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       # taz.de -- Ermordung von Olof Palme vor 34 Jahren: Zeuge oder Täter?
       
       > Stig Engström war der Polizei von Anfang an als Zeuge bekannt. Nun wird
       > er verdächtigt, der Mörder des damaligen Ministerpräsidenten zu sein.
       
   IMG Bild: Der Schwedische Premierminister Olof Palme mit seiner Frau Lisbeth in den 70ern
       
       TÄLLÄNG taz | Schwedens Anklagebehörde hält die [1][Ermordung des damaligen
       Ministerpräsidenten Olof Palme] nach 34 Jahren für aufgeklärt. Der Mann,
       der am 28. Februar 1986 um 23.21 Uhr in Stockholms Innenstadt zwei Schüsse
       abgefeuert habe, sei Stig Engström gewesen.
       
       Der damals 52-jährige Versicherungsangestellte habe mit dem ersten Schuss
       den 59-jährigen Palme getötet, der nach einem Kinobesuch zusammen mit
       Ehefrau Lisbeth zu Fuß auf dem Nachhauseweg war. Durch einen zweiten Schuss
       war Lisbeth Palme leicht an der Schulter verletzt worden.
       
       Oberstaatsanwalt Krister Petersson, Leiter der Palme-Sonderkommission,
       teilte auf einer Pressekonferenz am Mittwoch in Stockholm neben diesem
       Ergebnis auch mit, dass die Ermittlungen im Mordfall Palme damit
       eingestellt würden. Gegen den nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft
       Schuldigen könne es keinen Prozess mehr geben – er verstarb vor 20 Jahren
       mit 66 Jahren, laut Totenschein an einer Kombination von großen Mengen
       Whisky und einer Überdosis Schmerztabletten.
       
       Engström hatte sich 1986 am Tag nach der Tat selbst bei der Polizei
       gemeldet: Nach Überstunden habe er um 23.19 Uhr sein Büro verlassen, das
       nur 50 Meter vom Tatort entfernt liegt. Die Schüsse habe er auf dem Weg zur
       U-Bahn gehört, sei dann schnell zum Tatort geeilt, habe Erste Hilfe
       geleistet und sogar einige Worte mit Lisbeth Palme gewechselt.
       
       ## Angeblich nur ein „Wichtigtuer“
       
       Engström sorgte dafür, dass diese Geschichte in mehreren Medien
       veröffentlicht wurde. Nur hatte ihn keiner der anderen Tatortzeugen dort
       jemals gesehen. Bei Polizeiverhören und in Medieninterviews machte er immer
       wieder widersprüchliche Aussagen, zeitweise wurde in der damaligen
       Sonderkommission diskutiert, ob er womöglich der Täter sein könnte.
       
       Doch er wurde als bloßer „Wichtigtuer“ ad acta gelegt. Er sei nicht der
       „passende“ Tätertyp, habe kein ersichtliches Motiv, und es blieb unklar,
       wie er an eine Waffe gekommen sein soll.
       
       In mehreren Interviews kritisierte Engström die Ermittlungen der Polizei
       als ineffektiv. Man würde seine Aussagen nicht ernst genug nehmen. In einem
       letzten Interview äußerte er 1992 die Vermutung, der Mörder Palmes sei
       sicher ein mit der Politik des Ministerpräsidenten unzufriedener
       Einzeltäter gewesen. Dem sei Palme vielleicht zufällig über den Weg
       gelaufen, so Engström, der Täter habe vielleicht zufällig eine Waffe
       dabeigehabt und dann: „Du Scheißkerl – Peng! Das ist ja leider menschlich
       oder wenn man so will unmenschlich.“
       
       Dass diese Rolle Engström selbst eingenommen hat, glaubt nun die
       Palme-Kommission. Warum man Engström nie wirklich als möglichen Täter in
       Betracht gezogen habe, sei unverständlich, sagte Oberstaatsanwalt
       Petersson.
       
       Zwar sei durch zwischenzeitliche Digitalisierung das umfangreiche
       Ermittlungsmaterial nun leichter zugänglich als Ende der 1980er Jahre. Aber
       seiner Meinung nach habe es damals einen nicht nachvollziehbaren Umgang mit
       Zeugenaussagen gegeben: Oft seien diese nicht analysiert, sondern offenbar
       einfach abgeheftet worden.
       
       ## Unbefriedigende Ermittlungsergebnisse
       
       „Gar keine Lösung ist das“, kritisierte der Kriminologie-Professor Leif GW
       Persson die Ermittlungsergebnisse. Weder die Frage nach der Waffe, nach dem
       Tatmotiv, noch ob Engström als Einzeltäter oder Teil eines Komplotts
       gehandelt habe, sei beantwortet, kritisierten erste Analysen. Und wenn
       Ermittler die Frage, woher Engström einen Revolver haben sollte, damit
       beantworteten, er müsse ja einen gehabt haben, sonst wäre Palme nicht
       erschossen worden, sei kaum eine schwächere Argumentation denkbar.
       
       Offenbar habe man die Ausschlussmethode benutzt, vermutet Rechtsanwalt
       Peter Althin: „Alle anderen, die in Tatortnähe waren, können es nicht
       gewesen sein, also war Engström es.“ Sein Kollege Leif Silbersky: „Man kann
       doch nicht einen Verstorbenen als Täter präsentieren, wenn man nicht den
       geringsten Beweis hat.“ Man hätte die Ermittlungen besser mit dem Fazit
       „Täter unbekannt“ einstellen sollen, glaubte aber offenbar, irgendein
       Resultat auf den Tisch legen zu müssen, meint Rechtsanwältin Hanna
       Lindblom.
       
       Ein solcher Abschluss der Ermittlungen sei so unbefriedigend wie deren
       gesamter Verlauf, kommentiert Dagens Nyheter: „Statt Klarheit in der
       Schuldfrage haben wir das Monument über ein polizeiliches Fiasko bekommen.“
       Es sei eine Auflösung, die gar nichts löse und nur die „Inkompetenz der
       schwedischen Polizei bekräftige“. Sie verstehe die Kritik, sagte Lina Nitz,
       Vorsitzende der Polizeigewerkschaft: „Ich habe auch mehr erwartet.“ Andere
       Kommentare wiesen darauf hin, dass die Staatsanwaltschaft nichts weiter
       getan habe, als die Erkenntnisse aus zwei Büchern zu kopieren. 2016 hatten
       der Verfasser Lars Larsson und 2018 der Journalist Thomas Petersson
       ausführliche Recherchen präsentiert, die auf eine Täterschaft Engströms
       hindeuteten.
       
       Zumindest Palme-Sohn Mårten Palme überzeugt das Ergebnis: „Ich glaube, er
       war es. Schade, dass es keinen 100-prozentigen Beweis gibt.“
       Palme-Amtsnachfolger und Ex-Ministerpräsident Ingvar Carlsson äußerte: „Das
       scheint mir glaubwürdig. Weiter kann man mittlerweile wohl auch gar nicht
       mehr kommen. Aber weil es keine handfesten Beweise gibt, ist das natürlich
       kein Schlussstrich. Theorien wird es weiter geben.“ Und Ministerpräsident
       Stefan Löfven meint, die Tür für weitere Ermittlungen sei ja nicht völlig
       geschlossen worden: „Wie ich es verstehe, kann man die ja wieder öffnen,
       wenn es neue Erkenntnisse gibt.“
       
       10 Jun 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Reinhard Wolff
       
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