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       # taz.de -- Es schwurbelt in Bremen: Demo-Beobachter vor Gericht
       
       > In einem Video hat ein Aktivist Demonstrierende unter anderem als
       > Querdenker und Nazis bezeichnet. Seine Anwältin spricht von einem
       > Skandal.
       
   IMG Bild: Ganz normal bei Demos von Impfgegner*innen und Coronaleugner-*innen: filmen und gefilmt werden
       
       Bremen taz | Es dauerte nicht einmal eine Stunde, dann sprach das
       Amtsgericht Bremen am Donnerstagmorgen einen Mann vom Vorwurf der
       Beleidigung frei. Der Staatsanwalt hielt bis zuletzt an der Linie seiner
       Behörde fest und forderte eine Geldstrafe von 600 Euro, was dem Angeklagten
       und seiner Begleitung im Publikum ungläubiges Lachen entlockte. Seine
       Anwältin findet: „Die Staatsanwaltschaft hat sich vor den Karren dieser
       Leute spannen lassen.“
       
       „Diese Leute“ – damit sind [1][Demonstrierende aus dem Querdenken-Spektrum]
       gemeint, oder jene, die mit ihnen gemeinsam auf die Straße gehen. Der
       Angeklagte begleitet solche Demos, inzwischen nicht mehr nur in
       Norddeutschland. „Meine Hauptberufung ist, denen das Leben so schwer wie
       möglich zu machen“, sagte er in der Verhandlungspause. Übergriffe habe es
       noch nicht gegeben, Anfeindungen dagegen schon. Seinen Namen möchte er
       deswegen nicht öffentlich nennen. Laut seiner Anwältin ist er „eine gewisse
       Hassfigur“, weil er bei solchen Veranstaltungen kritisch auftrete.
       
       [2][Vor Gericht] ging es um eine Demo am 14. September 2022. Rund 150
       Menschen hätten im Bremer Stadtteil Vahr protestiert, sagte der Angeklagte
       vor Gericht. Er streamte auf seinem Twitter-Kanal „Demoticker & Infos HB“
       ein Live-Video. Die Beschreibung: „Es schwurbelt in der Vahr #hb1409“.
       
       Zu sehen sind ein gepflasterter Platz, große Polizeiautos, dahinter eine
       Gruppe Demonstrierender. Er selbst hält die Kamera und spricht zu den
       Zuschauenden – laut dem Stream sind das rund 16 Leute. „Es sind sehr, sehr
       viele Kiddies am Start, alle sehr interessiert, was hier abgeht.“
       
       ## Ein Kind fragt: „Was heißt Nazis?“
       
       Dann redet er mit den Kindern, die nicht zu sehen sind, ihre Stimmen sind
       aber im Hintergrund zu hören. „Moin, moin, ihr wisst, wer das ist?
       Querdenker, Impfgegner, Holocaustleugner, Rassisten, alles sowas.“ Später
       sagt er in dem Video: „Nazis sind auch mit dabei.“
       
       Der letzte Satz ist am Donnerstag für die Richterin relevant: „Ich verstehe
       das so: Sie sagen, da sind Nazis dabei, und nicht, das sind alle Nazis.“
       
       Im Video fragt ein Kind den Angeklagten: „Was heißt Nazis?“ Er antwortet:
       „Rechtsradikale. Das ist das Volk, das immer schreit ‚Ausländer raus‘. Aber
       pass auf: Dieses Nazis-raus-Schild, was du da siehst, das ist Bullshit, das
       machen die nur dran um wieder zu sagen ‚Wir sind ja keine Nazis‘.“ Er
       erzählt weiter, dass die Leute Chat-Gruppen bei Telegram hätten, in denen
       zum Beispiel gegen Geflüchtete gehetzt werde. Auch „Reichsbürger“ seien
       dabei.
       
       „Ich bin Ausländer, ich geh hier nicht raus“, sagt ein Kind. „Ne, brauchst
       du auch nicht“, sagt der Mann. „Ich find’s schön, dass du hier bist.“
       
       Zum Zeitpunkt, als er das Video streamte, hat das Profil etwa 4.600
       Follower. Inzwischen heißt es auf der neuen Plattform X „Der Captain“.
       
