URI: 
       # taz.de -- Filmstart „Helle Nächte“: Jede Geste ein Ereignis
       
       > Regisseur Thomas Arslan schickt in seinem Roadmovie „Helle Nächte“ einen
       > Vater und seinen Sohn auf einen Trip durch das sommerliche Norwegen.
       
   IMG Bild: Viel zu sagen hat der 14 jährige Luis (Tristan Göbel) seinem Vater Michael (Georg Friedrich) erst mal nicht
       
       Im norwegischen Black Metal, einer weitgehend spaßbefreiten Angelegenheit,
       geht es im Wesentlichen darum, Wut und Hass zu kanalisieren und
       gleichzeitig eins zu werden mit der Natur. Nur draußen in den Wäldern kann
       der Black Metaller noch ganz bei sich sein, fernab von der dekadenten
       Zivilisation, in der ein wirkliches Miteinander nur noch schwer möglich
       scheint.
       
       Dass der Berliner-Schule-Regisseur Thomas Arslan bei seinem neuen Film
       „Helle Nächte“, der bereits im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale lief,
       Motive des norwegischen Black Metal ganz bewusst aufgreift, ohne das Genre
       dabei freilich zu ernst zu nehmen, darauf deutet zumindest eine Szene in
       seinem Film hin. Irgendwann treffen Vater und Sohn, die er in seinem
       Roadmovie während der Sommersonnenwende auf einen Trip durch den Norden
       Norwegens schickt, auf ein Black-Metal-Mädchen. Auf ihrem Handy zeigt sie
       dann einen Clip ihrer Lieblingsband: Immortal spielen auf, schwarz-weiß
       geschminkt treten sie zwischen Bäumen auf und wirken wie verzweifelte
       Geister, die ihren Schmerz artikulieren wollen, dabei jedoch vor allem
       fauchen und poltern.
       
       Ähnlich wie Michael und sein Sohn Luis eben. Michael ist Bauingenieur und
       lebt in Berlin. Seine aktuelle Partnerin will einen Job als Korrespondentin
       in Washington antreten und wäre dann für ein Jahr weg aus Deutschland,
       wobei Michael bereits zu ahnen scheint: Sie wird sowieso nicht
       zurückkehren. Und dann stirbt auch noch sein Vater, der zuletzt
       zurückgezogen in Norwegen gelebt hatte und von dem er sich komplett
       entfremdet hatte.
       
       ## Komplett entfremdet
       
       Ausgerechnet sein 14-jähriger Sohn Luis begleitet ihn zur Beerdigung in
       Norwegen. Luis lebt bei der Mutter und hat mit Michael nichts mehr zu tun.
       Dass Michael mit ihm nun ein paar Tage lang durch die Natur ziehen möchte,
       um sich ihm wieder anzunähern und Gefühlsblockaden zu lösen, ahnt er zu
       Beginn der Reise noch gar nicht.
       
       Nach „Gold“, seinem letzten Film, der in den USA spielte, zieht es Thomas
       Arslan erneut raus aus Berlin, in ein anderes Land. Dass er dieses
       Norwegen, in dem er seinen Film beinahe komplett spielen lässt, auch selbst
       noch entdecken muss, sieht man „Helle Nächte“ durchaus an. Der eigentliche
       Star ist bei ihm nicht Georg Friedrich als Michael und auch nicht Tristan
       Göbel als Luis, der zuletzt in Fatih Akins „Tschick“ zu sehen war, sondern
       die atemberaubende Landschaft der Provinz Troms, in der der Film spielt und
       die in endlosen Panoramabildern eingefangen wird.
       
       ## Skelettierte Handlung
       
       Durch dieses Troms irren Vater und Sohn. Letztlich sind beide auf der Suche
       nach nichts anderem als einer vernünftigen Beziehung zueinander und
       irgendwann geradezu verzweifelt darauf bedacht, irgendeine Form von
       Kommunikation untereinander zu entwickeln. Luis ist pubertierend und sich
       auch selbst ein Fremder, klar, dass der nicht viel mehr aus sich
       herausbringt, als zu seinem Vater, der kaum noch sein Vater ist, zu sagen:
       „Ich hasse dich“. Aber auch Michael kann seine Gefühle und Schuldkomplexe
       Anfangs nicht vermitteln in diesem Film, der auf jegliche Spannungsbögen
       verzichtet und eine nur äußerst skelettierte Handlung anbietet.
       
       Eigentlich erscheint es unmöglich, dass die beiden noch einmal
       zusammenfinden werden. Zu sehr leben sie in ihren eigenen Welten. Der Vater
       kennt „Herr der Ringe“ nur als Buch, das der Sohn langweilig findet und
       dagegen dessen Verfilmung mag. Der Alte mag Filme wie „Rocky“ und „Rumble
       Fish“, die für den Jungen einfach nur „alt“ sind. Michael kann wegen der
       hellen Nächte zur Sommersonnenwende nicht schlafen, Luis döst wie ein
       Murmeltier.
       
       Weil so wenig passiert in dem Film, wird schnell jede Geste, Mimik und
       Bemerkung zum Ereignis. Nach diesen Maßstäben wird „Helle Nächte“
       irgendwann fast schon zum Action-Film, wenn Michael sich irgendwann
       niederbeugt, das aufgeschlagene Knie seines Sohnes betrachtet und mit
       dieser Geste eigentlich sagen zu wollen scheint: Bitte vergib mir, dass ich
       mich so wenig um dich gekümmert habe. Langsam lösen sich endlich die
       emotionalen Blockaden auf wie der dichte Nebel, der gelegentlich über Troms
       kalten Seen hängt.
       
       Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg
       immer Donnerstags in der Printausgabe der taz
       
       10 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Hartmann
       
       ## TAGS
       
   DIR Metal
   DIR Reiseland Norwegen
   DIR Norwegen
   DIR Exorzismus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Norwegische Black-Metal-Szene der 90er: Fader Cocktail aus Satanismus und Sex
       
       Der schwedische Regisseur Jonas Åkerlund verfilmt die Black-Metal-Saga
       „Lords of Chaos“. An die Drastik der Buchvorlage kommt er nicht heran.
       
   DIR Landschaftsrouten in Norwegen: Dem Troll ganz nah
       
       Auf achtzehn Strecken durchs Land haben Architekten, Designer und Künstler
       Hand angelegt. Sie gestalten Rastplätze, Klos und Aussichtspunkte.
       
   DIR Wahl in Norwegen: Erna Solberg hat die Nase vorn
       
       Am Montag wird in Norwegen gewählt. Lange sah es nach einem Sieg der
       Sozialdemokraten aus, aber ihr Vorsprung ist nun weg.
       
   DIR Filmfestspiele in Venedig – Lidokino 2: Weiche, Satan!
       
       Weg vom Teufel, hin zu Gott: William Friedkins „The Devil and Father
       Amorth“ und Paul Schraders „First Reformed“ in Venedig.