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       # taz.de -- Essayfilm von Johan Grimonprez: Timeline der Kongokrise
       
       > 1961 wurde der kongolesische Premier Lumumba ermordet. „Soundtrack to a
       > Coup d’Etat“ arbeitet mit Archivmaterial die koloniale Vergangenheit auf.
       
   IMG Bild: Die Ankunft Patrice Lumumbas in Brüssel in „Soundtrack to a Coup d’Etat“
       
       Man wisse erst dann etwas über einen bestimmten Fleck auf der Landkarte,
       wenn der weiße Mann dort angekommen sei, hört man die südafrikanische
       Sängerin Miriam Makeba in einem Archivausschnitt sagen. „Erst wenn der
       Weiße dich entdeckt hat, existierst du! Es ist lächerlich!“
       
       Die Aufnahme stammt aus den 60er Jahren, wie der Großteil des Materials,
       aus dem der Essay- und Dokumentarfilm „Soundtrack to a Coup d’Etat“
       zusammengesetzt ist. Sehr vieles hat sich in der Zwischenzeit verändert.
       Aber über das, was heute in den Ländern Afrikas vor sich geht, wissen die
       Menschen im Westen der Gegenwart eher noch weniger als zu Beginn der 60er
       Jahre.
       
       Damals sprach man gar von der „afrikanischen Dekade“. Allein im Jahr 1960
       wurden 16 neue unabhängige afrikanische Staaten in die UN aufgenommen. Und
       aus den Nachrichtenbildern jener Zeit ist in gewisser Weise die Aufregung
       zu spüren, die mit dieser Verschiebung der Stimm- und Machtverhältnisse
       verbunden war.
       
       Aus Ägypten Nasser, aus Indonesien Sukarno, aus Indien Nehru, aus Ghana
       Kwame Nkrumah – mit Selbstbewusstsein lassen sie sich beim Betreten der UN
       in New York filmen. Es herrscht Aufbruchstimmung.
       
       ## Chruschtschows Schuh-Anekdote
       
       Hinter den Kulissen ringen die Parteien des Kalten Kriegs, die Großmächte
       USA und Sowjetunion, um Einflussnahme auf die neuen Staaten. An welche
       Bilder von 1960 sich seine Zuschauer erinnern, fragt ein US-amerikanischer
       Fernsehmoderator. Doch sicher daran, wie der „chief of communism“ Nikita
       Chruschtschow während der UN-Versammlung wütend mit seinem Schuh auf den
       Tisch klopfte?
       
       Chruschtschow sieht man einige Male im Film des belgischen Künstlers Johan
       Grimonprez. Und während manche noch die Schuh-Anekdote kennen – es gibt
       keine Aufnahmen davon, Grimonprez hätte sie sicher verwendet –, sind die
       Reden, die der sowjetische Generalsekretär in jenem Schicksalsjahr 1960 vor
       der UN hielt, völlig vergessen. Was sicher auch damit zu tun hat, dass
       seine kräftigen Worte – „Tod der kolonialistischen Sklaverei! – für viele
       im direkten Widerspruch zu den Ereignissen etwa im Ungarn von 1956 standen.
       
       Ein ums andere Mal sieht man, wie der kleine bärige Mann die „jungen“
       Staatsführer aus Asien, Afrika und der Karibik küsst und herzt und in seine
       Arme schließt, eine wahre Liebesattacke. Die Vertreter der USA schauen
       kritisch oder werden mit ihren schlimmsten Aussagen zitiert: „Präsident
       Eisenhower drückt den Wunsch aus, der kongolesische Premier Lumumba möge in
       einem Fluss mit Krokodilen versinken“ (19. 9. 1960).
       
       Der im Mai zum Premier seines Ende Juni 1960 unabhängig gewordenen Landes
       gewählte [1][Patrice Lumumba (1925–1961)] bildet das Zentrum von
       „Soundtrack to a Coup d’Etat“. Allerdings nicht in dem Sinn, dass es hier
       um sein – allzu kurzes – Leben geht, sondern vielmehr ist er der Magnet, um
       den herum sich das Kraftfeld dieses Films organisiert.
       
       ## Es beginnt und endet mit Maya Angelou
       
       Grimonprez beginnt mit Sätzen aus den Erinnerungen der US-amerikanischen
       Bürgerrechtsaktivistin Maya Angelou. Er arrangiert sie auf der schwarzen
       Leinwand, wie man es heute mit Textnachrichten von Smartphones macht: „Am
       Freitag gehen unsere Frauen zu den Vereinten Nationen!“ Gemeint ist
       Freitag, der 13. Februar 1961. Aus Protest gegen die zwei Wochen zuvor
       geschehene Ermordung von Patrice Lumumba stürmten Angelou und ihre
       Mitstreiterinnen und Mitstreiter die UN-Versammlung.
       
       Die Aktion markiert Auftakt und Endpunkt von Grimonprez’ Film, der
       dazwischen für 150 Minuten mit einer suggestiven, stimmungsvollen und
       absolut fesselnden Montage aus Zitaten, Archiv-Clips und Musik in Belange
       eintaucht, die fremd und zugleich verdächtig vertraut erscheinen.
       
       Rhythmisiert durch Ausschnitte, in denen [2][Jazz-Drummer Max Roach] und
       die Sängerin Abby Lincoln aus ihrem 1960er Album „We Insist! Freedom Now
       Suite“ vortragen, arbeitet sich der Film durch die Timeline der sogenannten
       Kongokrise, die mit der Unabhängigkeit ausbrach.
       
       Die Rede, die Lumumba zu dem Anlass hält, schmeckt den nun ehemaligen
       belgischen Kolonialherren gar nicht. Dass Lumumba den Widerspruch benennt,
       zwischen dem, was die Europäer als Werte lehrten und was sie den Menschen
       im Kongo angetan hätten, finden sie geschmacklos und undankbar. Man
       versucht, Lumumba als Kommunisten zu diffamieren.
       
       ## Faktor Rohstoffe
       
       Auf keinen Fall wollen sie die Kontrolle über den kongolesischen Landstrich
       Katanga verlieren, wird dort neben anderen Rohstoffen (die wie Coltan bis
       heute wichtig sind) doch Uran abgebaut. Verdächtig, dass sich Katanga,
       offenbar unterstützt von Belgien und der CIA, bald unabhängig vom
       unabhängigen Kongo machen will. Es ist ein Drehbuch, das heutzutage
       ironischerweise auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion neue Anwendung
       findet.
       
       Solche direkten Bezüge zur Gegenwart meidet Grimonprez aber. Sein Film
       wirkt auch so gegenwärtig genug. Seine besondere Spannung gewinnt er
       daraus, wie er das Thema Jazz und die Rolle Schwarzer US-amerikanischer
       Künstler wie Nina Simone, Duke Ellington und Dizzy Gillespie mitlaufen
       lässt. Zur selben Zeit, als Lumumba abgesetzt und inhaftiert worden war,
       schickten die USA Louis Armstrong als „Jazz Ambassador“ nach Afrika.
       „Satchmo swings in Congo“ – wohlgemerkt aus einem Land, in dessen
       Südstaaten noch Segregation herrschte.
       
       6 Feb 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Schweizerhof
       
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