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       # taz.de -- Entwicklungsministerin Schulze in Afrika: Der Stabilitätsanker reißt sich los
       
       > Von Deutschlands großer neuer Sahel-Strategie bleiben Fischer und
       > Flüchtlinge in Mauretanien. Unterwegs mit Entwicklungsministerin Svenja
       > Schulze.
       
   IMG Bild: „Was wir hier machen, ist wichtig“: Svenja Schulze mit einer Näherin in einem Unicef-Projekt
       
       Nouakchott/Abuja taz | So einen Empfang ist Svenja Schulze nicht gewohnt.
       Lautes Trommeln und Singen schallt der deutschen Entwicklungsministerin
       entgegen, Frauen in bunten Kleidern umtanzen sie singend: „Deutschland,
       Deutschland, Schulze, Schulze.“
       
       Die Gehuldigte lässt sich willig von der Menge entführen, hin zu einem
       kleinen Fischmarkt am Meer. Fischer tragen kistenweise Fisch aus den
       Holzbooten und kippen ihn am Strand aus, zum Verkauf. Es ist schwülwarm,
       der Geruch nach Salz und Fisch dringt in jede Pore.
       
       Schulze besucht in Mauretanien ein [1][Entwicklungsprojekt], das
       Deutschland seit Jahrzehnten unterstützt: Kühltruhen für die Pirogen,
       Schulungen für Verkäuferinnen, eine Radarstation für die Küstenwache, die
       über das Einhalten der Fangquoten wacht. Wer keine gültige Lizenz hat, muss
       seinen Außenborder abgeben, im Innenhof der Station am Hafen hängen schon
       zwei Dutzend.
       
       Die Ministerin ist begeistert. „Was wir hier machen, ist wichtig. Diese
       Region ist ein Epizentrum des Terrorismus. Hier Arbeitsplätze zu schaffen,
       ist ein Schritt nach vorn zur Stabilisierung“, sagt sie. Der Seewind
       verweht ihre Haare. Neben ihr steht Mauretaniens Fischereiminister und
       bedankt sich für die langjährige gute Zusammenarbeit, die sich weiter
       entwickeln möge.
       
       ## Nach dem Putsch in Niger: Sahel-Politik in Trümmern
       
       Svenja Schulze ist nicht nur als deutsche Entwicklungsministerin gekommen.
       Die SPD-Politikerin kommt auch als Präsidentin der [2][Sahel-Allianz] – ein
       Bündnis der westlichen Entwicklungshilfegeber. Mauretanien wiederum hat
       gerade den Vorsitz der G5 inne – ein Zusammenschluss der fünf Sahelstaaten
       Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad, der allerdings nach dem
       Austritt Malis nur noch als G4 existiert, wenn überhaupt.
       
       Schulze will wissen, was man hier über den [3][Putsch in Niger] denkt. Am
       Dienstag trifft sie Mauretaniens Staatspräsidenten Ould Ghazouani, der eng
       mit dem gestürzten nigrischen Präsidenten [4][Mohamed Bazoum] befreundet
       ist. Am Mittwoch reist sie weiter nach Nigeria, wo die westafrikanische
       Regionalorganisation [5][Ecowas (Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft)]
       ihren Sitz hat. Die Ecowas hat Sanktionen gegen Niger verhängt und erwägt
       immer noch, militärisch einzugreifen.
       
       Von den Gesprächen mit der Ecowas, die am Mittwochnachmittag noch
       andauerten, erhofft sich Schulze Aufschluss darüber, wie es weitergeht. Als
       Entwicklungsministerin möchte sie, dass die derzeit eingefrorenen deutschen
       Gelder für Niger schnell wieder fließen. Als Sahel-Allianz-Präsidentin will
       sie, dass die Ecowas und der Westen eng zusammenstehen. Sie ist also auch
       auf halbdiplomatischer Mission im Sahel unterwegs, einer der ärmsten und
       explosivsten Regionen der Welt.
       
       Die Bundesregierung will sich stärker in der Region engagieren und hat im
       Mai ihre [6][Sahel-Strategie neu ausgerichtet]. Entwicklungshilfe und
       militärisches Engagement sollen Hand in Hand gehen. „Was im Sahel passiert,
       geht uns etwas an“, so die grüne Außenministerin Annalena Baerbock damals:
       islamistische Terrorgruppen, russische Einflussnahme, Fluchtrouten nach
       Europa.
       
       Doch die noch vor wenigen Monaten als beispielhaft gepriesene verstärkte
       militärische Zusammenarbeit mit Niger, als da noch eine gewählte Regierung
       an der Macht war, erweist sich heute nach dem Putsch als Bumerang. Der
       „Stabilitätsanker“ hat sich losgerissen.
       
       In Berlin war man total überrumpelt. Von den in der Sahel-Strategie
       namentlich als Partner genannten Staaten ist nur noch Mauretanien übrig.
       Der Begriff Stabilitätsanker ist gestrichen. Mauretanien sei eine stabile
       Demokratie in einer fragilen Region, heißt es aus der deutschen Botschaft
       in Nouakchott.
       
       Schulzes Reise ist auch eine Erkundung, wie man die Situation so falsch
       einschätzen konnte, und ein tastendes Suchen, was künftig anders laufen
       muss. Wie arbeitet man auf Augenhöhe mit Ländern zusammen, in denen
       Putschisten regieren? Wie können Hilfspakete für Länder geschnürt werden,
       die Frauen unterdrücken und Homosexuelle zum Tode verurteilen, ohne die
       eigenen Werte zu verraten?
       
