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       # taz.de -- Ehemalige FDJ-Schule verfällt immer mehr: Am See mit Geschichtsblick
       
       > Ein geschichtsträchtiger Ort: Am Bogensee gibt es unterschiedliche
       > Interessen, was mit Hinterlassenschaften aus Nazi- und DDR-Zeiten
       > passieren soll.
       
   IMG Bild: Die Zeit hat auf dem Gelände der ehemaligen FDJ-Jugendhochschule ihre Spuren hinterlassen
       
       Wandlitz taz | Um das Areal am Bogensee, rund 15 Kilometer nördlich vom
       Berliner Stadtrand gelegen, bahnt sich ein Konflikt zwischen Berlin und
       Brandenburg an. Es geht um Fragen des Denkmalschutzes und darum, was
       überhaupt auf dem Gelände passieren soll.
       
       Das 168.000 Quadratmeter große Grundstück in der Brandenburger Gemeinde
       Wandlitz hat Berlin vor gut 100 Jahren günstig von einem verarmten Adeligen
       erworben. Hier finden sich der einstige Landsitz von NS-Propagandaminister
       Joseph Goebbels (zu DDR-Zeiten Konsum und Kita) und die ehemalige
       Jugendhochschule der DDR-Jugendorganisation FDJ, ein gigantischer
       Stalin-Bau mitten im Wald. Beide Gebäudekomplexe stehen unter
       Denkmalschutz, sind seit der Jahrtausendwende leer und verfallen zusehends.
       Bäume wachsen in den Dachrinnen und wurzeln im Fundament der Gebäude. Moos
       wuchert an Teilen der Architektur.
       
       Verwalterin des Grundstücks ist die Berliner Immobilienmanagement GmbH
       (BIM). Das bringt es mit sich, dass nicht die Kultur-, Hochschul- oder
       Ökopolitiker im Berliner Abgeordnetenhaus für den Bogensee zuständig sind,
       die dort vielleicht kreative Ideen entwickeln könnten, sondern Haushälter.
       
       Wie beispielsweise der SPD-Abgeordnete Sven Heinemann. Ihm sind die
       Viertelmillion Euro Betriebskosten ein Dorn im Auge, die Berlin jährlich
       für die denkmalgeschützten Ruinen ausgibt. „Wir müssen mit dem Land
       Brandenburg sprechen, auch mit dem Denkmalschutz, ob wir die Gebäude nicht
       abreißen und das Grundstück renaturieren können“, sagte er der [1][taz im
       Sommer]. Ein Investor sei nicht in Sicht und einen Bedarf an einer Nutzung
       der Gebäude sah der Kämmerer auch nicht. Sein Kollege Steffen Zillich von
       der Linken sagt immerhin: „Eine Nutzung muss mit der Historie vor Ort
       umgehen.“ Aber er räumt ein: „Ich habe Verständnis, dass die BIM nicht die
       Investitionskosten für eine Nutzung übernimmt, die es dann doch nicht
       gibt.“
       
       ## Nur Wohnungsbau würde sich rechnen
       
       Die BIM hat eine Machbarkeitsstudie für den Komplex in Auftrag gegeben, die
       noch geheim ist. Doch es ist durchgesickert, dass sie großflächigen
       Wohnungsbau plant, unterschiedlichen Quellen zufolge für 4.000 oder 4.800
       Menschen. Nur Wohnungsbau würde sich rechnen, heißt es. Dazu sollen eine
       Schule, eine Kita, eine Seniorenresidenz und ein Hotel entstehen. Die
       Goebbels-Villa soll ein Haus der Geschichte werden. Und Sprecherin Johanna
       Steinke sagte der taz im Sommer ganz offen, dass vorgesehene Nutzungen
       nicht funktionieren werden, wenn der Denkmalschutz so bleibt. Hier müsse
       sich ihrer Meinung nach das Land Brandenburg bewegen, das die Gebäude unter
       Denkmalschutz stellt.
       
       Verantwortlich dafür ist das Brandenburger Kulturministerium. Sprecherin
       Anne-Rose Nachtigall sagt der taz, dass das Ministerium keinerlei
       gesetzlichen Ermessensspielraum habe, den Denkmalschutz aufzuheben oder
       aufzuweichen. „Bei beiden Gebäuden handelt es sich um bauliche Zeugnisse,
       die besonders geeignet sind, die politischen Verhältnisse ihrer Zeit zu
       dokumentieren und deren diktatorisch geprägte Grundstruktur aufzuzeigen.“
       
