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       # taz.de -- Energie-Studium in Niger: Traum vom grünen Wasserstoff
       
       > In Nigers Hauptstadt Niamey werden Studierende aus Westafrika zu
       > Wasserstoff-Expert*innen ausgebildet. Das soll Deutschland grüne Energie
       > sichern.
       
   IMG Bild: Grüner Wasserstoff, Solarenergie und resiliente Landwirtschaft begeistern Niameys Studierende
       
       Niamey taz | Fatou Balleh Jobe liebt Kühe. „Schon als Kind habe ich meiner
       Mutter gesagt: Wenn ich einmal groß bin, dann kaufe ich mir welche.
       Vielleicht auch andere Tiere. Vielleicht baue ich Getreide an. Ich habe
       immer überlegt, was sich daraus alles entwickeln lässt“, erzählt die
       Studierende aus Gambia.
       
       Dazu sei ein großes Interesse für die Umwelt und deren Schutz gekommen.
       Nach dem Abitur entschied sich Fatou Balleh Jobe deshalb für einen Bachelor
       in Umweltstudien. Noch vor ein paar Jahren wurde diese Ausbildung eher
       belächelt. „Bekannte meiner Eltern sagten, ich würde nie einen Job
       bekommen, und verstanden meine Wahl nicht.“ Jetzt wird sie zu einer
       Expertin mit internationaler Erfahrung und Kontakten.
       
       Sie gehört zu den ersten 60 Teilnehmer*innen des
       Graduiertenschulprogramms Energie und grüner Wasserstoff, das im
       vergangenen Jahr begonnen hat. Noch lernen die Studierenden gemeinsam in
       Nigers Hauptstadt Niamey an der Universität, die nach Abdou Moumouni
       benannt ist – er war Physiker und ein früher Solarenergieexperte.
       
       ## 900 Bewerbungen für Solarenergie und grünen Wasserstoff
       
       Im dritten Semester studieren sie in kleineren Gruppen dort sowie in Lomé
       (Togo), Abidjan (Elfenbeinküste) und Dakar (Senegal). Je nach Standort
       können sie ihr Wissen über bestimmte Themen vertiefen, etwa in Dakar an der
       Universität Cheikh Anta Diop über die Ökonomie und grünen Wasserstoff. Für
       das vierte und letzte Semester steht ein Aufenthalt in Deutschland an, den
       das Forschungszentrum Jülich in NRW betreut und bei dem vor allem
       praktische Kenntnisse vermittelt werden sollen. Die Masterarbeiten
       schreiben die Studierenden schließlich an der Rheinisch-Westfälischen
       Technischen Hochschule Aachen.
       
       Fatou Balleh Jobe wird im kommenden Semester nach Togo gehen. Ohnehin sei
       das Programm aufregend für sie. „Vor Studienbeginn habe ich Gambia nie
       verlassen. Ich habe immer gedacht, dass wir Afrikaner*innen gleich
       sind. Jetzt beobachte ich aber kulturelle Unterschiede. Wir lernen viel
       voneinander.“ Auch die Hochschulsysteme würden sich unterscheiden.
       
       Aus jedem der 15 Staaten, welche der westafrikanischen
       Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas angehören, kommen vier Teilnehmer*innen. 900
       Bewerbungen gingen ein. Auch wenn die Vorlesungen auf Englisch sind, werden
       die Studierenden auch im Französischen fit gemacht. Die beiden verbreiteten
       Amtssprachen gehen auf die einstigen Kolonialmächte zurück und gelten oft
       als Barrieren.
       
       ## Widerstandsfähige Landwirtschaft und Bio-Energien
       
       Beide Sprachen zu sprechen, das bringt bei der späteren Arbeitssuche große
       Vorteile, sagt Moussa Mounkaila Saley. Er ist Dozent und Forscher an der
       Universität Abdou Moumouni sowie wissenschaftlicher Koordinator des
       deutsch-westafrikanischen Forschungsprojekts Wascal (West African Science
       Service Centre on Climate Change and Adapted Land Use), welches das
       Schulungsprogramm unterstützt. Wascal entstand selbst vor zehn Jahren und
       ist heute in elf westafrikanischen Ländern vertreten. Neben der Forschung
       organisiert es Master- und Ph.D-Studiengänge rund um erneuerbare Energien,
       Klimawandel, Biodiversität und Landwirtschaft.
       
       Das Interesse an gut ausgebildeten Expert*innen sei groß und die
       Aussicht auf einen Job gut, erklärt Dozent Moussa Mounkaila Saley.
       Absolvent*innen würden für Behörden, nichtstaatliche Organisationen und
       Forschungseinrichtungen arbeiten. In der ganzen Region entstehen
       Studiengänge und Ausbildungen in den Bereichen erneuerbare Energien, einer
       widerstandsfähigeren Landwirtschaft und Bio-Energien. „Berichte zeigen,
       dass die afrikanischen Staaten südlich der Sahara besonders vom Klimawandel
       betroffen sind. Wir bilden auch eine neue Generation von
       Wissenschaftler*innen aus, die die Energiekrise in Westafrika in
       Angriff nimmt“, sagt Moussa Mounkaila Saley.
       
