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       # taz.de -- Ein transkontinentaler Markenstreit: And the Winner is… Steinway!
       
       > Steinway heißen die berühmtesten Flügel der Welt. Ihre Geschichte ist die
       > einer erfolgreichen Auswanderung: von Seesen im Harz über Braunschweig
       > nach New York.
       
   IMG Bild: Instrument mit umkämpfter Geschichte: Ein Flügel von Grotrian-Steinweg aus dem Jahr 2011
       
       BREMEN taz | Migration ist kein einseitiger Vorgang. Sie etabliert
       Beziehungen über Grenzen und Ozeane hinweg, vom neuen ins alte Heimatland
       und umgekehrt. Manche sind belastbar, manche labil – und andere einfach nur
       lästig: Am 10. Januar 1975 verhandelt der U.S. Court of Appeals in letzter
       Instanz über eine solche Beziehung.
       
       Genau genommen geht es um einen transatlantischen Streit der damals bereits
       seit über 100 Jahren mal lodert, mal schwelt. Es ist ein Streit in der
       Klavierbranche, aber keiner nur „for music lovers“, stellt der Vorsitzende
       Richter William H. Timbers [1][in seiner schriftlichen Ausführung des
       Urteils fest]: „kein Fall für Musikliebhaber“. Und „statt der lieblichen
       Klänge, die man von Konzertflügeln erwartet“ bringe er „die misstönenden
       Noten einer Kakophonie“ hervor. Es geht um Marken- und Wettbewerbsrecht:
       Das Berufungsgerichts befreit die damals noch familiär geprägte Steinway AG
       von einer eher zähen Verbindung mit ihrem ehemaligen deutschen Partner.
       
       Das Verfahren war der letzte Versuch des Braunschweiger
       Familienunternehmens Grotrian-Steinweg, unter seinem eigenen Namen auch in
       den Vereinigten Staaten Klaviere zu verkaufen. Das Berufungsgericht
       bestätigte aber nur, dass die Niedersachsen dadurch die Rechte der lange
       etablierten Marke Steinway & Sons verletzten – so wie das Bezirksgericht
       New York-Südwest es 1973 erkannt hatte. Das hätte die Deutschen am liebsten
       zu empfindlichen Geldstrafen [2][verdonnert]: Alle von Grotrian seit 1952
       auf dem US-Markt erzielten Profite wären abzuführen gewesen, plus
       Schadenersatz in noch zu ermittelnder Höhe.
       
       Dass Grotrian-Steinweg auf seinen Namen verzichten muss, könnte auf den
       ersten Blick wie eine schrille Blüte des in Europa gern skeptisch beäugten
       amerikanischen Justizsystems wirken. Das Gegenteil ist wahr: Das Gericht
       hat die Folgen einer bizarren historischen deutschen Patent- und
       Markenrechtsregelung korrigiert.
       
       Zwar wird hier im 19. Jahrhundert die missbräuchliche Verwendung
       inländischer Fabrikanten-Namen als Betrug bestraft; ungeschützt bleiben
       jedoch Namen von im Ausland ansässigen Unternehmen – selbst wenn die
       Inhaber aus dem Gebiet des Deutschen Zollvereins stammten: Dem
       Harzstädtchen Seesen, wo der Tischler und Instrumentenbauer Heinrich
       Engelhard Steinweg seine Werkstatt hatte und seine ersten Klaviere baute,
       hat dessen Sohn William bei einem Besuch einen Kurpark spendiert. Der
       dortige Oberamtsrichter nimmt am 9. September 1892 „1000 Mk for proposed
       Park, 500 for Harzverein of Seesen, 1000 for Schönemark for the Poor of
       Seesen“ entgegen, so [3][protokolliert] es Williams Tagebuch.
       
