# taz.de -- Faszinosum Reality-TV: Wie weit zu weit ist
> Eine Show ohne Drama funktioniert nicht. Doch wie viel darf gezeigt
> werden und wer übernimmt die Verantwortung dafür?
IMG Bild: Andrej Mangold (r.) galt in „Sommerhaus der Stars“ als Mobber
Was wirklich hinter den Kulissen einer Reality-Show passiert, können
Zuschauer:innen nur ahnen. Wir sehen nur einen Teil von dem, was die
Kandidat:innen tun – das Gezeigte ist sorgfältig ausgewählt und
zusammengeschnitten. Und durch ausgewählte Konstellationen in Spielen oder
gezieltes Fragestellen schüren Produzent:innen Konflikte.
Wozu das in Extremfällen führen kann, [1][zeigt die fiktive Serie
„UnReal“], die das Leben hinter den Kulissen einer Verkupplungsshow zeigt –
inklusive Suizid und Missbrauch. Die Produzent:innen schrecken darin vor
keinem Druckmittel zurück, um „gute“ Bilder zu bekommen. Die Serie basiert
lose auf den Erfahrungen der ehemaligen „Bachelor“-Produzentin Sarah
Getrude Shapiro.
Die Serie mag überzogen sein, doch wer sich durch die verschiedenen
deutschen Formate kämpft, kann sich vielleicht danach besser erklären, wie
diese „Realität“ entsteht. Hinzu kommt, dass die Kandidat:innen wochenlang
abgeschnitten von der Außenwelt leben – meist ohne Handy, Musik, Filme oder
Literatur, dafür mit jeder Menge Alkohol. Da wundert es nicht, wie häufig
es knallt.
Ohne Streitigkeiten, Eifersucht und Rachegelüste lässt sich nur schwer
Spannung und damit Unterhaltung erzeugen. Doch wie viel Drama ist zu viel?
Sind diskriminierende Beleidigungen, Mobbing, Gewalt und Belästigung noch
Unterhaltung oder schon eine klare Grenzüberschreitung? Für [2][Reality-TV
ist es ein Spiel, diese Grenzen auszutesten]. Für die Zuschauer:innen ist
es ein moralisches Dilemma zu entscheiden, was für sie noch in Ordnung geht
und was nicht.
## Eine nicht zu verteidigende Grenzüberschreitung
Wie weit zu weit ist, lässt sich manchmal ganz einfach beantworten. In der
vierten Staffel der US-amerikanischen Produktion „Bachelor in Paradise“
soll eine Teilnehmerin zu betrunken gewesen sein, um einem sexuellen Akt
mit einem anderen Kandidaten zuzustimmen. Die Produzent:innen sollen nicht
eingeschritten sein. Sexuellen Missbrauch zu billigen für „spannende“
Bilder – eindeutig eine nicht zu verteidigende Grenzüberschreitung.
Nach einer Anzeige kam es zu einem Produktionsstopp und einer internen
Untersuchung, die zu dem Schluss kam, dass der Produktion kein
Fehlverhalten zuzuweisen sei. Die Szene wurde nicht ausgestrahlt.
Das Geschilderte ist ein Extremfall. Doch auch in deutschen Produktionen
geht es manchmal zu weit. 2019 wurde Claudia Obert in der Sat1-Produktion
„Promis unter Palmen“ so sehr von ihren Mitstreiter:innen gemobbt, dass sie
die Sendung freiwillig verließ. [3][Der ProSiebenSat.1-Vorstand Wolfgang
Link sagte danach in einem Interview], dass die Sendung nicht zu weit
gegangen sei. Viele widersprachen ihm. Unter anderem der Verein Freiwillige
Selbstkontrolle Fernsehen. Dieser hatte nach einer Prüfung entschieden,
dass die Folge nicht zur Primetime hätte ausgestrahlt werden dürfen und aus
der Mediathek verschwinden muss.
Die aktuelle Staffel „Sommerhaus der Stars“ scheint das noch einmal zu
übertrumpfen. Dort wird gespuckt, Frauen werden als „Fotze“ beleidigt und
gemobbt. Während vielen Reality-TV-Fans es hier zu weit geht, ist die
Sendung bei anderen gerade deswegen so beliebt. Das größte Mobberpärchen,
den ehemaligen Bachelor Andrej Mangold und seine Freundin Jenny Lange, ist
die Sendung jetzt zwar los. Doch das eigentliche Problem bleibt bestehen.
Wer trägt dafür die Verantwortung, dass „erfolgreiches“ Mobbing, Missbrauch
und Beleidigungen im Fernsehen gezeigt werden? Die Kandidat:innen, die
Produzent:innen, der Sender? Sie alle – und auch die Zuschauer:innen.
Solange die Sendungen weiterhin so erfolgreich sind, werden wohl weitere
Grenzen ausgetestet – und überschritten.
24 Oct 2020
## LINKS
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## AUTOREN
DIR Carolina Schwarz
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