       ## Gegen die Klimakrise braucht Westafrika die Wissenschaft
       
       Längst ist sichtbar, wie steigende Temperaturen und der steigende
       Meeresspiegel sowie unvorhersehbare Regenzeiten sich in der Region
       auswirken. Farmer verlieren große Teile der Ernte, wenn sie bei den ersten
       Regenfällen Saatgut auf die Felder bringen, Niederschläge dann aber
       ausbleiben. Mancherorts sind die Böden viel zu hart, um überhaupt aussäen
       zu können. Dann kommt es wiederum zu Starkregen und alles wird
       weggeschwemmt.
       
       Westafrika steht zudem vor der schwersten Hungerkrise der vergangenen zehn
       Jahre, schätzen verschiedene Organisationen. In diesem Monat könnten bis zu
       38 Millionen Menschen unter Hunger leiden. Der Klimawandel treibt zudem
       Konflikte an, etwa wenn Farm- und Weideland knapp werden oder Bauern oder
       Fischer ihre Existenz verlieren und keine anderen Perspektiven haben. In
       Küstengegenden sind durch Erosion ganze Wohnviertel verschwunden. Hilfe bei
       der Suche nach neuen Unterkünften gibt es meistens nicht.
       
       ## Grüner Wasserstoff schafft Perspektiven
       
       Im neuen Masterprogramm nimmt grüner Wasserstoff eine zentrale Rolle ein.
       „Über Solar- und Windenergie sprechen wir schon lange. Grüner Wasserstoff
       ist aber wirklich neu. Ich bin sehr neugierig“, freut sich Fatou Balleh
       Jobe, „es ist toll, aus erneuerbaren Energien noch mehr herauszuholen.“
       
       Gefördert wird der Studiengang durch das Ministerium für Bildung und
       Forschung (BMBF), das den grünen Wasserstoff „Zukunftsenergie“ nennt. Als
       Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Ende Mai Senegal, Niger und Südafrika
       besuchte, war der grüne Wasserstoff ebenfalls Thema. Das Interesse daran
       ist ausgeprägt [1][und die Energieversorgung] durch den Ukrainekrieg
       stärker in den Fokus gerückt. Christoph Rövekamp, Leiter des Referats
       Energie und Wasserstofftechnologien im BMBF, sagt: „Wenn wir in Deutschland
       klimaneutral leben und wirtschaften wollen, werden wir ganz viel
       Wasserstoff brauchen, den wir aber aufgrund der Gegebenheiten nie selbst in
       diesen Mengen erzeugen können.“ Dafür brauche es viel Wind und Sonne, wie
       beispielsweise in Westafrika.
       
       ## In Niger hat nicht mal jede*r Fünfte Zugang zu Strom
       
       Dort fehle es aber noch an Expert*innen. „Das haben wir bei dem Versuch,
       vor allem in Westafrika eine grüne Wasserstoffstrategie aufzubauen,
       gemerkt“, erzählt Kerstin Annassi vom Forschungszentrum Jülich. So sei die
       Idee entstanden, sie vor Ort auszubilden. Nach Abschluss des Studiums
       sollen sie zurück in ihre Heimatländer gehen, um die Entwicklung der
       Wasserstoffwirtschaft voranzutreiben. Sie könnten allerdings auch weltweit
       Jobangebote erhalten.
       
       Bisher [2][ist grüner Wasserstoff] in Westafrika höchstens in Fachkreisen
       ein Thema. Überhaupt bleibt die Stromversorgung vielerorts eine
       Herausforderung. In Niger hat beispielsweise nach Angaben der Weltbank
       nicht einmal jede*r Fünfte Zugang zu Strom. Das Ecowas-Zentrum für
       erneuerbare Energien und Energieeffizienz hat nun aber den grünen
       Wasserstoff für sich entdeckt und will ein Grundsatzdokument erstellen, um
       Strategien, Gesetzgebungsverfahren und Richtlinien festzulegen. Auch wenn
       sich viele noch nicht vorstellen können, dass die Region einmal Europa mit
       dem begehrten Zukunftsstoff beliefert, und es noch eine gehörige Portion
       Skepsis gibt, wird ihm viel Potenzial zugeschrieben.
       
       Generell habe in den vergangenen Jahren aber ein Umdenken stattgefunden,
       meint Fatou Balleh Jobe. „In Gambia gibt es viel mehr Projekte zu
       erneuerbaren Energien.“ Für sie ist neben der Forschung wichtig, die
       Bevölkerung zu beteiligten. „Wir können gar nicht früh genug anfangen, über
       die wichtige Rolle unserer Umwelt zu sprechen.“
       
       2 Jun 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Olaf-Scholz-besucht-Suedafrika/!5857046
   DIR [2] /Kriterien-fuer-nachhaltigen-Wasserstoff/!5852600
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katrin Gänsler
       
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