       ## In Seesen huldigt man der Familie mit einem Denkmal
       
       Als ihm am 20. eine Harzdelegation in Berlin eine herrliche Urkunde
       überreicht, die ihn zum Ehrenmitglied des Bürgervereins erklärt, gibt’s
       noch mal 1.000 Nachschlag. In Seesen huldigt man der weltberühmten Familie
       seither mit einem Denkmal, ein Café und ein Brauhaus haben sich nach ihr
       benannt, das örtliche Museum zeigt ihren Werdegang. Ein Wanderweg führt die
       rund 15 Kilometer vom Geburtsort Wolfshagen hierher, und eine eigene
       Festhalle, wo der örtliche Steinway-Verein Konzerte veranstaltet, hat man
       dort auch.
       
       Die früheren Spuren in der Heimat fallen dürftig aus: In welchem Haus in
       der Jacobsonstraße Steinweg 1836 sein erstes Klavier gezimmert hat – keine
       Ahnung. Wahrscheinlich ist es abgerissen. Und selbstredend findet sich
       keine Familiengrabstelle in Wolfshagen; keins von Heinrich Steinwegs elf
       Geschwistern hat die Jugend im Armenhaus überlebt. Die Mutter war 1810 an
       einer „Brustkrankheit“ gestorben, der Vater, ein verarmter Köhler, ist 1811
       wohl [4][verhungert], oder was das Kirchenbuch sonst mit dem Begriff
       „Auszehrung“ meint. Solche Leute werden anonym bestattet.
       
       Selten hat es wohl eine planvollere Emigration gegeben, als den Umzug von
       Heinrich Engelhard Steinweg nebst Frau und Kindern nach Amerika: 1849 wird
       Karl, der zweite Sohn vorgeschickt, soll die Lage in den Staaten sondieren
       – und entkommt so zugleich dem Militärdienst. Ein Jahr später folgt die
       übrige Familie – bis auf Theodor, den ältesten: Der übernimmt das
       Stammwerk.
       
       ## Die neue Firmenzentrale entsteht in Braunschweig
       
       Er vergrößert die Manufaktur, verlegt sie, um den Absatz zu erleichtern,
       nach Wolfenbüttel. Dort tut er sich 1858 mit Friedrich Grotrian zusammen,
       der mit fast 30 Jahren Klavierbau-Erfahrung aus Moskau zurück gekehrt ist.
       Gemeinsam erwerben die zwei ein schickes Bürgerhaus in Braunschweig – die
       neue Firmenzentrale. Als dann seine Brüder Heinrich und Karl im März 1865
       kurz hintereinander sterben, wird Theodor Steinweg in New York gebraucht.
       Er verkauft seine Unternehmensanteile an Friedrich Grotrians Sohn, seinen
       Kompagnon.
       
       In den USA werden lange vor der Ankunft der Steinwegs andere Klaviere
       gebaut als in Europa, bessere, robustere: Das Klima ist rauer, und es geht
       nicht darum, irgendeinen Kleinpotentaten-Hof mit zarten Tönen zu bezirpen,
       sondern dem Volk Musik zu bringen: Seit 1825 Jahren bosselt man dort
       deshalb an der Entwicklung eines Metallrahmens rum, der die Stimmung auch
       unter extremen Temperaturen hält und klanglich den entstehenden großen
       Sälen gewachsen ist.
       
       Die Konkurrenz ist groß: „Der Pianoforte-Fabriken und Magazine sind so
       viele hier, dass jedes neue Etablissement, deren freilich immer wieder
       auftauchen, einen schweren Stand hat“, schreibt die Niederrheinische
       Musik-Zeitung über die amerikanischen Zustände. „Die meisten Fabricanten
       sind Deutsche.“ Was ein Nachteil ist: „Many dealers are practicing a
       stupenduous fraud by selling cheap German instruments“, warnen
       zeitgenössische Experten.
       
