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       # taz.de -- Eine Million für den Mauerpark?
       
       > ■ Grüne Lösung für ehemalige Todeszone zwischen Wedding und Prenzlauer
       > Berg keine Utopie mehr / Bürgerkomitees, Gartenamt und Stiftung Umwelt
       > und Naturschutz gegen Straßenbauabsicht / Warten auf
       > „gesamtübergreifendes Gutachten“
       
       Prenzlauer Berg. Flatsch! Und wieder steckt ein Kinderschuh im Hundekot,
       der gut versteckt im Sandkasten lauerte. Wenn das mal nur die einzige
       Unwegsamkeit wäre, die Prenzelbergs Kinder am Spielen hindert -
       Spielplatznotstand! Im Gebiet rund um die Schönhauser Allee, das mit 0,2
       Quadratmeter Grünfläche je Einwohner (15 Quadratmeter sind Normalwert!) vom
       Büro für Stadtplanung nur noch in die Kategorie „stark unterversorgt“
       einzuordnen ist, bleibt kaum ein Fleck übrig für die lieben Kleinen. Doch
       seit die Mauer fiel, weckt ein Silberstreif am Horizont - der von der
       Eberswalder Straße im Süden zum Gleimtunnel im Norden reicht
       Begrünungsphantasien.
       
       Todeszone
       
       gegen Mauerpark
       
       Tauschen Todeszone gegen Mauerpark und Hundekacke gegen Pferde-, Schweine-,
       Schafs- und Hühnermist: Seit März 1990 streiten die „Initiativgruppe für
       einen Kinderbauernhof“, das Netzwerk Spiel/Kultur und die 7. Oberschule in
       Prenzlauer Berg für die Idee einer ländlichen Idylle für ihre Kinder. Damit
       die Großstadtgören endlich begreifen, wo das Schwein seinen Kringel hat.
       Doch der Bauernhof steht und fällt mit dem Mauerparkprojekt. Der Mauerpark,
       da sind sich Bürgerkomitees und Naturschutz- und Grünflächenamt des
       Stadtbezirks einig, ist die grünste Lösung, um eines der dichtbesiedeltsten
       und zugebautesten, unter starkem Verkehr und Luftverschmutzung leidenden
       Stadtgebiete zu entlasten.
       
       Durch einen Beschluß des Rats Prenzlauer Berg vom 15. März 1990, der auch
       von der neugewählten Stadtbezirksversammlung aufrechterhalten wird, ist die
       Umwandlung von 15 Hektar Mauerstreifen in eine grüne Lunge parlamentarisch
       abgesegnet. Während der größte Teil der Fläche trotz erhöhter Konzentration
       an Herbizidrückständen und Schwermetallen bedenkenlos bepflanzt werden
       kann, ist auf den 5 Hektar zwischen Hinterland- und Grenzmauer wegen
       massiver Giftaktionen sogar dem Unkraut für längere Zeit das Wachsen
       vergangen. Der verseuchte Boden müßte abgetragen, neue Muttererde
       aufgeschüttet werden. 4,5 Millionen Mark, so errechnete das Gartenamt,
       würden Bepflanzung und Gestaltung des gesamten Mauerparkgeländes kosten.
       Die Hälfte davon soll der Magistrat bzw. die zukünftige Regierung für
       Gesamt -Berlin tragen.
       
       Irrtum
       
       Fußgängeroase
       
       Doch nicht allein diese Summe - für ein Projekt solchen Umfangs
       vergleichsweise gering - ist der Grund dafür, daß der Magistrat bisher sein
       Jawort nicht gegeben hat. Dort wird im Büro für Verkehrsplanung am Konzept
       einer Entlastungsstraße gebastelt, dem das freie Mauergelände zwischen
       Wedding und Prenzlauer Berg zum Opfer fallen würde
       
