URI: 
       # taz.de -- Femizide in Berlin: Täter lassen sich nicht wegfesseln
       
       > Nach erneuten Femiziden in Berlin plädiert die Justizsenatorin für
       > Fußfesseln. Die Diskussion offenbart das staatliche Versagen beim
       > Gewaltschutz.
       
   IMG Bild: Erinnerung an einen Femizid vor einem Hauseingang in Friedrichsfelde
       
       Jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau aufgrund ihres Frauseins
       ermordet. Die Täter sind der Lebensgefährte, der Ex-Partner, der Bruder,
       der Vater oder der Arbeitskollege. In Berlin wurden zuletzt zwei Frauen
       innerhalb einer Woche von ihren Ex-Partnern getötet. Ein weiterer
       Femizidversuch in Reinickendorf konnte gerade noch abgewendet werden. Drei
       Fälle in einer Woche, allein in Berlin.
       
       In Reaktion auf die jüngsten Femizide hat Justizsenatorin Felor Badenberg
       (CDU) nun den Einsatz von [1][elektronischen Fußfesseln] bei Männern
       gefordert, die bereits wegen häuslicher Gewaltdelikte angezeigt sind. Eine
       Maßnahme, die in Europa in Spanien schon erfolgreich Anwendung findet und
       für die sich auch die Opferschutzorganisation Weißer Ring ausspricht. In
       Deutschland wird der Einsatz von Fußfesseln bisher von den Ländern selbst
       geregelt. Im Hinblick auf die steigenden Fallzahlen im Bereich der
       häuslichen Gewalt wird seitens des Bundesinnenministeriums eine bundesweite
       Regelung angestrebt.
       
       Denn Näherungs- und Kontaktverbote können die Täter leicht umgehen. Sie
       werden schlichtweg ignoriert. Und Täter finden Strategien, um den
       Betroffenen trotzdem aufzulauern. Geschützt sind die betroffenen Frauen
       dadurch also keineswegs: Hier würde die Fußfessel greifen. Sie soll Frauen
       rechtzeitig alarmieren, wenn der Gefährder sich nähert und den vorgegebenen
       Abstand nicht einhält. Das klingt in der Theorie zunächst effektiv. In der
       Praxis stößt die Maßnahme schnell an ihre Grenzen.
       
       Bei Sexualstraftätern können Fußfesseln als Auflage zwar bereits nach
       Absitzen einer Haftstrafe verordnet werden. Das passiert jedoch relativ
       selten. Zudem ist die Maßnahme nur auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt.
       Wie Frauen danach geschützt werden, ist unklar. Auch dauert es, bis die von
       der Fußfessel ausgesandten Signale bei Betroffenen in Berlin ankommen – sie
       gehen erst mal nach Hessen, wo sie zentral erfasst werden.
       
       ## Staatliches Versagen
       
       Die Diskussion um die Fußfessel offenbart ein tiefer liegendes Problem: das
       [2][staatliche Versagen beim Gewaltschutz] von Frauen und der Prävention
       von Femiziden, denen häufig häusliche Gewalt vorausgeht. Die Gewalt findet
       in den eigenen vier Wänden statt, aus denen die Betroffenen zum Teil nicht
       fliehen können, weil sie beispielsweise ökonomisch vom Täter abhängig sind.
       
       Die [3][Frauenhäuser wiederum], die eigentlich sowohl Schutz- als auch
       Unterstützung bieten sollten, sind überlastet und unterbesetzt. Das
       illustrieren Zahlen der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG),
       die bei häuslicher Gewalt berät. Im Jahr 2022 riefen über 3.000 Frauen an,
       die an Frauenhäuser vermittelt werden wollten. 2.000 mussten von der
       Initiative zurückgewiesen werden. Die Häuser waren schlicht voll.
       
       Parallel zu den nicht vorhandenen Plätzen nimmt die Zahl der von häuslicher
       Gewalt Betroffenen zu. Das alles ist bekannt. Ebenso die Gründe: Die
       Institution Frauenhaus scheitert viel zu häufig an der Unterfinanzierung,
       zudem sind die Finanzierungsregeln bundesweit uneinheitlich geregelt. Hinzu
       kommt die räumliche Verteilung von Frauenhäusern. Insbesondere im
       ländlichen Raum gibt es kaum Anlaufstellen.
       
       All das hindert die Verantwortlichen nicht daran, weiter bei
       Gewaltprävention und Schutzmaßnahmen zu sparen. Auch in Berlin, wo mit
       Blick auf den Gewaltschutz in diesem Jahr 1,7 Millionen von 8 Millionen aus
       dem Haushaltsetat gestrichen worden sind.
       
       Angesichts fehlender Frauenhausplätze und der irren Rotstiftpolitik bei der
       Gewaltprävention wirkt die Fußfessel wie eine vorgeschobene Lösung für ein
       Problem, das sich nicht einfach wegfesseln lässt. Zumindest nicht
       längerfristig. Maßnahmen gegen Femizide müssen an der Wurzel ansetzen. Das
       bedeutet, es muss Geld in die Hand genommen werden, um Frauen den
       bestmöglichen Schutz zu bieten. Gleichzeitig ist es eine
       gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Femizide immer und immer wieder zu
       skandalisieren, um einer Normalisierung patriarchaler Gewalt
       entgegenzuwirken. Anleinen allein reicht nicht.
       
       7 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Femizide-in-Berlin/!6031024
   DIR [2] /Berliner-Opfer-von-Femiziden/!6021843
   DIR [3] /13000-Plaetze-fehlen-in-Frauenhaeusern/!6003598
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martha Blumenthaler
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Femizide
   DIR Frauenmord
   DIR Patriarchat
   DIR Wochenkommentar
   DIR Justizsenatorin
   DIR Feminismus
   DIR Schwerpunkt Femizide
   DIR Schwerpunkt Femizide
   DIR Schwerpunkt Femizide
   DIR Grüne Berlin
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Geplantes Gewalthilfegesetz: Verbände fordern Schutz für Frauen
       
       Dutzende Initiativen machen Druck: Das Gewalthilfegesetz müsse kommen. Es
       soll das Recht auf Schutz vor Gewalt für Frauen und deren Kinder absichern.
       
   DIR Gewalt gegen Frauen: Kein sicheres Leben
       
       In den vergangenen Wochen jagte eine Nachricht über misogyne Gewalt die
       nächste und zeigt: Das Leben von Frauen ist noch immer weniger wert.
       
   DIR Geplante Studie: Ein Frauenmord ist ein Femizid
       
       Eine groß angelegte Studie zu Femiziden ist überfällig. Es ist nötig, die
       Hintergründe von männlicher Macht und Lebensumständen zu erforschen.
       
   DIR Häusliche Gewalt: Frauenhäusern platzt der Kragen
       
       In Niedersachsen protestieren Frauenhäuser und Beratungsstellen: Ihre
       Finanzierung bleibt prekär – dabei steigt der Bedarf.
       
   DIR Gewalt gegen Frauen in Berlin: Femizide klar benennen
       
       June Tomiak (Grüne) fordert ein Umdenken in der Sicherheitspolitik. Dazu
       gehöre, Morde an Frauen als Femizide polizeilich zu erfassen.