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       # taz.de -- Folgen des Überfalls auf die Ukraine: Verbände-Kritik an Siemens Energy
       
       > Der Energiekonzern soll keine Geschäfte mehr mit der russischen Rosatom
       > machen, fordert etwa die Organisation Urgewald.
       
   IMG Bild: Eine Militärkapelle spielt zum Stapellauf eines Atomeisbrechers, gebaut im Auftrag von Rosatom
       
       Kiew taz | Kann eine Firma wie Siemens Energy mit einem Partner der
       russischen Rüstungsindustrie zusammenarbeiten, der sich auch an dem
       Angriffskrieg gegen die Ukraine beteiligt?, fragen Umweltgruppen wie
       Urgewald, Ecodefense, Friends of the Earth und die Kritischen Aktionäre.
       Und beantworten ihre Frage mit einem klaren Nein. In einer gemeinsamen
       Erklärung protestieren sie angesichts der Hauptversammlung von Siemens
       Energy am heutigen Dienstag gegen die Geschäftsbeziehungen des
       Energiekonzerns mit der russischen Atomagentur Rosatom.
       
       Gemeinsam mit seinem französischen Partner Framatome liefere Siemens Energy
       „Instrumentation-&-Control (I&C)-Systeme“ für russische Reaktoren, so die
       Umweltgruppen. Diese hochkomplexen Systeme bilden die Schaltzentrale eines
       Reaktors. In der neueren Reaktorgeneration von Rosatom, WWER-1200, wurde
       das Prozessleitsystem Teleperm XS von Siemens Energy bereits bei den
       russischen Reaktoren Nowoworonesch II und Leningrad II eingesetzt. Für den
       dritten, bereits fertiggestellten WWER-1200-Reaktor im belarussischem
       Ostrovets I gebe es, so die UmweltschützerInnen, ebenfalls Hinweise darauf,
       dass Siemens-Energy-Technologie verwendet wurde. Der russische
       Druckwasserreaktor WWER-1200 mit einer elektrischen Nennleistung von 1.200
       Megawatt ist erstmals 2017 in Betrieb gegangen und ist eine Fortentwicklung
       des sowjetischen Reaktors WWER-1000.
       
       UmweltschützerInnen kritisieren nicht nur die Zusammenarbeit von Siemens
       Energy mit Rosatom, sondern auch die im niedersächsischen Lingen. Die dort
       ansässige Brennelementefabrik gehört dem französischen Unternehmen
       Framatome. Und dieses erhalte, so der russische Umweltschützer und Träger
       des alternativen Nobelpreises, Wladimir Slivjak, Uran aus Russland. Slivjak
       kritisiert zudem, dass mit der Firma Nukem ein Unternehmen von Rosatom in
       Deutschland tätig ist. Im Dezember 2009 [1][war die Nukem Technologies GmbH
       vom russischen Kernkraftwerkhersteller Atomstroiexport für 23,5 Millionen
       Euro übernommen worden] und sitzt nun im bayerischen Alzenau. Wladimir
       Slivjak erwartet ein entschiedeneres Nein zur Zusammenarbeit mit Rosatom.
       „Solange Rosatom Besitzerin von Nukem ist“, so Sliwjak, „sollte Nukem nicht
       in Europa tätig sein dürfen“, fordert Slivjak. Die Hauptkritik an Rosatom
       ist jedoch dessen militärische Komponente. Die Agentur ist keine Firma, die
       sich auf die sogenannte friedliche Atomenergie spezialisiert hat.
       Atomwirtschaft ist in Russland auch Atomwaffenwirtschaft, also militärisch.
       
       Der Vorsitzende des Aufsichtsrats von Rosatom, Sergei Kirijenko, ein Mann
       Putins, hatte mit seinen Besuchen im russisch besetzten AKW Saporischschja
       die russische Herrschaft über dieses Atomkraftwerk demonstriert. Ein
       weiterer Beleg: Am 8. August 2019 ereignete sich auf dem Marine-Testgelände
       der russischen Streitkräfte Njonoksa bei Archangelsk ein Unfall. Die
       Ursache war ein fehlgeschlagener Test eines Raketenantriebssystems. Einen
       Tag später betrauerte Rosatom den Tod von fünf Mitarbeitern, die bei diesem
       tragischen Unfall ums Leben gekommen waren.
       
       ## Fließende Übergänge zum Militär
       
       Nun stellt sich die Frage, was die Mitarbeiter einer Agentur, die angeblich
       für die friedliche Nutzung der Atomenergie steht, auf einem militärischen
       Testgelände zum Zeitpunkt von Raketentests machen. Die Antwort ist einfach:
       Rosatom ist eben auch an der militärischen Nutzung der Atomkraft beteiligt.
       Die Grenzen zwischen friedlicher und militärischer Atomwirtschaft sind in
       Russland sehr fließend.
       
       Von den in Russland noch immer existierenden 38 „geschlossenen Städten“
       gehören 10 Rosatom. Diese zehn Städte darf man nur mit einer Genehmigung
       der Agentur betreten. Schwer vorstellbar, dass Greenpeace-Vertreter oder
       unabhängige Journalistinnen eine Zugangsberechtigung zu diesen Städten
       erhalten könnten. Rosatom hat ja, gerade weil es auch auf dem militärischen
       Sektor aktiv ist, etwas zu verbergen.
       
       [2][Auch der russische Überfall] auf das größte Atomkraftwerk Europas, das
       AKW Saporischschja, wäre ohne die Mitwirkung von Rosatom nicht möglich
       gewesen. Nun hat sich Russland dieses profitable AKW unter den Nagel
       gerissen. Der neue Betreiber gehört zu 100 Prozent Rosatom. Mitte Januar
       berichtete die ukrainische Atombehörde Energoatom, die russischen Besatzer
       würden 1.500 ukrainischen Mitarbeitern des AKW Saporischschja den Zugang zu
       ihrem Arbeitsplatz verwehren, weil diese sich weigerten, einen
       Arbeitsvertrag mit Rosatom zu unterzeichnen. Sicherer wird ein AKW durch
       das Aussperren von 1.500 Fachleuten jedenfalls nicht.
       
       7 Feb 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.nukemtechnologies.de/
   DIR [2] /Umweltschuetzerin-zur-Lage-in-der-Ukraine/!5902952
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Clasen
       
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