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       # taz.de -- Einsatz westlicher Waffen in Russland: Ringen um die rote Linie
       
       > Die USA und die EU ringen um einen gemeinsamen Kurs über den möglichen
       > Einsatz von westlichen Waffen in Russland.
       
   IMG Bild: Vom Krieg gezeichnet: Ein verletzter Soldat an der Front in der Region Donezk am 15. April
       
       BERLIN taz | Seit Wochen [1][läuft die Debatte] darüber, ob die westlichen
       Verbündeten der Ukraine erlauben sollen, vom Westen gelieferte Waffen auch
       gegen Ziele auf russischem Territorium einzusetzen. Im Vorfeld eines
       informellen Nato-Außenministertreffens in Prag, das am Donnerstagabend
       beginnen sollte, kommt nun wieder mehr Bewegung in die Diskussion. Vor
       allem US-Präsident Joe Biden überlegt laut übereinstimmenden
       US-Medienberichten unter dem Druck der Ukraine und europäischer Verbündeter
       ernsthaft, seine bislang strikt durchgehaltene Linie eines Verbots
       aufzugeben.
       
       Bidens Außenminister Antony Blinken sagte am Mittwoch bei einem Besuch in
       Moldau, die USA würden „flexibel“ agieren und die Art ihrer
       [2][Unterstützung der Ukraine] stets den Anforderungen anpassen. Die USA
       hätten die Ukraine „weder ermutigt noch in die Lage versetzt, Schläge
       außerhalb der Ukraine durchzuführen, aber die Ukraine muss ihre eigenen
       Entscheidungen darüber treffen, wie sie sich am besten verteidigt,“ sagte
       Blinken. Die Ukraine fordert seit Monaten, die Waffen auch einsetzen zu
       dürfen, um das russische Angriffspotenzial an seiner Basis bekämpfen zu
       können.
       
       Gleichwohl zeigte sich Washington besorgt über immer häufigere
       Drohnenangriffe der Ukraine auf russische Vorwarnsysteme gegen ballistische
       und nukleare Raketenangriffe. Bei zwei ukrainischen Angriffen sei in der
       vergangenen Woche mindestens eine Einrichtung ernsthaft beschädigt worden.
       Die [3][Washington Post ] zitiert eine anonyme Quelle aus der US-Regierung
       so: „Diese Einrichtungen sind in die russische Kriegsführung gegen die
       Ukraine nicht eingebunden, aber sie sind hochsensible Ziele, denn Russland
       könnte den Eindruck gewinnen, dass dadurch seine strategischen nuklearen
       Abschreckungskapazitäten gegen die USA beeinträchtigt werden.“ Aus
       ukrainischen Sicherheitskreisen hingegen erfuhr die Zeitung, die Ukraine
       führe diese Angriffe durch, weil die Vorwarnstationen auch die ukrainischen
       Luftaktivitäten überwachten.
       
       Das Tabu beiseite zu lassen oder zumindest aufzubrechen – diese Haltung
       wird auch innerhalb der Nato und in der EU diskutiert. Nato-Generalsekretär
       Jens Stoltenberg appellierte bereits zu Beginn der Woche an die
       Mitgliedsländer, ihre Haltung zu überdenken. Die bisher bestehende „rote
       Linie“ vieler Länder würde die Ukraine blockieren. EU-Außenbeauftragter
       Josep Borrell sprach sich ebenso für den Einsatz westlicher Waffen auf
       russischem Territorium aus. Mit markigen Aussagen sparte auch Frankreichs
       Präsident Emmanuel Macron nicht.
       
       Deutschland ist zweitgrößter Waffenlieferant 
       
       Im Vorfeld eines Treffens des deutsch-französischen Ministerrates sprach
       Macron davon, dass die Verbündeten es der Ukraine erlauben müssten,
       Militärstützpunkte in Russland „zu neutralisieren, von denen aus Raketen
       abgeschossen werden“. Auch Militärausbilder in der Ukraine sind offenbar
       auf französischer Seite nicht ausgeschlossen.
       
       Deutschland ist nach den USA der zweitgrößte Waffenlieferant – und auch in
       dieser Angelegenheit gefragt. Bundeskanzler Olaf Scholz ließ zu seinen
       Aussagen bei der Pressekonferenz mit Macron viel Raum für Interpretationen.
       Der SPD-Politiker berief sich auf das Völkerrecht, das der Ukraine viele
       Möglichkeiten einräume. Ein eindeutiges Ja klingt anders. Scholz' Zögern
       und Zurückhaltung sind jedoch keine Überraschung, sondern symptomatisch bei
       Kriegsfragen. Bestes Beispiel ist die Debatte um den Marschflugkörper
       Taurus.
       
       Die Ukraine drängte lange Zeit auf eine Lieferung der panzerbrechenden
       Bombe, die etwa strategische Versorgungswege Russlands zerstören könnte.
       Scholz äußerte sich erst gar nicht und lehnte dann ab. Wie [4][in der
       Taurus-Debatte] machen CDU-Verteidigungspolitiker, Teile der FDP und Grünen
       sowie SPD-Stimmen Druck auf den Kanzler, doch den Einsatz westlichen Geräts
       zu erlauben. Scholz betont, er wolle verhindern, dass es „zu einem Krieg
       zwischen Russland und der Nato kommt“.
       
       Wenig überraschend kommt die zähe Diskussion unter den Verbündeten in der
       Ukraine nicht gut an. Auf der ukrainischen Webseite focus.ua schreibt der
       Blogger und Militärkorrespondent Bogdan Miroschnikow: „Der
       Abstimmungsprozess über Waffenlieferungen nimmt so viel Zeit in Anspruch,
       dass die Russen es schaffen würden, von Belgorod nach Moskau abzuhauen und
       wieder zurück zu kommen.“ Und er übt scharfe Kritik an der Debattenkultur
       der westlichen Partner. Denn dies würde dem Feind „sehr helfen“. Für
       Miroschnikow sollte es im Jahr der russischen Invasion für die Ukraine
       keine Einschränkungen mehr geben.
       
       Derweil scheinen aber die zugesagten Waffenlieferungen für Kyjiw weiter
       voranzugehen. Der tschechische Regierungschef Petr Fiala verkündete, dass
       in den kommenden Tagen die ersten Lieferungen von Artilleriemunition
       eintreffen sollen. Fiala steht an der Spitze eines internationalen
       Bündnisses aus fünfzehn Ländern, das Hunderttausende Schuss an Munition auf
       dem Weltmarkt einkaufen wollte. Dafür sind rund 1,7 Milliarden Euro
       zusammengekommen. Auf der Einkaufsliste stehen 500.000 Geschosse vom
       Nato-Kaliber 155 Millimeter. Auch Deutschland beteiligt sich an der
       Initiative.
       
       30 May 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Tanja Tricarico
   DIR Barbara Oertel
   DIR Bernd Pickert
       
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