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       # taz.de -- Ferda Ataman über Diskriminierung: „Wir stecken in einer Krise“
       
       > Ferda Ataman leitet seit drei Jahren die Antidiskriminierungsstelle des
       > Bundes. Ein Gespräch über Racial Profiling und gefährliche Äußerungen des
       > Kanzlers.
       
   IMG Bild: Ferda Ataman, Jahrgang 1979, ist Autorin, Kolumnistin und Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung
       
       taz: Frau Ataman, verlieren wir gerade den Kampf gegen Diskriminierung? 
       
       Ferda Ataman: Deutschland hat den Kampf gegen Diskriminierung noch nie
       richtig aufgenommen. Das Thema wurde viel zu lange stiefmütterlich
       behandelt, egal welche Regierung gerade regiert hat.
       
       taz: Tatsächlich ist die AfD die zweitstärkste Kraft im Bundestag. Im
       Innenministerium sitzt Alexander Dobrindt, der [1][vor einem
       „Generalverdacht“ gegen Polizist*innen gewarnt hat]. Und die [2][Zahl
       der Anfragen bei der von Ihnen geleiteten Antidiskriminierungsstelle
       steigen]. 
       
       Ataman: Wir stecken in einer Diskriminierungskrise. Ganz egal, ob es um
       Rassismus oder Antisemitismus geht, ob es Frauen betrifft, die sexuell
       belästigt wurden, oder Menschen mit Behinderung, die wegen mangelnder
       Barrierefreiheit an einem Bahngleis stehen gelassen werden. Das ist
       ziemlich bitter. Ich glaube, so langsam verstehen die demokratischen
       Parteien aber, wie groß das Problem ist.
       
       taz: Die Union hat kürzlich im Streit über die Kandidatin für das
       Bundesverfassungsgericht einen Kulturkampf losgetreten – und da schwang
       eine gehörige Portion Misogynie mit. Spricht das nicht für das Gegenteil? 
       
       Ataman: Wie mit Frau [3][Brosius-Gersdorf] umgegangen wurde, ist
       schockierend. Da wurde eine exzellente, in Fachkreisen als eher konservativ
       geltende Juristin zur linken Aktivistin erklärt und delegitimiert. Ich
       beobachte das in letzter Zeit öfter: Menschen, die in verantwortungsvolle
       Positionen kommen sollen, werden systematisch demontiert, indem ihnen eine
       angeblich fragwürdige politische Agenda unterstellt wird. Im Fall
       Brosius-Gersdorf ist hinreichend belegt, dass da eine bewusste
       Cancel-Strategie dahintersteht.
       
       taz: Man kann noch andere Beispiele anführen: Julia Klöckner hat verboten,
       am CSD die [4][Regenbogenflagge über dem Bundestag zu hissen]. Untergräbt
       die Union den Kampf gegen Diskriminierung?
       
       Ataman: Was Politiker*innen der Regierung tun oder sagen, strahlt in
       die Bevölkerung aus. Das war auch schon bei der Ampelregierung so. Politik
       verhandelt Positionen und legt fest, was sagbar ist und in welchem Ton. Das
       merken wir auch in unserer Beratung. Eine Bundestagsdebatte über
       Asylpolitik zum Beispiel hat nicht nur Auswirkungen auf Geflüchtete,
       sondern auf alle Menschen, die als Ausländer wahrgenommen werden. Das
       Gleiche merken wir auch in anderen Fällen: Nachdem jahrelang über angeblich
       arbeitsfaule Sozialleistungsbezieher*innen diskutiert wurde,
       bekommen Menschen bei der Wohnungssuche und anderswo Absagen mit der
       Begründung „Sozialschmarotzer wollen wir hier nicht“.
       
       taz: Bundesinnenminister Dobrindt hat die Bundespolizei angewiesen,
       Asylsuchende zurückzuweisen. Ist das nicht implizit auch der Befehl,
       Racial Profiling durchzuführen? 
       
