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       # taz.de -- Forschung und Wissenschaft: Die USA schaufeln sich ihr eigenes Grab
       
       > Die Forschung leidet unter der Trump-Administration. Dass Diversität seit
       > Anfang des Jahres unerwünscht ist, ist ein großes Problem für das Feld.
       
   IMG Bild: Demonstrierende gegen Kürzungen im Gesundheitswesen im April in New York
       
       Berlin taz | Sarah Fortune ist eine der führenden Expertinnen zu
       Tuberkulose. Die Lungenkrankheit ist auch heute noch die
       Infektionskrankheit mit den meisten Todesfällen weltweit. Sie erhielt 2020
       ein Stipendium der National Institutes of Health (NIH) in Höhe von 60
       Millionen Dollar, um weiter an der Bekämpfung der Krankheit zu forschen.
       Das Projekt ist das, was manche einen „moonshot“ nennen. Es ist ein
       Versuch der NIH, die besten Köpfe und Labors der Welt zusammenzubringen, um
       die Mysterien der Krankheit zu enthüllen.
       
       Fünf Jahre später weiß Fortune, wie das Bakterium Resistenzen entwickelt
       und dem Immunsystem immer wieder entkommt. Doch vor allem steht sie kurz
       vor einem neuen Durchbruch: Sie hat erstmals einen Plan für einen neuen
       Impfstoff gegen Tuberkulose. Der bisherige liefert nur Schutz für Kinder,
       dabei erkranken zum Großteil Erwachsene.
       
       Doch Ende März 2025 erhielt sie eine Mail von der NIH: Sie soll ihre
       Forschung sofort unterbrechen. Ihre Arbeit stand ganz oben auf der Liste
       der Projekte, die von den Kürzungen der Trump-Regierung an ihrer Hochschule
       betroffen sind. Wenn das Projekt tatsächlich beendet würde, dann würden
       Forschende gekündigt, Versuchstiere eingeschläfert und Proben vernichtet.
       Das Wissen wäre weg, einfach so. Viele Leben könnten gerettet werden, wenn
       es einen Impfstoff gäbe. Sarah Fortune hatte einen Plan, einen
       Hoffnungsschimmer.
       
       ## Kürzung in der Forschung kann Menschenleben kosten
       
       Eine etwas überspitzte, aber angesichts der [1][massiven Streichungen und
       Kürzungen im Wissenschaftsbereich] durch die Trump-Administration durchaus
       berechtigte Frage: Wie viele Menschen werden in Zukunft auf den versteckten
       Friedhöfe ruhen, auf denen sich die Gräber derer befinden, die gerettet
       werden könnten, wenn Forschungsprogramme nicht eingestellt und ihre
       Versorgung nicht eingestellt worden wäre?
       
       [2][Trump hat einen Grundsatz aufgeweicht], der seit dem Zweiten Weltkrieg
       galt und in den USA zu großem Erfolg führte. Der Staat finanziert zu einem
       großen Teil die Forschung, hält sich ansonsten aber raus. In den
       vergangenen drei Monaten erlebte die amerikanische Wissenschaftslandschaft
       aber eine Art Großangriff. Betroffen sind nicht nur die Klima- und
       Sozialwissenschaften, auch die medizinische Forschung und die öffentliche
       Gesundheit sind in den USA bedroht.
       
       Die Trump-Regierung hat die Kommunikation der Gesundheitsbehörden
       unterbrochen, Daten von Websites, wie etwa dem Zentrum für
       Krankheitskontrolle (CDC), gelöscht und Tausende von
       Wissenschaftler*innen bei nationalen Forschungsakademien entlassen.
       Sie hat bei den NIH, dem größten Förderer für biomedizinische Forschung
       weltweit, Milliarden Dollar an Fördergeldern gestrichen.
       
       ## Das Nationale Gesundheitsinstitut (NIH) steht unter Druck
       
       Die Regierung nutzt die NIH als Druckmittel, um die Universitäten in die
       Mangel zu nehmen. Mit den Worten: „Ihre Forschung entspricht nicht mehr den
       Prioritäten der Agentur“, wurde in den letzten Monaten zahlreichen
       Forschenden wie Sarah Fortune in den USA von einem auf den anderen Tag ihre
       Förderung durch die NIH entzogen. Weil sie Kooperationspartner in China
       oder Südafrika haben. Weil sie zu Impfungen oder Impfrückhaltung forschten
       und der neue Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. ein ausgesprochener
       Impfskeptiker ist oder weil sie von jemandem aus einem Diversitätsprogramm
       besetzt wurde.
       
       Außerdem hat Trump die NIH angewiesen, die bereits ausgehandelten
       „indirekten Kosten“, die das Institut von den Universitäten übernommen hat,
       zu kürzen. Durch sie wird etwa die Nutzung von Laborräumen finanziert, das
       Entsorgen von gefährlichem Müll oder das Personal, das Patienten bei der
       Anmeldung zu klinischen Studien unterstützt. Letzteres könnte dazu führen,
       dass weniger Kinder behandelt werden und deshalb mehr sterben, warnt
       Charles Robert, Leiter des Krebszentrums eines Kinderkrankenhauses.
       Vorerst konnte ein Richter den Vorstoß blockieren, aber es ist unklar, ob
       er am Ende Erfolg haben wird.
       