       ## Markterkundung als Angestellte
       
       Betrügerische billige, deutsche Instrumente aber: Damit wollten die
       Steinwegs nicht in Verbindung gebracht werden. Also erkunden sie den Markt
       ab 1850 zunächst als Angestellte bei den renommierten Klavierbauern der
       Stadt, bei Bacon & Raven und vor allem bei Robert und William Nunn, die
       1821 aus London gekommen waren. Nachdem sie 1824 ihr Geschäft eröffnet
       hatten, schreibt Daniel Spillane in seiner „History of American Piano“
       (1890), „übertrafen sie sehr bald alle Klavierbauer New Yorks“.
       
       Nach drei Jahren ist den Steinwegs klar, was sie erreichen wollen, und wie.
       Sie kündigen und lassen ihren Namen anglisieren. Steinway & Sons, das
       Unternehmen das bald schon eine Millionenschwere Aktiengesellschaft sein
       wird (und heute einem Hedgefonds gehört), beginnt als süße kleine Family
       Limited Partnership. Und rollt die Szene auf: 12 Klaviere im ersten Jahr
       des Bestehens, 49 im zweiten und 112 im dritten; das 20.000 Instrument wird
       1869 mit einer Parade gefeiert.
       
       Den Laden der Nunn-Brüder übernehmen die Steinways 1854, er wird bald ums
       Nachbarhaus erweitert, zwei Jahre später wird ein Umzug in die Mercer
       Street nötig, 1860 lässt man gleich an der 4th Avenue die eigene Fabrik
       errichten, die größte der Welt, mit vier Dampfmaschinen. Zehn Jahre später
       legt man eine eigene Siedlung an, mit eigener Gießerei und Arbeiterhäusern
       im Stadtteil Astoria, benannt nach Johann Jakob Astor aus Walldorf im
       Schwarzwald, 1783 als Flötenbauer nach Amerika gekommen und als Pelzhändler
       zeitweise reichster Mann der Welt.
       
       ## Die Weltausstellung 1867 bedeutet den Durchbruch
       
       Spätestens die Weltausstellung 1867 in Paris bedeutet auch in Europa den
       Durchbruch: Im akklamierten Zentrum der Zivilisation krönt eine Jury die
       US-Grand Pianos zum Non Plus Ultra. Nur Chickering aus Boston scheint noch
       annähernd in derselben Liga zu spielen, wie Steinway. Deren Klaviere
       verbinden bereits damals einen Volleisenrahmen mit brandneuen Tools wie
       einer Agraffen-Halterung der – für den besseren Klang – fächerförmig
       angeordneten Saiten, spezialbefilzten Hämmerchen und einer neuen
       spielfreudigen Patentmechanik zu einem völlig einzigartigen Soundsystem:
       Der Prototyp des System Steinway, der erste moderne Konzertflügel. „The
       piano is an american invention“, hat Henry Z. Steinway 1999 geschrieben,
       das letzte Familienmitglied, das die Geschicke des Konzerns gelenkt hat.
       Eine Provokation: Das erste Klavier gebaut hatte ja schließlich Bartolomeo
       Cristofori 1716 in Padua. Aber hat es mit dem heutigen Instrument mehr
       gemein, als der von Philipp Reis gebaut elektrische
       Naturdarm-Fernsprechapparat mit dem iPhone 8?
       
       Dessen Hersteller Apple aber ähnelt Steinway in manchem: „Die Vorherrschaft
       von Steinway im 20. Jahrhundert“, schreibt Musikhistoriker Robert Winter,
       „ist ebenso viel Produkt brillanter Werbung wie der technischen
       Neuerungen.“
       
       Der Kampf auf diesem Feld wird nicht nur mit delirierenden
       Advertisement-Postkarten, mit teuren Zeitungsanzeigen, mit
       Star-Testimonials und bald auch mit Exklusivkontrakten vergleichbar den
       Ausstatterverträgen heutiger SpitzensportlerInnen ausgetragen. Mitunter
       gibt es Bestechungen, mitunter auch physische Gewalt. Mit dem Erfolg des
       Produkts und mit dem Ruhm wächst auch die Aggressivität beim Schutz des
       eigenen Namens: In den USA muss man sich einer ganzen Flut von Verkäufern
       erwehren, die Billiginstrumente mit Fantasiebezeichnungen annoncieren:
       Steinbach, Steinberg, Steinburg, Steinmann, Steinhaus, Steinwurst, fast
       alle nur denkbaren Kombinationen mit „Stein-“ finden sich. Es ist nur
       ärgerlich.
       
