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       # taz.de -- Einigung im Streit um Gedenkort: Mehr Abstand zu den NS-Profiteuren
       
       > Das Hamburger NS-Dokumentationszentrum denk.mal wollte nicht mit einer
       > Firma mit Nazi-Vergangenheit unter ein Dach. Nun gibt es eine Einigung.
       
   IMG Bild: Der Gedenkort im Hamburger Lohsepark: Der Hannoversche Bahnhof wurde 1955 abgerissen
       
       Osnabrück taz | Entscheidungen, um die lange gerungen wird, enden meist in
       Kompromissen, mit denen niemand glücklich ist. Das Hamburger
       Dokumentationszentrum Denk.mal Hannoverscher Bahnhof bildet da eine
       Ausnahme.
       
       Es soll an die mehr als 8.000 Juden, Sinti und Roma erinnern, die von hier
       aus Mitte 1940 bis Anfang 1945 in 20 Zügen in osteuropäische Ghettos
       deportiert wurden, in Konzentrations- und Vernichtungslager. Wann und wie
       genau das Denkmal realisiert werden würde, stand jedoch lange in den
       Sternen. Nach [1][harter Kritik] an den Plänen im Frühjahr 2021 war sogar
       ein [2][Mediationsverfahren] eingeleitet worden.
       
       Das Problem: Ursprünglich war für das Zentrum das Erdgeschoss eines neuen
       Bürokomplexes in der HafenCity vorgesehen, unweit eines Gedenkortes, der
       2017 im Lohsepark eingeweiht wurde. Doch dann kam heraus: Die Büroetagen
       oberhalb des Zentrums hatte Investor Harm Müller-Spreer von der
       Müller-Spreer AG an die Wintershall Dea AG vermietet.
       
       Wintershall ist ein Öl- und Gasproduzent, dessen Vorgängerfirmen in der
       NS-Zeit von Aufrüstung, Kriegswirtschaft und Zwangsarbeit profitierten. Die
       Opferverbände, eng eingebunden in die „Denk.mal“-Planung, [3][zogen sich
       unter Protest zurück]. „Das war sehr intransparent“, sagt David Rubinstein,
       Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde in Hamburg, der taz. „Wir haben
       davon erst aus der Zeitung erfahren.“
       
       Schnell ist klar: Wintershall bleibt. Ein neuer Ort muss her. Die Mediation
       hat ihn jetzt auf den Weg gebracht: Müller-Spreer errichtet für das Zentrum
       ein eigenständiges Gebäude, zweigeschossig, auf dem historischen
       Bahnhofsgelände, auf städtischem Grund, am Nordende des Parks. Er tut es
       auf eigene Kosten, schenkt es der Stadt.
       
       Erinnerungskulturell hat sich der Kampf also gelohnt: „Das ist natürlich
       besser als das Erdgeschoss“, sagt Oliver von Wrochem der taz, Leiter der
       Hamburger KZ-Gedenkstätte Neuengamme und des [4][Projekts Denk.mal
       Hannoverscher Bahnhof.] „Dadurch erzielen wir weit größere Aufmerksamkeit.“
       
       Er sieht aber auch Nachteile: „Wir müssen nun länger auf das Gebäude
       warten, und damit verschiebt sich die Eröffnung des Zentrums.“ Aus 2023
       wird eventuell 2026. „Und wir müssen konzeptionell stark nacharbeiten, denn
       die Raumaufteilung und damit die Choreographie der Ausstellung ändert sich
       ja jetzt.“
       
       Bei Wintershall Dea sieht von Wrochem „Signale der Offenheit“, dass die
       Aufarbeitung der NS-Zeit der Firmengeschichte, die teils noch aussteht,
       bald stattfindet. „Ich wünsche mir und hoffe, dass sie sich dieser Aufgabe
       annehmen.“
       
       In der Mediation sei „sehr um Lösungen gerungen“ worden, sagt Enno Isermann
       zur taz, Sprecher der Hamburger Behörde für Kultur und Medien. „Das war
       alles nicht einfach.“ Sichergestellt sei, dass die bisher geplanten 16
       Ausstellungskapitel vollständig in den neuen Solitär passen. „Vermutlich
       sogar noch mehr als das.“ Den Betrieb des Zentrums übernimmt die Stiftung
       Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der
       NS-Verbrechen.
       
       Die Bewertung der Mediation und der Zukunft des Zentrums sind einhellig
       positiv. „Ein guter Erfolg“, sagt David Rubinstein. „Die Solitär-Lösung
       stellt eine Aufwertung für das Zentrum dar.“ Arnold Weiß, erster
       Vorsitzender des Landesvereins der Sinti in Hamburg, ist froh, dass der
       Protest gewirkt hat. Es wäre eine „Zumutung“ gewesen, „die Erinnerung an
       unsere Deportierten und Ermordeten im Erdgeschoss der Firmenzentrale eines
       mit den Nazi-Verbrechen verbundenen Konzerns unterzubringen“.
       
       Helga Obens vom Auschwitz-Komitee Deutschland mahnt indes: Man müsse
       „feststellen, dass nach wie vor in Hamburg kein Gesamtkonzept für die
       Sicherung und Präsentation der Erinnerungsorte erkennbar ist“. Zukünftig
       erwarte man, „dass Politik und Senat die Entscheidung über die Hamburger
       Erinnerungskultur nicht mehr an private Investoren delegiert“.
       
       Ein neues Bebauungsplanverfahren also, ein neuer Gestaltungswettbewerb. Die
       Relikte des alten Bahnsteigs 2 werden noch lange auf ihren neuen Nachbarn
       warten müssen.
       
       19 Jan 2022
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Harff-Peter Schönherr
       
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