       ## Aufruf zur Anzeige
       
       Anwältin Lea Voigt erzählte vor Gericht, dass die Veranstaltenden nach der
       Demo dazu aufgerufen hätten, ihren Mandanten anzuzeigen. Die
       Staatsanwaltschaft habe deren Behauptungen einfach übernommen und einen
       Strafbefehl beantragt. Weil ihr Mandant sich gegen diesen wehrte, stand er
       nun vor Gericht. Die Behörde habe nicht geprüft, ob die Worte ihres
       Mandanten nicht auch eine „wahre Tatsachenbehauptung“ sein könnten, rügte
       die Anwältin.
       
       Denn die Gruppe, die die Demo veranstaltete und sich damals „Gemeinsam
       stark“ nannte (später: „Bremen steht auf“), kommt im
       Verfassungsschutzbericht 2022 vor. Unter den Organisator*innen
       befänden sich „auch Angehörige des Phänomenbereichs der
       ‚Verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates‘“, heißt es darin.
       
       Bei ihren Demos werden „regelmäßig Mitglieder der im Jahr 2021 aktiven,
       extremistischen Gruppierung ‚Querdenken 421‘ als Ordner eingesetzt“. 2022
       hätten, wie im Vorjahr, „vereinzelt langjährige Mitglieder der Bremer sowie
       der überregionalen rechtsextremistischen Szene“ an Demos teilgenommen.
       
       Im Bericht werden einzelne Demos genannt, auf denen bestimmte Leute
       aufgetreten sind. Auch online kursierten ihre Ansichten: „In den ‚Gemeinsam
       Stark Bremerhaven‘ und ‚Bremen steht auf‘ zuzuordnenden Telegram-Kanälen
       werden regelmäßig Beiträge geteilt, die sich gegen das Demokratieprinzip
       richten.“
       
       ## Staatsanwalt hält Argumentation für unglaubwürdig
       
       Ob die Behauptungen des Angeklagten aus dem Video wahr sind, wurde am
       Donnerstag gar nicht thematisiert. Schnell war klar, dass die
       Formulierungen ohnehin keine Verurteilung für Beleidigung zulassen. Auch
       wenn der Staatsanwalt es „unglaubwürdig“ findet, dass es nicht um die ganze
       Gruppe gegangen sei – der Angeklagte habe das Wort „dabei“ ja schließlich
       nur einmal am Rande eines Satzes gesagt, bei den Zuschreibungen vorher aber
       eben nicht. Zudem gehe es um eine öffentliche und „scharfe“ Beleidigung.
       Eine Geldstrafe sei daher „angemessen“.
       
       Er war zudem überzeugt, dass der Angeklagte gar nicht wissen könne, wer da
       so demonstriert hat. Auch darüber musste dieser lachen. Seine Anwältin
       antwortete: „Wir haben das Gericht damit verschont, die Leute einzeln
       durchzugehen.“
       
       Voigt erzählte abschließend: „Für meinen Mandanten war das keine
       Kleinigkeit. Er hat letzte Nacht kein Auge zugetan.“ Sein politisches
       Engagement stehe erheblich unter dem Einfluss des Verfahrens. „Die Leute
       haben erreicht, was sie wollten. Sie stellen ihn auf Demos als Straftäter
       dar.“ Die Worte ihres Mandanten fielen unter die freie Meinungsäußerung.
       Ihrer Ansicht nach hätte es die Verhandlung nicht gebraucht. „Das ist
       ziemlich skandalös. Mich lässt das wirklich sprachlos zurück“, sagt die
       Anwältin.
       
       Ihr Mandant ist nach der Verhandlung erleichtert: „Der Stein müsste noch da
       oben im Gerichtssaal liegen.“
       
       28 Oct 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Querdenker-Demo-in-Goettingen/!5959242
   DIR [2] /Kundgebung-vor-Landgericht-Braunschweig/!5963715
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alina Götz
       
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