       ## Billiger Braunschweiger Steinweg
       
       Und dann wird man vom deutschen Alleinimporteur Franz Schott aus Frankfurt
       auch noch auf den alten Weggefährten hingewiesen: Wilhelm Grotrian hat im
       Braunschweiger Handelsregister zusammen mit zwei Miteigentümern die von
       Theo Steinway erworbene Firma als „Grotrian, Helfferich und Schulz C.F. Th.
       Steinweg Nachfolger“ eintragen lassen. Kunden sollen bei Schott nachgefragt
       haben, warum denn der Braunschweiger Steinweg nicht einmal ein Drittel von
       dem kostet, was er für den amerikanischen Import verlangt.
       
       William Steinway, der die Führung des florierenden Unternehmens übernommen
       hat, schickt ihm einen geharnischten Brief als Anzeigenvorlage, der
       klarstellt, dass die Braunschweiger Firma „durchaus Nichts mit uns zu thun“
       habe, ja das sie „nie in irgend einer Verbindung zu oder mit uns gestanden“
       habe. „Der Gebrauch unseres Namens und Firma (…) in Verbindung gebracht mit
       dem Braunschweiger Fabrikat ist ohne jede Autorisation unsererseits“,
       behauptet er – zu Unrecht: Als Theo das Geschäft verkaufte, erlaubte er
       auch den Namen weiterzuführen. Und als er 1876 versucht einzuklagen, dass
       diese Lizenz auf zehn Jahre hätte beschränkt sein sollen, will sich in
       Braunschweig niemand so recht daran erinnern.
       
       Dass Steinway 1880 in Hamburg eine Fabrik für den europäischen Markt
       eröffnet, ist sicher kein sentimentaler Akt. Und womöglich liegt es auch
       nicht nur daran, dass Deutschland damals ein ausgemachtes Hungerlohnland
       ist und man als generöser Patron dasteht, wenn man den Holzarbeitern eine
       61,5 Stunden-Woche bewilligt.
       
       ## Die Grotrians hadern weiter mit dem Namen
       
       Der Gedanke, den Markenschutz dadurch zu erhöhen, dürfte eine Rolle
       spielen. Denn die Grotrians hören nicht auf, mit ihrem Namen zu hadern.
       1881 lehnt das Braunschweiger Amtsgericht einen Antrag ab, die örtliche
       Firma in „Steinweg Nachf.“ umzubenennen, 1896 verliert sie einen
       Markenrechtsprozess, nachdem sie sie ihre Instrumente einfach nur als
       Steinweg-Klaviere verkauft hatten.
       
       Ende des Ersten Weltkriegs ist der Status der Hamburger Dependance unklar,
       die Braunschweiger nutzen die Gunst der Stunde, und so heißen sie 2018 seit
       100 Jahren amtlich Grotrian-Steinweg. Die damalige Begründung: Auf Englisch
       lasse sich Grotrian nicht aussprechen. Steinweg, klar, das ist viel
       leichter. Davon profitiert seit vergangenem Jahr Tin Yin Terence Ng aus
       Hongkong, alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer sowohl der
       Verwaltungs- als auch der Piano Company: Nach sechs Generationen ist heute
       die letzte Grotrian-Nachfahrin raus.
       
       6 Jan 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://law.justia.com/cases/federal/appellate-courts/F2/523/1331/384374/
   DIR [2] https://law.justia.com/cases/federal/district-courts/FSupp/365/707/1414392/
   DIR [3] http://americanhistory.si.edu/steinwaydiary/diary/?entry=11918&search=seesen
   DIR [4] https://de.wikisource.org/wiki/ADB:Steinweg,_Heinrich
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Schirrmeister
       
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