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       # taz.de -- Flussregulierung an der Elbe: An 346 Tagen im Jahr schiffbar
       
       > Zehn Jahre nach dem verheerenden Elbhochwasser streiten die Anrainer über
       > eine Staustufe im tschechischen Decín. Es geht mal wieder um die Frage:
       > Naturschutz oder Wirtschaftlichkeit?
       
   IMG Bild: 2002 vom Elbhochwasser teilweise zerstört: Weesenstein in Sachsen.
       
       DRESDEN taz | Gemächlich, mit der Strömungsgeschwindigkeit von drei
       Stundenkilometern, treibt das Schlauchboot auf die Brücke zu. „Hier ist es
       passiert.“ Ernst Paul Dörfler zeigt auf die Brücke unterhalb von Pirna.
       „Vor dieser Brücke ist der tschechische Frachter havariert.“ Am liebsten,
       meint der Umweltaktivist des BUND, hätte die zuständige Wasser- und
       Schifffahrtsverwaltung die Havarie vertuscht.
       
       Am Pfingstsonntag war die MS „Perun“ der tschechischen Reederei CSPL in
       Pirna bei Dresden auf Grund gelaufen. An Bord befanden sich 307 Tonnen
       Kalksalpeter. Auf eine Pressemitteilung verzichtete das Wasser- und
       Schifffahrtsamt Dresden. Die Polizei teilte mit, dass der Frachter
       unbeschädigt sei.
       
       Zum Politikum wird die Havarie erst, als die Dresdner Morgenpost von drei
       Lecks im Schiffsrumpf berichtet. Die „Perun“ hatte die Elbe bei
       Niedrigwasser befahren – und einen seit zehn Jahren dauernden Streit über
       die Nutzung des Flusses neu entfacht. „Für die Wasser- und
       Schifffahrtsämter ist die Elbe eine fast durchgängig befahrbare
       Wasserstraße“, erklärt Dörfler, der für den BUND die Aktivitäten gegen den
       Elbeausbau koordiniert. „Niedrigwasser und Havarien dürfen da nicht
       vorkommen.“ Zehn Jahre nach der Jahrhundertflut von 2002 wird wieder
       gestritten an der Elbe: Diesmal aber nicht über neue Deiche oder Bollwerke,
       sondern über die Schiffbarkeit des Flusses, der im tschechischen
       Riesengebirge entspringt und nach 1.094 Kilometern bei Cuxhaven in die
       Nordsee mündet.
       
       Nach dem Wunsch der Regierung in Prag soll er an 346 Tagen im Jahr mit
       einer Mindesttiefe von 1,40 Meter schiffbar sein. Denn für sie ist der
       Fluss die wichtigste Verbindung zur Nordsee. Die deutsche Bundesregierung
       hat schon 2006 versprochen, die Elbe entsprechend auszubauen, unter anderem
       durch das Ausbaggern der Fahrrinne.
       
       ## Wunschdenken
       
       Umweltaktivist Dörfler hält das für falsch. Seiner Ansicht nach ist die
       Elbe keineswegs für den regelmäßigen Schiffstransport geeignet. Er hat die
       Wasserstände der Elbe der vergangenen Jahre ausgewertet und kommt zu dem
       Schluss: „Von 1997 bis 2009 hat die Elbe im Schnitt an 143 Tagen diese
       Tiefe nicht erreicht.“ Auch am Pfingstsonntag in Pirna, dem Tag der
       Havarie, sei die Elbe kaum befahrbar gewesen, sagt er: „Doch die Mär von
       der Elbe als Wasserstraße erlaubt es nicht, das zuzugeben. Lieber riskiert
       man es, einen Frachter auf Grund laufen zu lassen.“
       
       Das Elbehochwasser in Tschechien und Deutschland hat in Decín wie Dresden
       bis heute keiner vergessen. 21 Menschen starben in Sachsen, in Tschechien
       waren 17 Tote zu beklagen. 2006 rollte schon wieder ein
       Jahrhunderthochwasser auf die Elbe zu. Seitdem warnen Meteorologen davor,
       dass extreme Wetterlagen zunehmen.
       
       Eine solche sogenannte Vb-Wetterlage mit Starkregenfällen in Tschechien
       hatte auch die beiden Fluten an der Elbe ausgelöst. Gleichzeitig nehmen
       aber die Perioden zu, in denen das Wasser an der Elbe so niedrig steht,
       dass man durch den Fluss hindurchwaten könnte. Für den 62-jährigen Dörfler,
       Euro-Naturpreisträger und schon zu DDR-Zeiten Umweltaktivist, ist die Sache
       klar: „Die Elbe braucht keine neuen Buhnen und Staustufen. Die Elbe braucht
       mehr Raum.“ Um die frohe Botschaft zu verbreiten, lädt Dörfler seit 2002
       zum „Dialog im Boot“.
       
