie für EU-Ware gelten. Das ist derzeit nicht der Fall. Dabei geht
       es auch darum, dass wir gleiche Wettbewerbsbedingungen für EU-Erzeuger und
       Importe von außerhalb haben.
       
       Größter Streitpunkt ist, dass Sie einen Pestizidgrenzwert extra für
       Bioprodukte einführen wollen. Warum bestehen Sie darauf? 
       
       Die Verbraucher zahlen Aufpreise für Ökoware. Sie wollen wissen, was dort
       drin ist. Und zuweilen sind sie überrascht, dass es in einigen Bioprodukten
       ganze Cocktails von Pestiziden gibt.
       
       Warum sollten Biobauern dafür verantwortlich gemacht werden, dass von
       konventionellen Nachbarfeldern Pestizide herüberwehen? 
       
       Dieses Argument ist ein Ablenkungsmanöver der Ökobranche. Wenn
       konventionelle Bauern Biofelder kontaminieren, sollten sie den zuständigen
       Behörden gemeldet werden, damit diese Maßnahmen ergreifen können.
       
       Ist es in der Praxis nicht sehr schwierig, zu beweisen, welcher Nachbar
       genau ein bestimmtes Biofeld kontaminiert hat? 
       
       Erst behauptet die Branche, konventionelle Bauern würden Biofelder
       kontaminieren, und jetzt soll es schwer sein, das zu beweisen.
       
       Sogar staatliche Untersuchungen belegen, dass es fast keine
       Pestizidrückstände in Biolebensmitteln gibt. 
       
       Das sind Fake News. Die Branche hat eingeräumt, dass in Bioprodukten
       mehrere Pestizide – also nicht nur eines – vorhanden sind.
       
       Aber die Mengen sind doch sehr klein im Vergleich zu konventionellen
       Produkten, oder? 
       
       Warum hat die Ökobranche dann so große Schwierigkeiten mit einem Grenzwert,
       wenn sie so gering sind?
       
       Die Bioverbände sagen, wegen des Grenzwerts müssten Ökobetriebe viel mehr
       Proben im Labor untersuchen lassen. Das würde Kosten verursachen, ohne dass
       es wirklich nötig sei. 
       
       Die Verbraucher zahlen etwa 20 Prozent mehr für diese Produkte als für
       konventionelle. Natürlich wird es etwas extra kosten, zu beweisen, dass der
       Aufpreis wirklich gerechtfertigt ist.
       
       Könnte ein Extragrenzwert Bauern davon abhalten, auf Bio umzustellen? 
       
       Sie werden immer noch mehr mit Bio als mit konventioneller Ware verdienen.
       Im Übrigen: Der Verbraucher muss an erster Stelle stehen. Manche Bios sind
       die ersten, die fordern, dass wir in Handelsabkommen die höchsten
       Qualitätsstandards durchsetzen sollten. Wir erwarten dasselbe von der
       Ökobranche.
       
       Einige Mitgliedstaaten überwachen die Biokontrolle nicht gut genug. Warum
       tut die Kommission nicht mehr, damit die bestehenden Gesetze besser
       durchgesetzt werden? 
       
       Wir haben in unserem ursprünglichen Vorschlag gefordert, die Kontrollen und
       die Regeln für die Vollstreckung zu harmonisieren. Auch das wurde vom
       Gesetzgeber abgelehnt.
       
       Oft dauern die Ermittlungen bei Betrug mit dem Bio-Siegel so lange, bis die
       Ware verdorben ist. Warum setzen Sie in Ihrem Entwurf nicht Fristen für
       Entscheidungen in solchen Fällen? 
       
       Wenn Rat und Parlament das vorschlagen, würden wir uns das anschauen.
       
       Aber bisher fehlt das in Ihrem Entwurf, genauso wie konkrete Vorgaben zum
       Gesundheitszustand von Biotieren, der Wissenschaftlern zufolge im Schnitt
       nicht besser ist als der von konventionellen. Verfehlt Ihre Vorlage die
       wirklichen Probleme? 
       
       Das ist Unsinn. Wir haben enorm viele Maßnahmen vorgeschlagen. Rat und
       Parlament wollten aber nicht so ambitioniert wie die Kommission die
       Glaubwürdigkeit der Biobranche wahren.
       
       21 Jan 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jost Maurin
       
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