       Ataman: Wir beobachten, ebenso wie der Bundespolizeibeauftragte, dass die
       Fälle von Racial Profiling zugenommen haben. Das ist ein ernstes Problem.
       Berufspendler*innen etwa, die nicht deutsch genug aussehen, haben
       gerade das Nachsehen. Soweit wir wissen, ist in der Polizei durchaus
       bekannt, dass anlasslose Personenkontrollen allein aufgrund von äußerlichen
       Merkmalen verboten sind. Es wäre aber gut, wenn es eine klare Ansage aus
       dem Innenressort gäbe, dass diskriminierendes Verhalten bei verstärkten
       Grenzkontrollen gegen geltendes Recht verstößt.
       
       taz: Zuletzt wurden CSDs heftig angegriffen. Verdüstert sich auch die
       gesamtgesellschaftliche Lage? 
       
       Ataman: Wir sehen, dass Ressentiments und gruppenbezogene negative
       Einstellungen zunehmen. Ein Grund dafür dürften massive Desinformation und
       Hetze über soziale Medien sein. Ich würde aber auch nicht unterschätzen,
       welche Rolle politische Debatten spielen. Wenn ein Bundeskanzler die
       Anliegen queerer Menschen mit einem Zirkuszelt vergleicht, dann ist das
       nicht nur flapsig, sondern fatal in Zeiten, in denen Rechtsextreme in
       Parlamenten gegen Minderheiten hetzen.
       
       taz: Würde ein AfD-Verbotsverfahren helfen? 
       
       Ataman: Wenn der Verfassungsschutz eine Partei als gesichert rechtsextrem
       einstuft, dann müssen die Verfassungsorgane ihrem Auftrag und ihrer
       Verantwortung gerecht werden. Der Bundestag sollte dann eine Prüfung beim
       Bundesverfassungsgericht beauftragen. Ich habe aber das Gefühl, einige
       Parteien wägen gerade ab, ob so ein Verfahren für sie selbst politisch
       opportun ist.
       
       taz: Sie sprachen von einer Diskriminierungskrise. Bedeutet das nicht
       gleichzeitig ein schlechtes Zeugnis für Sie und Ihre
       Antidiskriminierungsstelle? 
       
       Die Frage finde ich merkwürdig. Sie fragen doch auch nicht die Feuerwehr,
       ob sie schuld ist, wenn es öfter brennt. Dass sich gerade so viele Menschen
       an uns wenden, hat vermutlich damit zu tun, dass mehr Menschen ihre Rechte
       kennen und Hilfe suchen. Darauf bin ich eher sogar ein bisschen stolz. Aber
       gegen die Krise muss dringend mehr getan werden. Das ist Aufgabe der
       Politik.
       
       taz: Was kann die denn tun? 
       
       Ataman: Auf die Bedürfnisse von Menschen eingehen, die Diskriminierung
       erleben. Wir brauchen ein Antidiskriminierungsrecht, das die Menschen
       wirklich schützt. Unser Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, kurz AGG, ist
       eines der schwächsten derartigen Gesetze in Europa. Entsprechend können
       sich Menschen nur unter erschwerten Bedingungen gegen Diskriminierung
       wehren. Es gibt kaum Fälle vor Gericht.
       
       taz: Warum? 
       
       Ataman: Die im Gesetz vorgesehene Frist, um einen Diskriminierungsfall
       geltend zu machen, ist mit zwei Monaten viel zu kurz. Das AGG befasst sich
       außerdem nur mit dem Privatbereich und nicht mit Diskriminierung durch
       staatliche Stellen wie Polizei oder Ämter. Und selbst da, wo das Gesetz
       gilt, gibt es noch viele Ausnahmen und Schlupflöcher im AGG, sodass
       Diskriminierung am Ende oft ohne Konsequenzen bleibt.
       
       taz: Bisher sind nur die Merkmale „Rasse oder ethnische Herkunft,
       Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle
       Identität“ im Gesetz aufgeführt. Sie fordern weitere Kriterien aufzunehmen. 
       
