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       # taz.de -- Flüchtlinge auf Lesvos: Tote bei Brand im Lager Moria
       
       > Immer mehr Flüchtlinge kommen auf den Ägäisinseln an. Nach einem Brand
       > will die griechische Regierung 10.000 Menschen in die Türkei abschieben.
       
   IMG Bild: Am Sonntag brannte das Flüchtlingslager Moria auf Lesvos
       
       Berlin taz | Nach einem Brand in einem Flüchtlingslager auf der
       griechischen Insel Lesvos will die Regierung in Athen 10.000 Flüchtlinge in
       die Türkei abschieben. Das gab die konservative Regierung am Montag nach
       einer Krisensitzung des Kabinetts bekannt. Am Dienstag durften 215 der rund
       13.000 Flüchtlinge auf der Insel aufs Festland umsiedeln. Gleichzeitig
       erreichten neue Flüchtlimge die Insel: Rund setzten an Bord von fünf großen
       Booten aus der Türkei nach Lesvos über.
       
       Am Sonntag waren im Lager Moria auf Lesvos mindestens zwei Menschen
       gestorben. Im Staatsfernsehen (ERT) hieß es zunächst, aufgebrachte
       MigrantInnen hätten das Feuer gelegt. „Brandstiftung schließe ich aus“,
       sagte jedoch später ein Sprecher des Bürgerschutzministeriums. Die
       Initiative „Welcome to Europe“ befragte am Montag und Dienstag
       BewohnerInnen des Lagers. Diese [1][gaben demnach an,] das Feuer sei an
       zwei Stellen durch Kurzschlüsse entstanden. Aus Athen wurden mit
       Armeehubschraubern Polizeieinheiten nach Lesvos geflogen.
       
       35.848 Flüchtlinge und MigrantInnen sind nach einer [2][Zählung der UN]
       seit Anfang des Jahres auf sieben griechischen Inseln angekommen, mehr als
       im ganzen vergangenen Jahr. Etwa die Hälfte stammen aus Afghanistan und
       Syrien. Die höchste Zahl der Ankünfte verzeichnete Lesvos: 16.075 Menschen
       gingen dort seit Januar an Land. Seit Mai sind die Zahlen dort stark
       angestiegen, zuletzt sehr steil: Am 17. September allein zählten die UN 790
       Ankünfte.
       
       ## 13.000 Menschen, wo nur Platz für 3.000 ist
       
       Seit Inkrafttreten des Arrangements zwischen der EU und der Türkei im März
       2016 hält Griechenland ankommende Flüchtlinge in der Regel lange auf den
       Inseln fest. So soll unter anderem verhindert werden, dass sie vom Festland
       aus in andere Länder weiter reisen. Das Lager Moria auf Lesvos ist für rund
       3.000 Menschen ausgelegt. Doch derzeit leben dort nach Schätzungen lokaler
       NGOs etwa 13.000 Menschen – unter katastrophalen Bedingungen.
       
       Flüchtlinge gaben an, dass die Feuerwehr am Sonntag viel zu lange gebraucht
       habe, bis sie im Lager angekommen sei. „Das Feuer ist mitten im Lager
       ausgebrochen. Sechs oder sieben Unterkünfte standen in Flammen“, berichtete
       ein 15-jähriger Afghane einem AFP-Reporter. „Wir haben die Feuerwehr
       gerufen, aber es dauerte 20 Minuten, bis sie hier war.“ Die Wut darüber
       habe die Bewohner zu den Ausschreitungen getrieben.
       
       Die Regierung behauptete, die Bewohner hätten das Feuer nutzen wollen, um
       Gefangene zu befreien. Dabei seien Polizeibeamte angegriffen worden, zudem
       seien Feuerwehrleute nicht an die Brandherde heran gelassen worden.
       
       ## Flüchtlinge: Polizei beschoss Eingeschlossene mit Tränengas
       
       Die Initiative „Welcome to Europe“ eine Erklärung zu dem Vorfall
       veröffentlicht. Laut Berichten der BewohnerInnen seien durch den Brand
       Gefangene, die im geschlossenen Sektor des Lagers eingesperrt waren, in
       [3][Panik geraten] und hätten versucht, die Türen zu öffnen. Die Reaktion
       der Polizei habe daraus bestanden, mit Tränengas auf die Gefangenen zu
       schießen, was noch giftigeren Rauch erzeugt hätte. Die einzige Möglichkeit,
       das Leid in dem Lager zu beenden, sei, die Menschen auf das Festland zu
       bringen, so „Welcome to Europe“.
       
       Schon zuvor hatte es immer wieder Tote in Moria gegeben. Im August wurde
       ein 15-jähriger Afghane bei einem Kampf zwischen Minderjährigen getötet. Am
       24. September verlor ein fünfjähriger Junge sein Leben, als er von einem
       Lastwagen vor dem Tor überfahren wurde. Auch das Feuer in Moria war nicht
       das erste. Im November 2016 löste ein Gaskocher ein Brand aus, zwei
       Menschen starben.
       
       Günter Burkhardt, der Geschäftsführer von Pro Asyl, sagte, in Moria
       herrsche die „nackte Verzweiflung“. Es handele sich um einen „Massenslum,
       in dem Menschen über Wochen, Monate, zum Teil über Jahre festsitzen ohne
       Perspektive.“
       
       ## Bundesregierung: Griechenland soll mehr in die Türkei abschieben
       
       In der Folge will die griechische Regierung die Asylverfahren
       beschleunigen. „Binnen drei Monaten“ solle es endgültige Entscheidungen
       über die Asylanträge geben, sagte der für Migration zuständige
       stellvertretende Minister Giorgos Koumoutsakos am Montagabend. Zudem soll
       es zusätzliche Grenzpatrouillen in der Ägäis und mehr geschlossene Lager
       geben. Die Bundesregierung hatte nach dem Brand auf mehr und schnellere
       Abschiebungen aus Griechenland in die Türkei gedrängt. Dies sei ein Teil
       der Lösung, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag.
       
       Die Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke hat vor allem die Abschiebepläne scharf
       kritisiert. „Erst weinten Politiker der EU Krokodilstränen um die bei dem
       Brand im Lager Moria auf der Insel Lesvos getötete Mutter und ihr Kind“,
       sagte Jelpke. Doch schon wenige Stunden später würden die schrecklichen
       Zustände in Moria missbraucht, um die Abschiebung Zehntausender in die
       Erdogan-Diktatur vorzubereiten. Dabei seien in der Türkei „Kinderarbeit,
       flüchtlingsfeindliche Pogrome, rassistische Ausgrenzung, Diskriminierung
       und mit Gewalt erzwungene Weiterschiebung von Schutzsuchenden in den Krieg
       in Syrien oder nach Afghanistan an der Tagesordnung“, sagte Jelpke.
       
       Am Donnerstag werden Bundesinnenminister Horst Seehofer, sein französischer
       Kollege Christophe Castaner und EU-Migrationskommissar Dimitris
       Avramopoulos nach Ankara zu Gesprächen über Migration reisen. Am Freitag
       sind Gespräche in Griechenland geplant. Athen hofft auf deutsche und
       französische Fachleute zur Bearbeitung von Asylanträgen auf den Inseln.
       
       1 Oct 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://lesvos.w2eu.net/2019/09/30/this-was-not-an-accident/
   DIR [2] https://data2.unhcr.org/en/situations/mediterranean/location/5179
   DIR [3] http://lesvos.w2eu.net/2019/09/30/this-was-not-an-accident/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Jakob
       
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