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       # taz.de -- FAQ zum Wirecard-Skandal: EY, was soll das?
       
       > Die Prüfer von EY wollen für den Wirecard-Betrug nicht zuständig gewesen
       > sein. Zocker haben es hier leicht. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
       
   IMG Bild: Da hilft auch kein Beten mehr: Ex-Wirecard-Chef Braun wurde am Mittwoch verhaftet
       
       Der Fall Wirecard wird immer irrer und wirrer. Kann die ganze Sache Leuten,
       die keine BörsenzockerInnen sind, nicht egal sein? 
       
       Nein. Die Sache betrifft nicht nur Vermögende, die sich verzockt haben.
       Weil das Unternehmen im deutschen Aktienleitindex DAX gelistet ist, zahlen
       auch viele für den Schaden, denen das gar nicht klar ist, zum Beispiel
       Leute, die eine Lebensversicherung haben. Bei vielen Geldanlagen wird
       gezielt in Papiere von DAX-Unternehmen investiert. Durch den [1][Sturz von
       Wirecard] sind Milliarden an Vermögen vernichtet worden. Abgesehen davon:
       Der Fall ist ein spannender Wirtschaftskrimi.
       
       Was ist passiert? 
       
       Wirecard galt als der große Hoffnungsträger der deutschen Fin-Tech-Szene.
       Das Unternehmen wickelt Zahlungen im bargeldlosen Verkehr ab und ist
       schnell extrem gewachsen. Nachdem der Börsenkurs geradezu explodiert ist,
       ist Wirecard 2018 in den DAX aufgestiegen – und jetzt innerhalb von Wochen
       zusammengebrochen. Denn es hat sich herausgestellt, dass die hohen Gewinne
       erfunden waren, die den Börsenkurs in die Höhe getrieben haben. Unklar ist,
       ob 1,9 Milliarden fehlende Euro geklaut wurden oder nie existiert haben.
       
       Wer sind die Schurken? 
       
       Sicher nicht nur der ehemalige Wirecard-Chef Markus Braun und zwei Manager,
       die die Staatsanwaltschaft München I [2][am Mittwoch hat verhaften lassen].
       „Nach derzeitiger rechtlicher Prüfung werden den Beschuldigten in zum Teil
       verschiedenem Umfang gewerbsmäßiger Bandenbetrug, Untreue, unrichtige
       Darstellung und Marktmanipulation in mehreren Fällen vorgeworfen“, teilte
       die Staatsanwaltschaft mit. Die ehemalige Nummer zwei bei Wirecard, Jan
       Marsalek, ist auf der Flucht. Wer und wie viele mit von der Partie waren,
       werden die Ermittlungen zeigen.
       
       Wie ist der Betrug aufgeflogen? 
       
       Weil es Meldungen über Unregelmäßigkeiten gab, verlangte ein
       Geschäftspartner eine Sonderprüfung durch einen Wirtschaftsprüfer, der bis
       dahin nicht bei Wirecard tätig war. Unklar ist, warum sich die Manager
       darauf eingelassen haben, ob sie etwa glaubten, ihr Betrugssystem sei
       wasserdicht. Die Prüfer von KPMG lieferten einen vernichtenden Bericht ab,
       denn sie fanden für angebliche Umsätze keine Belege. Daraufhin verweigerte
       der Haus-Wirtschaftsprüfer EY (früher Ernst & Young) das Testat. Kurz
       danach ist Wirecard implodiert und hat Insolvenz angemeldet.
       
       Hat vorher keiner gemerkt, dass etwas nicht stimmte? 
       
       Die Wirtschaftsprüfer von EY haben über Jahre eine saubere Bilanz testiert.
       Dabei gab es schon 2008 erste Hinweise auf Unregelmäßigkeiten. Die
       Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger erhob den Vorwurf der
       Bilanzmanipulationen. Doch als bekannt wurde, dass Mitglieder auf fallende
       Kurse von Wirecard spekuliert hatten, wurde das nicht mehr ernst genommen.
       Seitdem bestand die Verteidigungsstrategie von Wirecard bei Vorwürfen stets
       darin, KritikerInnen versuchte Marktmanipulation zu unterstellen. Das
       geschah auch, als die Financial Times 2019 über Bilanzmanipulationen
       berichtete.
       