       ## Diversität? Gleichheit? Inklusion? Gestrichen!
       
       Tatsächlich sind die NIH in ihrer Hauptfunktion, der Verteilung neuer
       Forschungsgelder, derzeit praktisch handlungsunfähig. Seit Trumps
       Amtsantritt haben sie eine Milliarde Dollar weniger ausgegeben als im
       Vorjahreszeitraum. Die Regierung verhinderte Sitzungen, in denen sonst
       Vergaben abgeschlossen würden, die neue Forschung finanzieren, etwa zu
       Alzheimer-, Sucht- oder Herzerkrankungen.
       
       Noch am Tag seiner Amtseinführung verabschiedete Trump ein Dekret, das
       staatliche Behörden und staatliche Forschungsförderung veranlasst, alles
       rund um die Begriffe Diversität, Gleichheit und Inklusion zu streichen. Die
       Förderung von Forschungsprojekten werde nicht mehr durch wissenschaftlichen
       Konsens und grundsätzliche Neugier bestimmt, kritisiert die
       Wissenschaftshistorikerin Sarah Richardson: „Es ist die Regierung, die uns
       vorschreibt, welche Worte wir verwenden dürfen und was als Wissenschaft,
       was als Forschungsrahmen und Methode gilt.“
       
       Dass Diversität als Begriff vom Dekret betroffen ist, sieht die
       Wissenschaftshistorikerin der Harvard-Universität als großes Problem. Sie
       hat 2018 das interdisziplinäre GenderSci Lab auf dem Campus aufgebaut, das
       sozialwissenschaftliche und biomedizinische Forschung verbindet. Sie denkt
       bei den Kürzungen und Einschnitten in die Wissenschaftsfreiheit
       beispielsweise an Schwarze Frauen in den USA, die wesentlich häufiger an
       Asthma leiden und ein höheres Risiko haben, daran zu sterben, oder an
       ältere Frauen, deren Tablettenboxen oft mit mehr unterschiedlichen
       Medikamenten gefüllt sind als die von gleichaltrigen Männern. Sie sind
       durch die Multimedikation überversorgt, haben mehr Nebenwirkungen und oft
       einen geringeren Behandlungserfolg.
       
       [3][Die Gründe, warum bestimmte Bevölkerungsgruppen stärker von Krankheiten
       betroffen sind], häufiger sterben oder schlechter versorgt werden, lägen
       immer in einem Geflecht verschiedenster biologischer und sozialer Faktoren.
       Sie müssten sorgfältig aufgeschlüsselt werden, um angemessen reagieren zu
       können, so Richardson. Inwieweit die sozialen Dimensionen von
       Frauengesundheit oder die Gesundheit von Schwarzen Menschen, Trans* oder
       nicht-binären Menschen in den USA weiterhin erforscht werden können, sei
       mit der neuen Trump-Administration „völlig ungewiss“.
       
       ## Trumps fundamentaler Angriff auf die Wissenschaft
       
       Ohne das Bekenntnis zu Diversität kehren die USA unter Donald Trump wieder
       zurück zum Modell des universellen Patienten. Dabei hatte die
       Forschungslandschaft eben erst begonnen, ihn hinter sich zu lassen.
       
       Lange Zeit habe die Wissenschaft eine sehr enge Vorstellung davon gehabt,
       wem sie diene, so Richardson. „Wissenschaftler hatten die Annahme, dass der
       weiße Mann für alle stehen kann, dass Körper transhistorisch seien, dass
       ein Körper derselbe ist wie jeder andere.“ Erst durch die Bürgerrechts- und
       Frauenrechtsbewegungen der 60er- und 70er Jahre sowie die
       Aids-Aktivist*innen habe sich das Bewusstsein verändert. So habe man
       verstanden, dass verschiedene Gruppen wie Frauen, Schwangere, Menschen mit
       HIV oder Transgender-Personen von dem bisherigen Modell schlecht versorgt
       wurden.
       
       In den 1980er Jahren traten erstmals Gesetze und Richtlinien, etwa zur
       Einbeziehung von Frauen und Minderheiten als Probanden in der klinischen
       Forschung, bei den NIH und anderen wissenschaftlichen Gesellschaften und
       Fachmagazinen in Kraft. Dass diese nun rückgängig gemacht würden, sei
       dramatisch, findet Richardson. Denn Forschung sollte allen Menschen nützen:
       „Wenn eine demokratische Öffentlichkeit die Wissenschaft finanziert, ist es
       wichtig, dass die Menschen ihre Körper, ihre Biologie und ihre Erfahrungen
       in der Forschung wiedererkennen.“
       
       [4][Die US-Regierung greife die Wissenschaft als Ganzes an], resümiert
       Julie McNamara, stellvertretende Direktorin des Klima- und Energieprogramms
       der Union of Concerned Scientists. Sie warnt davor, dass, wenn Behörden wie
       die NIH lahmgelegt werden, dies letztlich auch der US-Wirtschaft schaden
       wird. Von den 350 Medikamenten, die in den USA zwischen 2010 und 2019
       zugelassen wurden, fanden alle ihren Ursprung in von den NIH geförderten
       Projekten. Das beste Beispiel ist die Geschichte des erfolgreichen
       Diabetesmedikaments Ozempic. Die NIH förderte ein Projekt, bei dem
       Wissenschaftler das Gift der Gila-Krustenechse untersuchten, weil es
       interessante physiologische Effekte zu haben schien. Die Forschung wurde
       zur Grundlage für Ozempic.
       
       24 Apr 2025
       
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