       Von Rückzug hält Schulze nichts. „Wir mussten in Niger alle Projekte
       einfrieren, weil es keine Regierung gibt, mit der wir zusammenarbeiten
       können. Wir versuchen gerade umzusteuern in Projekte, die regierungsfern
       laufen.“ Das wird für einige funktionieren, aber nicht für alle. Die
       geplante Frauenklinik wird Deutschland sicher nicht mit dem Roten Halbmond
       eröffnen. Wie geht es also weiter?
       
       ## „Wir versuchen gerade umzusteuern“
       
       Mauretanien könnte eine Blaupause sein, hofft man. Das bitterarme Land ist
       dreimal so groß wie Deutschland, hat aber gerade mal so viele Einwohner wie
       Berlin. Auf der geostrategischen Landkarte der Bundesregierung taucht
       Mauretanien bislang nur am Rande auf. In der [7][deutschen Botschaft]
       arbeiten acht Leute. Keine deutsche politische Stiftung unterhält eine
       Dependance, das einzige Kino in der Hauptstadt Nouakchott betreibt das
       [8][Institut français].
       
       Doch plötzlich ist Mauretanien von den fünf Kernländern der Sahelzone das
       einzige mit einer demokratisch gewählten Regierung. In Mauretanien
       putschten sich zwar immer wieder Militärs an die Macht, sie ließen sich
       aber später durch Wahlen bestätigen und aus solchen Wahlen ging 2019 der
       amtierende Präsident hervor. Die Hoffnung ist, dass die Junta in Niger
       einen ähnlichen Weg wählt. So, wie es auch Mali plant.
       
       Zudem ist Mauretanien vergleichsweise friedlich. 100.000 Menschen aus dem
       von Gewalt geschüttelten Mali hat [9][Mauretanien bereits aufgenommen], pro
       Kopf mehr Flüchtlinge als das reiche Deutschland, und ihnen Zugang zum
       Arbeitsmarkt, zu Bildung und zum Gesundheitswesen gewährt. Das
       UN-Flüchtlingshilfswerk und die deutsche Regierung unterstützen das.
       
       Schulze besucht ein Registrierungszentrum für Flüchtlinge in der Hauptstadt
       und lobt: „Mauretanien zeigt, wie man die Menschen so aufnehmen kann, dass
       sie eine Perspektive haben.“
       
       Doch in der mauretanischen Regierung, so heißt es nach den Gesprächen am
       Dienstag, sei man besorgt, dass die Konflikte in der Region übergreifen,
       die Flüchtlingszahlen sich verdoppeln und auch Terroristen Mauretanien als
       Rückzugsort entdecken. Der Putsch in Niger sei der eine Putsch zu viel
       gewesen.
       
       Leila Kparambeti kam vor neun Jahren aus der Zentralafrikanischen Republik.
       Sie berichtet, dass Flüchtlinge es auf dem mauretanischen Arbeits- und
       Wohnungsmarkt bereits schwer hätten. Sie würde gern ihre Kinder auf eine
       höhere Schule schicken, doch dazu fehlt ihr das Geld.
       
       Die gelernte Buchhalterin hat über das Registrierungszentrum und auch mit
       deutschen Entwicklungsgeldern einen Nähkurs absolviert und verkauft
       selbstgemachte Gewänder. „Am liebsten würde ich mich mit anderen Frauen
       selbstständig machen und einen Laden eröffnen. Doch dazu bräuchte ich
       Kredite, um Nähmaschinen anzuschaffen und Miete zu bezahlen.“
       
       Eine Mitarbeiterin des Zentrums zuckt nur bedauernd die Schultern. Das Geld
       für das Zentrum sinkt, die Zahl der Flüchtlinge steigt.
       
       ## Grüner Wasserstoff – für Deutschland oder für Mauretanien?
       
       Ob man Mauretanien nicht noch mehr unterstützen müsse, fragt sich der
       mitreisende außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Nils Schmid. In
       Gesprächen mit mauretanischen Politikern habe es geheißen, die EU
       unterstütze Tunesien, wo es vergleichsweise schlecht läuft, aber Länder wie
       Mauretanien, in denen es gut klappt, würden kaum wahrgenommen.
       
       „Aber es darf nicht nur um Flüchtlinge gehen. Wir müssen Partnerschaften
       auf Augenhöhe hinbekommen“, meint Schmid. Er plädiert dafür, Mauretanien in
       der [10][Produktion von grünem Wasserstoff] zu unterstützen. Mauretanien
       hat Wasser und Sonne, Deutschland Hochöfen.
       
       Aber Mauretanien hat auch Eisenerz. Was also, wenn das Land nicht nur
       günstigen grünen Wasserstoff produziert, sondern auch grünen Stahl? Die
       deutsche Stahlindustrie wäre nicht begeistert.
       
       Im Oktober kommen die Mauretanier zu Regierungsverhandlungen nach
       Deutschland. Schmid meint: „Wir müssen uns auf selbstbewusste Länder
       einstellen und stärker auf deren Interessen eingehen. Das kann auch dazu
       führen, dass wir nicht gleich einer Meinung sind.“
       
       16 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.bmz.de/de/laender/mauretanien
   DIR [2] https://www.bmz.de/de/laender/sahel-allianz
   DIR [3] /Nach-dem-Putsch-in-Niger/!5951671
   DIR [4] /Nigers-Praesident-im-taz-Interview-2021/!5782261
   DIR [5] https://ecowas.int/
   DIR [6] https://www.bmz.de/de/aktuelles/aktuelle-meldungen/bundesregierung-richtet-sahel-politik-neu-aus-153552
   DIR [7] https://nouakchott.diplo.de/mr-de
   DIR [8] https://institutfrancais-mauritanie.com/
   DIR [9] https://www.unhcr.org/countries/mauritania
   DIR [10] https://energycapitalpower.com/mauritania-global-green-hydrogen-hub/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anna Lehmann
       
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