       Ataman: Genau. Sinnvoll wären zum Beispiel: sozialer Status, Sprache,
       Staatsangehörigkeit und familiäre Fürsorgeverantwortung. Viele Eltern
       erleben massive Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt, weil sie sich um
       ihre Kinder kümmern. Das gilt auch für Personen, die ihre Eltern pflegen,
       weil sie keine Pflegemöglichkeiten finden. Beides gilt momentan aber nicht
       als Diskriminierung nach dem AGG.
       
       taz: Genauso wenig wie Diskriminierung durch Behörden … 
       
       Ataman: … jede vierte Anfrage an unser Beratungsteam betrifft
       Diskriminierungen bei Ämtern, Behörden, Justiz und anderen staatlichen
       Stellen. Viele Menschen verstehen nicht, warum sie beim Bäcker besser vor
       Diskriminierung geschützt sind als beim Bürgeramt. Damit das besser wird,
       brauchen wir mehr Schutz vor Diskriminierung auf Bundesebene, aber auch
       dort, wo die Länder zuständig sind.
       
       taz: Zum Beispiel? 
       
       Ataman: In Berlin wurde vor ein paar Tagen der Fall von Lahav Shapira
       verhandelt. Er wirft der FU Berlin vor, nicht genug gegen Antisemitismus
       auf dem Campus unternommen zu haben. Das ist nur möglich, weil es in Berlin
       als einzigem Bundesland ein Antidiskriminierungsgesetz gibt, das für die
       Hochschulen und Universitäten klare Vorgaben macht und deshalb das
       Hochschulgesetz angepasst wurde.
       
       taz: Die Länder sollen fixen, was der Bund nicht hinbekommt? 
       
       Ataman: Nein, der Bund muss sich um seine Zuständigkeiten kümmern und die
       Länder um ihre. Wer die EU-Vorgaben zum Schutz vor Diskriminierung
       konsequent umsetzen will, braucht beides: Antidiskriminierungsgesetze in
       allen Ländern und eine Reform des AGG.
       
       taz: Und damit wäre es getan? 
       
       Ataman: Diskriminierung entgegenzuwirken ist natürlich ein großes
       gesellschaftspolitisches Projekt. Bildung und Aufklärung spielen dabei eine
       wichtige Rolle, so wie Sicherheitspolitik, Entwicklungen im Internet und
       bei der Digitalisierung. Aber das Antidiskriminierungsrecht ist schon ein
       zentraler Faktor. Kommt es zu Diskriminierung, muss klar geregelt sein, wer
       welche Rechte hat und welche Konsequenzen folgen. Im Straßenverkehr würde
       ja auch niemand infrage stellen, dass es Regeln braucht. Im Moment ist es
       aber so, dass Falschparken stärker geahndet wird als Diskriminieren.
       
       taz: Die Forderung nach einer Reform des AGG ist alt. Wird da noch was
       draus? 
       
       Ataman: Die Reform steht im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Also gehe
       ich erst mal davon aus, dass was kommt.
       
       taz: Auch die Ampel hatte sich die AGG-Reform schon im Koalitionsvertrag.
       Passiert ist nichts. Haben SPD, Grüne und FDP die Chance für
       gesellschaftliche Modernisierung verstreichen lassen? 
       
       Ataman: Ich will hier nicht groß nachtreten. Aber tatsächlich hat auch die
       Ampel wichtige Projekte verschleppt. Für die AGG-Reform gab es noch nicht
       einmal einen Gesetzentwurf. Das hat mich schon sehr enttäuscht.
       Diskriminierungsschutz ist kein Charity-Projekt für gute Zeiten. Es ist
       auch kein Gesetz für Minderheiten. Es geht darum, dass 83 Millionen
       Menschen in Deutschland das Recht haben, diskriminierungsfrei durch den
       Alltag zu kommen.
       
       taz: Sie sind jetzt etwa drei Jahre im Amt, zwei weitere liegen noch vor
       Ihnen. Was haben Sie noch vor? 
       
       Ataman: Ich würde gern am Ende meiner Amtszeit die erste inhaltliche Reform
       des AGG feiern. Und ich würde gern Antidiskriminierungsberatung im
       ländlichen Raum weiter ausbauen und verstetigen. Wer Diskriminierung
       erlebt, braucht Hilfe, am besten vor Ort. Außerdem kämpfe ich weiter dafür,
       dass die Antidiskriminierungsstelle größer und sichtbarer wird. Meine
       französische Amtskollegin hat 250 Mitarbeitende und wird vom Präsidenten
       ernannt. Ich habe ungefähr so viel Personal wie mein Amtskollege in
       Albanien, der nur für 2,8 Millionen Menschen zuständig ist.
       
       25 Jul 2025
       
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