       -abgesehen von den Kleingärten, Bäumen und Häusern, die außerdem bei
       Verwirklichung dieser Wahnsinnsidee plattgemacht würden. Hinter dem
       verlockenden Angebot einer „Verkehrsberuhigung“ verbirgt sich der
       konzeptionelle Irrtum, die Schönhauser Allee parallel zum Straßenbau als
       Fußgängeroase erblühen zu lassen. Die Bürgerkomitees hingegen setzen zum
       Beispiel auf den Ausbau des Nahverkehrsnetzes, die Verlängerung der U-Bahn
       bis Pankow und die Einrichtung von Parkplätzen an den Endhaltestellen.
       Diskutiert werden die verschiedenen Varianten im Arbeitskreis 2 der
       Expertengruppe „Grenznaher Raum“, der in der schwer durchschaubaren
       Hierarchie des Ost-West -Regionalauschusses mit der Projektarbeit vor Ort
       beschäftig ist.
       
       Einvernehmlich haben sich dort, so Manfred Beißbach von der Stadtplanung in
       Wedding, die Vertreter des Bezirksamtes Wedding, des Rates Prenzlauer Berg,
       von Senat und Magistrat auf ein „gesamtübergreifendes Gutachten“ zur Stadt-
       und Landschaftsplanung geeinigt, das, Ende Juli in Auftrag gegeben,
       frühestens im November vorliegen könne. Im „Gegenstromprinzip und
       Bausteinsystem“ müsse das Puzzle zusammengesetzt werden, und solange die
       Flächenverfügbarkeit ungeklärt ist, bliebe auch das Mauerparkprojekt „nicht
       konkretisierbare Utopie“. Christoph Müller-Stüler von der Senatsverwaltung
       für Stadtentwicklung und Umweltschutz ist hinsichtlich eines
       Entlastungseffekts durch eine zusätzliche Straße skeptisch. Die grüne
       Ost-West-Verbindung durch einen Mauerpark befürwortet auch der Umweltrat im
       Magistrat, Thomas Brandt. Doch ihm stehen noch die Verhandlungen mit dem
       Ostoberbauherrn Thurmann bevor.
       
       Mit spontanen Pflanzaktionen signalisierten mittlerweile Bürger vom
       Prenzlauer Berg, daß sie sich nicht auf langwierige Entscheidungsfindung
       verlassen. Das Gartenamt Prenzlauer Berg hat sich mit einem Antrag um
       Unterstützung an die Stiftung Umwelt und Naturschutz der DDR (S.U.N.)
       gewandt. Das ist jene Organisation, die unter anderen DDR -Umweltminister
       Steinberg, Systemkritiker Bahro und der Naturschützer Professor Succow
       gegründet haben und die nun eine zehnprozentige Zuwendung der
       Bundesstiftung für Umwelt erwartet, um naturschützend wirksam zu werden.
       Schnell wurde gehandelt, ein Videofilm gedreht, um eventuelle Sponsoren zu
       interessieren. Eine Million Mark als Anschubfinanzierung sollen auch den
       Parlamenten beider Stadtteile hinsichtlich der politischen Entscheidung auf
       die Sprünge helfen. Um organisatorische und finanzielle Hindernisse in
       einer „Umweltallianz“ mit den verschiedenen Beteiligten in beiden Teilen
       der Stadt überwinden zu können, erwägt die S.U.N. die Übernahme der
       Trägerschaft. Kinderbauernhof, Schutz von Pflanzen- und Tierarten in der
       Stadt, Verbesserung der Grundwassersituation, des Mikroklimas - kurz: ein
       menschenwürdiges Leben - stehen auf der Habenseite des Mauerparks. Doch
       dagegen steht das Beharren auf den Bau einer Straße, die nicht nur
       ökologisch bedenklich ist, sondern auch - so die Bürgerkomitees in
       Prenzlauer Berg schlecht zu überqueren, „ein passender Nachfolger der Mauer
       zwischen Ost und West wäre“.
       
       Irina Grabowski
       
       25 Jul 1990
       
       ## AUTOREN
       
   DIR irina grabowski
       
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