URI: 
       # taz.de -- Explosion in Beirut: Die „Bombe“ war seit Jahren bekannt
       
       > Im Libanon wusste man seit Jahren von der Gefahr, die im Hafen von Beirut
       > lagerte. Trotzdem ist noch vieles offen. Was wir wissen – und was nicht.
       
   IMG Bild: Hier lagerte die explosive Fracht über Jahre – nach der Explosion ist der Beiruter Hafen verwüstet
       
       Berlin taz | Man kann von Glück sprechen, dass bei der [1][Detonation am
       Dienstagabend in Beirut] nicht weit mehr als die bislang bestätigten 137
       Menschen ums Leben gekommen sind. Die Explosion war eine Bombe der
       Superdimension – kaum auszumalen ist das Ausmaß, wäre sie im Stadtgebiet
       oder etwa am Flughafen in die Luft gegangen und nicht auf dem für Unbefugte
       in weiten Teilen nicht zugänglichen Hafengelände der libanesischen
       Hauptstadt.
       
       An den Angaben libanesischer Behörden und hochrangiger Politiker, dass
       Ursache der Detonation rund [2][2.750 Tonnen Ammoniumnitrat] waren, die
       seit Jahren im Hafen lagerten, besteht wenig Zweifel. Die Aussagen decken
       sich mit aktuellen Recherchen und online zugänglichen Berichten, die vor
       der Explosion über das Material Auskunft geben. Aufgeklärt ist der Vorfall
       damit allerdings noch lange nicht: Warum lagerte das Ammoniumnitrat in dem
       Hafen? Und warum unternahmen die Behörden – trotz mehrfacher Warnung –
       nichts?
       
       Das ist bislang bekannt: Detaillierten Recherchen des
       Investigativ-Netzwerks [3][Bellingcat zufolge] lagerte das Ammoniumnitrat
       im Hangar 12 des Beiruter Hafens, in unmittelbarer Nähe zu den belebten
       Beiruter Ausgeh- und Künstlervierteln Gemmayzeh und Mar Mikhael. Wie das
       Material dort hingelangte, darüber gibt ein kurzer, auf Juli 2014 datierter
       [4][Eintrag auf der Webseite des Unternehmens Fleetmon] Auskunft, das unter
       anderem Positionsdaten und Bewegungen von Schiffen beobachtet.
       
       Dort heißt es: Das Schiff „‚RHOSUS‘ lief im Oktober letzten Jahres Beirut
       im Libanon an. Mit Ammoniumnitrat beladenes Schiff war für ein anderes Land
       bestimmt. Der Grund, warum sie Beirut anrief, ist unklar, möglicherweise
       für Lieferungen oder aufgrund mechanischer Probleme. Seitdem ist das Schiff
       in Beirut gestrandet.“ Verfasst wurde der Eintrag von dem [5][Journalisten
       Mikhail Voytenko], der sich auf seinem Twitter-Account als
       „Maritim-Experte“ bezeichnet.
       
       ## Hochexplosive Ladung im Hafen
       
       Seine Angaben decken sich weitgehend mit den Aussagen des libanesischen
       Regierungschefs Hassan Diab, der noch am Dienstagabend sagte, 2.750 Tonnen
       Ammoniumnitrat hätten ohne Vorsichtsmaßnahmen im Hafen von Beirut gelagert
       – auch wenn er nicht von knapp sieben, sondern nur von nur sechs Jahren
       sprach, was möglicherweise damit zu erklären ist, dass die Fracht erst
       später verladen und im Hangar 12 gelagert wurde.
       
       Wann dies genau geschah, ist bislang unklar. Offenbar lag die Rhosus mit
       der hochexplosiven Ladung monatelang im Hafen. In dem Fleetmon-Eintrag von
       Juli 2014 ist von einer Verladung noch nicht die Rede. Selbst einige
       Crew-Mitglieder waren demnach noch an Bord, drei Ukrainer und ein Russe.
       
       Die libanesischen Behörden hätten ihnen nicht gestattet, von Bord zu gehen.
       „Der Grund liegt auf der Hand“, schreibt der Autor. „Die Hafenbehörden
       möchten nicht mit verlassenen Schiffen an ihren Händen zurückgelassen
       werden, die mit gefährlicher Fracht und Sprengstoff beladen sind.“
       
       Hier beginnen die Fragen: Dem Bericht zufolge hatten sowohl der Eigentümer
       der „Rhosus“ als auch der des Ammoniumnitrats das Schiff mitsamt der Ladung
       aufgegeben. Warum? Die aus Georgien kommende „Rhosus“ war mit ihrer Ladung
       eigentlich auf dem Weg nach Mosambik, wie Juristen des Anwaltnetzwerks
       [6][shiparrested.com] [7][angaben], die 2015 mit dem Fall befasst waren.
       
