# taz.de -- Festival-Empfehlung für Berlin: Musiktheatrale Interventionenen
> In seiner ersten Ausgabe bringt das „Berliner Festival für aktuelles
> Musiktheater – BAM!“ ab Donnerstag zusammen, was sich in der Freien Szene
> tummelt
IMG Bild: glanz&krawall: „Dorfkneipe International“, Premiere: 21. 9. in der Z-Bar
Sie können mit Opern nichts anfangen? Dann gehen Sie doch ins Musiktheater!
Während beide Begriffe früher mehr oder weniger gleichzusetzen waren, wird
„Musiktheater“ heute als Oberbegriff für eine Vielzahl von performativen
Formaten gebraucht, zu denen musikalische Bühnenexperimente ebenso gehören
wie herkömmliche Opernaufführungen.
In Berlin boomt eine Freie Szene, in der sich unendlich vieles tummelt, was
sonst nur schwer unter einen gemeinsamen Nenner zu bringen wäre – wenn man
eben nicht dieses schöne große Label dafür hätte.
Seit drei Jahren gibt es auch ein gemeinsames organisatorisches Dach dafür:
Im Verein ZMB (Zeitgenössisches Musiktheater Berlin) haben sich freie
Gruppen und Einzelakteure zusammengeschlossen, um gemeinsame Interessen
besser nach außen vertreten zu können. Nun hat der Verein ein Festival auf
die Beine gestellt, auf dem sich zwischen dem 20. und dem 23. September ein
Ausschnitt aus dieser bunten Szene in geballter Form erleben lässt.
Unter dem explosiven Namen BAM!, kurz für Berliner Festival für aktuelles
Musiktheater, können an dreizehn Veranstaltungsorten in Berlin-Mitte mehr
als dreißig verschiedene Aufführungen besucht werden, darunter allein
vierzehn Uraufführungen.
Schon an den gewählten Locations ist erkennbar, dass man – und zwar sehr
oft im Wortsinne – abseits ausgetretener Pfade wandeln möchte. Denn neben
etablierten Veranstaltungsorten wie den Sophiensælen und der St.
Elisabeth-Kirche werden auch Galerien, Clubs und Bars bespielt.
Und wer am liebsten in Bewegung bleibt, kann sich z. B. zu Fuß auf den Weg
rund um den Rosenthaler Platz machen – geleitet vom einem „musiktheatralen“
Audioguide, dem unter anderem der Countertenor Daniel Gloger seine Stimme
geliehen hat –, eine multimediale Tour durch die verborgenen Räume der
Villa Elisabeth buchen, oder mit dem Opera Lab Berlin auf „Lonely Hearts
Bus Tour“ gehen.
Das Experimentieren mit der Gattung Musiktheater ist dabei keineswegs ein
Alleinstellungsmerkmal einer neuen Generation von BühnenkünstlerInnen. Ein
Urgestein der Szene ist sozusagen posthum auf dem Festival vertreten und
hat die persönliche Anwesenheit dabei nur sehr knapp verpasst: Am
Pfingstsonntag dieses Jahres starb im Alter von 88 Jahren der Komponist
Dieter Schnebel, einer der wichtigsten Protagonisten der musikalischen
Avantgarde in Deutschland. Erst zwei Monate zuvor war im Verlag Edition
Musiktexte Schnebels Buch „MO-NO“ in einer erweiterten Neuausgabe
erschienen.
Das Werk, entstanden im Jahr 1969, trägt die Unterzeile „Musik zum Lesen“.
Es enthält sogenannte „grafische Musik“, das heißt, keine konventionelle
Notenschrift, sondern Texte (nach dem Willen des Autors als
„Denkanweisungen“ zu verstehen) und vor allem diverse Grafiken, anhand
derer die Betrachter*innen eigene musikalische Gedanken entwickeln können.
„Die Lektüre des Buchs will im Kopf des Lesers Musik entstehen lassen, so
daß er im Lesen allein seiend – mono – zum Ausführenden von Musik wird, für
sich selbst Musik macht“, heißt es dazu im Klappentext. Unter anderem war
Schnebel ein großer Anstifter (und offenbar auch ein ziemlich guter
Grafiker).
Ob nun diese Lese-Musik ein Avantgardekonzept von vorgestern ist oder auch
heute noch etwas in den Köpfen in Gang setzt, lässt sich während der
BAM!-Tage am eigenen Hirn erkunden, denn in der Auguststraße 2 (HRD Bar Art
House) sind von Freitag bis Sonntag (je 15–21 Uhr)
„MO-NO“-Originalmanuskripte ausgestellt. Der Besuch kostet auch rein gar
nichts und ist somit ein freundlich niedrigschwelliges Angebot für das
unverbindliche Hineinschnuppern ins Festivalgetriebe.
An anderer Stelle könnte zumindest der Geist Dieter Schnebels über dem
Geschehen schweben, denn mit dem Ensemble „Maulwerker“ sind auf dem
Festival seine direkten Erben vertreten. Er selbst hatte die Gruppe anno
1977 ins Leben gerufen, und seitdem haben mehrere Generationen von
Maulwerkern in wechselnder Besetzung performt.
Am 20. und 21. 9. gibt die derzeitige Crew im Acker Stadt Palast (Ackerstr.
169) die „Breakfast Opera“ der japanischen Berliner Komponistin Makiko
Nishikaze zu Gehör, die Menschen aus aller Welt nach ihren
Frühstücksgewohnheiten befragt und „Sprachen, Klänge, Gerüche, Gesten und
Bilder“ zu einer multimedialen Komposition arrangiert hat.
Auch andere Produktionen, zum Beispiel „Voices of Hidden Places“ (20.–21.
9., Acud, Veteranenstr. 21) der irischen Komponistin Karen Power mit dem
Ensemble Mosaik, verfolgen einen dezidiert multimedialen Ansatz. Unter
Einbeziehung von Audioaufnahmen, die Power im Regenwald des Amazonas
machte, entsteht eine „immersive Musiktheaterinstallation“, durch die jede
Besucherin und jeder Besucher ihren ganz individuellen Erlebnisweg nimmt.
Und sollte es wieder Erwarten doch noch ganz Wahrnehmungsverstockte unter
den FestivalbesucherInnen geben, so wird hier und da die Performerin Merial
Price unvermutet mit „kleinsten musiktheatralen Interventionen“ die
öffentliche Ordnung auf dem Festivalareal stören. Niemand sei „sicher
davor, ihnen zu begegnen“, warnt das Programmheft. „Staring at the bin“
nennt Price ihr Programm. Mit dem Mülleimer ist das Smartphone gemeint.
Also besser gut wegstecken.
Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg
immer Donnerstags in der Printausgabe der taz
19 Sep 2018
## AUTOREN
DIR Katharina Granzin
## TAGS
DIR Musiktheater
DIR Festival
DIR Performance
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