       In Anordnung, Bauweise und Fassadengestaltung der Gebäude beider
       Zeitabschnitte widerspiegelten sich, so Nachtigall, „die offiziell
       propagierten stilistischen Leitbilder der jeweiligen Entstehungszeit sehr
       anschaulich“. Die Gebäude der FDJ-Schule gehörten zudem „unter bau- und
       gartenkünstlerischen Gesichtspunkten zu den interessantesten Beispielen der
       frühen DDR-Architektur“, das Ensemble entfalte eine „sehr eigenständige
       räumliche Wirkung“. Deutlicher kann die Absage an Berliner Pläne zu Abriss
       oder großflächigem Wohnungsbau nicht ausfallen. Bereits im Herbst sei zudem
       ein Ortstermin der Denkmalbehörde mit der BIM vereinbart gewesen.
       Coronabedingt wurde er auf 2021 verschoben.
       
       Die Gemeinde Wandlitz, die für das Planungsrecht zuständig ist, möchte sich
       zu der von der Berliner BIM in Auftrag gegebenen Machbarkeitsstudie nicht
       äußern, weil ihr, so Gemeindesprecherin Elisabeth Schulte-Kuhnt, das Papier
       noch nicht zur Verfügung gestellt wurde.
       
       ## Wohnungen mitten im Wald
       
       Isabelle Czok-Alm, die für die Linke in der Gemeindevertretung sitzt, ist
       weniger zurückhaltend. Sie lobt die BIM zwar dafür, dass sie von dem noch
       vor zehn Jahren präferierten Vorhaben abgerückt ist, den Bogensee zu
       verkaufen. Damit hätte die Goebbels-Villa möglicherweise über Umwege in die
       Hände von Rechtsextremisten gelangen können. Doch sie kritisiert auch das
       Berliner Vorhaben, mitten im Wald großflächig Wohnungen zu bauen. „Was wir
       in Wandlitz vor allem brauchen, sind Wohnungen im Niedrigpreissegment, und
       die können in den denkmalgeschützten Gebäuden wohl kaum entstehen,“ sagt
       sie der taz.
       
       Außerdem wären für so viele Wohnungen noch Zufahrtsstraßen mitten durch den
       Wald nötig. „Von so massiven Eingriffen in die Natur halte ich nichts“,
       sagt Czok-Alm. Sie würde sich stattdessen eine Nutzung wünschen, die der
       Geschichte des Ortes gerecht wird. So exzessive Bauvorhaben, wie Berlin sie
       plane, würden nach Ansicht der Kommunalpolitikerin „bei den meisten
       Menschen in der Gemeinde und einem großen Teil der GemeindevertreterInnen
       nicht auf Gegenliebe“ stoßen.
       
       Während Berlin zum Bogensee nur Vorschläge unter Kostengesichtspunkten
       entwickelt, gibt es in Brandenburg andere Ideen. So bereitet das
       Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam eine
       Onlineausstellung vor, die die Geschichte vom Bogensee dokumentieren soll.
       Vor Ort sollen Infostelen entstehen. Kaum vorstellbar, dass Berlin danach
       noch Gebäude abreißen kann oder sie auf eine Weise nutzt, die ihre
       Geschichte nicht mit einbezieht.
       
       ## Touristisch nutzen
       
       Wandlitzer Bürger haben zudem mit [2][LKC Bogensee] eine Genossenschaft
       gegründet, die eine andere Verwertung der historischen Gebäude mitten im
       Wald anstrebt als die Berliner BIM. Es geht um einen Mix aus Kultur,
       Bildung, Gesundheit, Nachhaltigkeit und vor allem um den Erhalt der Natur
       und der denkmalgeschützten Gebäude, verrät Sprecher Dirk Schneider der taz.
       Die Bildungsangebote sollen sich der Geschichte des Ortes gemäß um
       totalitäre Systeme drehen, aber auch um Umwelt- und Nachhaltigkeitsbildung.
       
       Das Konzept wird Schneider zufolge seit einem Jahr entwickelt. „Die BIM hat
       unseren Wunsch, mit ihr zu sprechen, lange Zeit ignoriert. Erst als es uns
       gelang, unsere Vorstellungen in einer Brandenburger Zeitung vorzustellen,
       wurden wir zu einem Gespräch eingeladen.“
       
       Anfang 2020 lehnte die BIM ein anderes Anwohnerprojekt ab, weil die
       Initiatoren sie nicht von dessen wirtschaftlicher Tragfähigkeit überzeugen
       konnten. Die Akademie Bogensee GmbH wollte in den Gebäuden
       Hochschulinstitute ansiedeln und sie touristisch nutzen.
       
       14 Jan 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Geschichtstraechtiger-Ort-bei-Berlin/!5700822
   DIR [2] https://www.lkc-bogensee.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marina Mai
       
       ## TAGS
       
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