       Mehr Raum hat die Elbe in den vergangenen zehn Jahren tatsächlich bekommen.
       Für 12,4 Millionen Euro wurde im brandenburgischen Lenzen der Deich ins
       Hinterland verlegt und der Elbe ein neuer Polder von 420 Hektar verschafft.
       „Die größte Gefahr“, sagt Dörfler und steuert das Schlauchboot unter
       Dresdens Blauem Wunder hindurch, „droht inzwischen aus Tschechien.“ Damit
       meint er eine neue, 220 Millionen Euro teure Staustufe bei Decín, die die
       Regierung in Prag bauen will und, so sagt Dörfler, „Auswirkungen auf das
       ökologische Gleichgewicht der ganzen Elbe in Deutschland hätte“.
       
       Anders als in Deutschland, wo das bislang einzige Wehr in Geesthacht die
       Binnenelbe von der durch die Gezeiten geprägte Tidenelbe trennt, wurde die
       Elbe in Tschechien bereits in den zwanziger Jahren staureguliert. Mit dem
       Ausbau zur Wasserstraße wollte die junge tschechoslowakische Republik die
       im Versailler Vertrag internationalisierte Elbe als Transportweg zur
       Nordsee nutzen.
       
       ## Versailler Vertrag
       
       Auch der Direktor der sächsisch-tschechischen Häfen, Jirí Aster, beruft
       sich auf den Versailler Vertrag. „Deutschland ist verpflichtet, die Elbe
       als Wasserstraße instand zu halten“, sagt er (siehe [1][Interview]). Mit
       dem Bau der nunmehr 25. Staustufe will Tschechien seinerseits
       sicherstellen, dass die Schiffe der Reederei CSPL auch bei Niedrigwasser in
       einen tschechischen Hafen kommen.
       
       Ganz anders sehen das die Umweltschützer. „Eine Staustufe würde die Elbe
       unterhalb von Decín weiter eintiefen“, sagt die grüne Umweltpolitikerin
       Gerlinde Kallenbach. „Die Elbe braucht als naturnaher Fluss das Geschiebe
       vom Oberlauf.“ Auch die Auenwälder entlang des 400 Kilometer langen
       Biosphärenreservats Flusslandschaft Elbe seien von der Staustufe bedroht,
       heißt es. Das Umweltministerium in Prag hat inzwischen eine neue
       Umweltverträglichkeitsprüfung veranlasst. Die Reederei CSPL will sich von
       der Elbe zurückziehen, berichtet Dörfler. Am Rhein, wo tschechische
       Binnenschiffer seit dem EU-Beitritt fahren dürfen, verdient man mehr Geld.
       
       Aufgeschreckt von Plänen des Bundesverkehrsministeriums, die Elbe künftig
       als Nebenwasserstraße zu deklarieren und auf weitere Investitionen in die
       Infrastruktur zu verzichten, veranlasste Jirí Aster den tschechischen
       Premierminister Petr Necas, einen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel zu
       schreiben. Die versicherte dem „lieben Petr“, dass die Zusage der
       Bundesregierung, die Elbe auf eine Tiefe von durchgängig 1,40 auszubauen,
       weiter gelte.
       
       Nach sechs Stunden hat Dörflers Boot die Dresdner Altstadt erreicht. Hier
       hat die Elbe am 17. August 2002 einen Höchststand von 9,40 Metern erreicht.
       Dörfler: „Die Elbe auf 1,40 Meter auszubauen würde bedeuten, den Domfelsen
       bei Magdeburg zu sprengen und die besonders naturnahe und wilde Reststrecke
       zwischen Dömitz und Hitzacker mit Buhnen zu regulieren.“ Pessimistisch aber
       ist er nicht. „Die Gütertransporte an der Elbe gehen immer weiter zurück“,
       freut er sich. „Wenn Peter Ramsauer Ernst macht mit seiner Ankündigung, nur
       noch in profitable Strecken zu investieren, hat die Elbe gewonnen.“ Und die
       Staustufe wäre damit auch gestorben.
       
       12 Aug 2012
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Wirtschaftsvertreter-ueber-Elbstaustufe/!99375/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uwe Rada
   DIR Uwe Rada
       
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