       ## Briefe warnten vor Gefahr
       
       Das explosive Material im Hafen der Millionenmetropole war also kein
       Geheimnis. Das untermauern jüngste Angaben des Chefs der libanesischen
       Zollbehörde, Badri Daher. Ihm zufolge haben Zollmitarbeiter mindestens
       sechs Briefe verfasst und vor einer Gefahr durch die Ladung gewarnt.
       
       Dies [8][berichtete] am Mittwoch der Nachrichtensender Al Jazeera. Den
       Recherchen zufolge schlug der Zoll drei Optionen vor: das Ammoniumnitrat
       exportieren, es der libanesischen Armee übergeben oder es an ein
       Privatunternehmen verkaufen.
       
       Eine Antwort blieb demnach aus, bis es zu spät war. Den
       Bellingcat-Recherchen zufolge brach am Dienstag zunächst in einer
       Lagerhalle, offenbar dem Hangar 12, ein Feuer aus. In lokalen Medien war
       als Ursache von Schweißarbeiten die Rede, was bislang aber nicht bestätigt
       ist. Auch ungeklärt ist, ob Feuerwerk im Spiel war, wie einige Medien
       [9][berichteten]. Es folgten mehrere kleine Explosionen und schließlich die
       riesige Detonation, [10][die ganze Stadtteile Beiruts verwüstete] und das
       Land noch über Jahre beschäftigen dürfte.
       
       6 Aug 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Explosion-im-Libanon/!5705536
   DIR [2] /Explosion-am-Hafen-von-Beirut/!5705542
   DIR [3] https://www.bellingcat.com/news/mena/2020/08/04/what-just-blew-up-in-beirut/
   DIR [4] https://www.fleetmon.com/maritime-news/2014/4194/crew-kept-hostages-floating-bomb-mv-rhosus-beirut/
   DIR [5] https://twitter.com/maritime_bullet?lang=de
   DIR [6] https://shiparrested.com/
   DIR [7] https://shiparrested.com/wp-content/uploads/2016/02/The-Arrest-News-11th-issue.pdf
   DIR [8] https://www.aljazeera.com/news/2020/08/officials-knew-danger-beirut-port-years-200805032416684.html
   DIR [9] http://nna-leb.gov.lb/ar/show-news/494585/
   DIR [10] /Nach-Explosion-in-Beirut/!5700273
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jannis Hagmann
       
       ## TAGS
       
   DIR Libanon
   DIR Beirut
   DIR Beirut
   DIR Protest
   DIR Schwerpunkt Emmanuel Macron
   DIR Beirut
   DIR Libanon
   DIR Protest
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Ein Jahr nach der Explosion in Beirut: Der große Knall und die Gründe
       
       Vor einem Jahr explodierten tonnenweise Chemikalien im Hafen von Beirut.
       Für die Katastrophe sollen Korruption und Mafia verantwortlich sein.
       
   DIR Nach der Explosion in Beirut: Zusammen fegen
       
       Vor allem junge Menschen kommen in die zerstörten Viertel Beiruts, um
       aufzuräumen. Aus Trauer wird Wut auf den Staat. Zerbricht der Libanon?
       
   DIR Explosion im Libanon: Totales Staatsversagen
       
       Die Katastrophe zeigt, dass die Politik im Libanon vollends gescheitert
       ist. Die Regierenden hatten das Vertrauen in den Staat schon zuvor
       verspielt.
       
   DIR Nach Explosion in Beirut: Stimmen aus einer verwüsteten Stadt
       
       Eine gigantische Explosion hat die halbe Hauptstadt des Libanon zerstört.
       Die Anwohner*innen fühlen sich im Stich gelassen.
       
   DIR Explosion am Hafen von Beirut: Hochgefährliche Chemikalie
       
       Ammoniumnitrat dient weltweit vor allem als Grundstoff für Dünger. In der
       Vergangenheit kam die Chemikalie auch bei Anschlägen zum Einsatz.
       
   DIR Andauernde Proteste im Libanon: Gegen das korrupte System
       
       Zum ersten Mal seit der Coronakrise demonstriert Libanons Protestbewegung.
       Es gibt Spannungen zwischen schiitischen und christlichen Milizionären.