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       # taz.de -- Ende der Hausbesetzung: "Das war Bürgerkrieg"
       
       > Vor zwanzig Jahren brach im Ostberliner Stadtteil Friedrichshain eine
       > Straßenschlacht zwischen Polizei und Hausbesetzern aus. Die Folgen
       > reichen bis heute.
       
   IMG Bild: Die Mainzer Straße verwandelte sich im November 1990 in ein Schlachtfeld.
       
       BERLIN taz | Durch die Fenster des Polizeipräsidiums kriecht die
       Morgendämmerung. Es ist der 14. November 1990. Jetzt gibt es kein Zurück
       mehr. Georg Schertz, der Berliner Polizeipräsident, schaut auf die Uhr. Die
       nächtliche Lagebesprechung mit dem Innensenator und dem Bausenator ist zu
       Ende. Der Druck war groß, zu groß. Terrornester hatte die Springer-Presse
       die besetzten Häuser in der Mainzer Straße genannt. Die kleine Runde um
       Pätzold hat beschlossen, zu räumen. Keiner hat widersprochen.
       
       An diesem 14. November bricht in Berlin die größte Straßenschlacht aus, die
       die Stadt je gesehen hat. Damit endet ein Jahr der Anarchie, das mit dem
       Fall der Mauer begann. Und es zerbricht eine rot-grüne Koalition, die
       Christian Ströbele noch als „Jahrhundertchance“ bezeichnet hatte. Renate
       Künast kündigt das Bündnis nach dem Polizeieinsatz auf. Im September 2011
       will Künast nun Regierende Bürgermeisterin von Berlin werden. Vielleicht
       wieder in einer rot-grünen Koalition.
       
       Nach dem Mauerfall waren Stadtteilgruppen aus Berlin-Neukölln und
       Hardcoreaktivisten aus Kreuzberg in den Osten gezogen und hatten sich dort
       einfach Wohnungen genommen. Es galten jetzt eigene Regeln. Ein Mischung,
       die sich bald sortiert: In der Mainzer Straße gab es ein Tuntenhaus, ein
       Frauen- und Lesbenhaus, ein Spontihaus, ein Partyhaus, ein Haus der Hippies
       und eines der Antiimperialisten.
       
       "Die Realität eines zerfallenden Staates war ein Traum", sagt Freke Over.
       Er war damals Anfang zwanzig. Und er träumte diesen Traum mit. Als er
       einmal einen Spielplatz bauen wollte, bedauerte der CDU-Stadtrat, dass es
       kein Geld dafür gebe. Er rät aber: "Gehen Sie doch auf die Baustelle, wo
       Sie Ihr Material sonst auch holen." Dort trifft Over den Vorarbeiter. "Der
       hatte überhaupt nichts dagegen, dass wir das Zeug mitnehmen. Er bat nur,
       sich mit ihm abzustimmen."
       
       Doch als Deutschland ein knappes Jahr nach dem Mauerfall wiedervereint
       wird, versucht der Senat wieder Ordnung in den Bezirk Friedrichshain zu
       bekommen. Die Polizei rückt vor, die Besetzer bauen immer höhere Barrikaden
       aus Autoreifen, Einkaufswagen und Sofas. Die Mainzer Straße wird zum
       Zentrum eines Konflikts, der am 14. November eskaliert.
       
       "Einen Einsatz wie die Räumung der Mainzer Straße", sagt der ehemalige
       Polizeipräsident Schertz heute, "hat es in der Geschichte der
       Bundesrepublik bis dahin nicht gegeben. Das war Bürgerkrieg."
       
       Wie genau es zu diesem Bürgerkrieg kam, wie Besetzer um Freke Over das Jahr
       der Anarchie und dessen Ende erlebten, welche Rolle Renate Künast bei der
       Räumung der Mainzer Straße spielte und wie sich die politische Landschaft
       dadurch verschoben hat, erzählt die Ganze Geschichte in der aktuellen
       sonntaz.
       
       13 Nov 2010
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uwe Rada
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