       Lesen die Leute von der deutsche Finanzaufsicht keine Zeitung? 
       
       Doch. Die [3][Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin)] hat
       durchaus auf die Berichte reagiert: Sie hat den Journalisten der Financial
       Times angezeigt – wegen versuchter Marktmanipulation. Vorher haben die
       AufseherInnen sogenannte Leerverkäufe von Wirecard-Aktien verboten, mit
       denen AnlegerInnen auf fallende Kurse spekulieren. Das wurde von der
       Finanzwelt als Vertrauensbeweis für Wirecard interpretiert. Die Bafin hat
       zwar eine Untersuchung bei der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung in
       Auftrag gegeben – aber nicht reagiert, als der Bericht nicht kam.
       
       Wie werden Aktiengesellschaften in Deutschland überhaupt kontrolliert und
       von wem? 
       
       Wirtschaftsprüfer – in der Regel einer der großen Gesellschaften Deloitte,
       EY, KPMG und PwC – bestätigen die Richtigkeit eines Jahresabschlusses mit
       einem Testat. Der Aufsichtsrat nimmt den Bericht der Wirtschaftsprüfer ab.
       Die nächste Instanz ist die Bafin, die wiederum Kontrollaufträge an die
       Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung gibt.
       
       Was ist die Prüfstelle? 
       
       Das ist ein eingetragener Verein, der als „Bilanzpolizei“ gilt. Die
       Prüfstelle hat ihren Sitz in den Axel-Springer-Arkaden in Berlin. Nach
       eigenen Angaben hat sie dort ganze 14 Prüfer – für weit mehr als 1.000
       Unternehmen. Sie kann Aktiengesellschaften nur stichprobenartig
       kontrollieren. Die Bundesregierung hat den Vertrag mit ihr nach dem
       Wirecard-Reinfall gekündigt. Die Prüfstelle selbst verweist darauf, dass
       sie gar nicht für die Aufdeckung von Betrug zuständig sei. „Das Aufspüren
       von Bilanzbetrug und Ermittlungen sind nicht Bestandteil des
       Aufgabenkatalogs“, heißt es in einer Erklärung der Prüfstelle.
       
       Hat der Fall keine Konsequenzen für EY? 
       
       Hunderte Anleger haben Klagen gegen EY wegen ihres Vermögensverlustes
       angedroht.
       
       Und was ist mit der staatlichen Finanzaufsicht Bafin? 
       
       Bis jetzt steht Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) fest zur
       Bafin-Spitze. Er will die Aufsicht künftig besser ausstatten und ihr mehr
       Rechte einräumen – was er genau will, bleibt aber nebulös.
       
       Haben es Wirtschaftskriminelle in allen Ländern so leicht wie in
       Deutschland? 
       
       Nein. In den USA zum Beispiel hat die Börsenaufsicht weitreichende Rechte,
       um Unternehmen umfassend zu kontrollieren. Anders als hierzulande gibt es
       dort ein Unternehmensstrafrecht. Unternehmen können zu hohen Geldstrafen
       verurteilt und sogar vom Staat zerschlagen werden.
       
       Wie geht es weiter? 
       
       Am kommenden Mittwoch wird es eine Sondersitzung des Finanzausschusses zu
       Wirecard geben. Möglicherweise wird der Bundestag einen
       Untersuchungsausschuss einrichten.
       
       Kann die Sache für Finanzminister Scholz gefährlich werden? 
       
       [4][Scholz macht zurzeit eine äußerst unglückliche Figur] – und das nicht
       zum ersten Mal. Auch bei den anrüchigen Cum-Ex-Geschäften, bei denen
       Investoren nicht gezahlte Steuern rückerstattet bekamen, wurde ihm
       vorgeworfen, als Hamburger Bürgermeister nicht richtig hingeschaut zu
       haben.
       
       23 Jul 2020
       
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