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       # taz.de -- Forschungszentrum Desy in Hamburg: Blick ins Innerste der Welt
       
       > Am Desy wird mit riesigen Forschungsmaschinen die Natur der Materie
       > untersucht. Hier können Moleküle fotografiert und Reaktionen gefilmt
       > werden.
       
   IMG Bild: Eröffnung des Zentrums für Röntgen- und Nanoforschung CXNS auf dem Gelände von DESY im April 2022
       
       Hamburg taz | [1][Goethes Doktor Faust] war auf dem Holzweg. Aus lauter
       Verzweiflung hat er sich im Drama der Magie ergeben, auf dass er „nicht
       mehr mit saurem Schweiß / Zu sagen brauche, was ich nicht weiß; daß ich
       erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält, / schau alle Wirkenskraft
       und Samen und tu nicht mehr in Worten kramen“.
       
       Ex negativo ist damit ziemlich gut beschrieben, was das [2][Deutsche
       Elektronen-Synchrotron (Desy) in Hamburg betreibt. Das riesige
       Wissenschaftsareal neben und untern dem Volksparkstadion] gehört zu den
       Orten auf der Welt, auf denen Physikgeschichte geschrieben worden ist.
       Dabei ist die Schau auf „alle Wirkenskraft und Samen“ gerade mit viel
       Schweiß und ganz ohne Zauberei gelungen – auch wenn so manches dabei
       magisch wirkt.
       
       Um ins Innerste der Welt blicken zu können, [3][gibt es im Desy
       kilometerlange Ring- und Längstunnel, in denen subatomare Teilchen auf
       annähernd Lichtgeschwindigkeit beschleunigt] und mit Energie aufgeladen
       werden können. Die Tunnel sind so groß, dass U-Bahnen darin fahren könnten.
       [4][3.000 Wissenschaftler aus dem In- und Ausland machen hier Experimente]
       und auch die Industrie bucht die Anlagen, wenn es etwa darum geht,
       besondere Materialeigenschaften zu prüfen.
       
       Der erste, nur 300 Meter lange Beschleunigerring wurde von 1959 bis 1964
       gebaut und kostete 100 Millionen Mark. Die junge Bundesrepublik suchte
       damit Anschluss an die internationale Spitzenforschung, in der sich zu
       dieser Zeit aufregende Dinge taten. In der ersten Hälfte des Jahrhunderts
       hatten sich die Physiker darauf verständigt, dass die Materie aus Atomen
       und diese wiederum aus einen Kern von Protonen und Neutronen sowie
       Elektronen besteht, die auf bestimmten Energieniveaus um diesen Kern
       kreisen.
       
       ## Elektronen auf Kollisionskurs
       
       In den 40er und 50er Jahren stellte sich heraus, dass dieses einfache
       Weltbild nicht zu halten war. Die Forscher machten sich auf die Suche nach
       weiteren Teilchen und die Deutschen wollten mitspielen. Das ursprüngliche,
       namensgebnde Synchrotron beschleunigte Elektronen, die dann abgelenkt und
       auf ein Ziel geschossen wurden. Dabei entsanden neue Teilchen wie das
       Antiproton, das Antiteilchen des Wasserstoffkerns, dessen Existenz bis dato
       nur theoretisch bekannt war.
       
       Bald schon reichten den Physikern die Erkenntnismöglichkeiten des Desy
       nicht mehr aus. Sie planten einen [5][Speicherring, in dem die Elektronen
       und andere Teilen dauerhaft auf Trab gehalten] und mit viel größerer
       Energie auf Kollisionskurs gebracht werden konnten. „Doris“, so der Name
       des Speicherrings, half zu beweisen, dass sich Protonen und Neutronen aus
       weiteren kleinen Teilchen zusammensetzen, sogenannten Quarks.
       
       Doris war noch nicht fertig, da planten die Wissenschaftler den 2.300 Meter
       langen Ring „Petra“, der weitere Kurven aufwies, so dass sich die
       Elektronen leichter auf ihrer Bahn halten ließen. In diesem Ring gelang in
       Hamburg zum ersten Mal der Nachweis des Gluons, des Klebeteilchens, das die
       Quarks zusammenhält.
       
       In den runden Teilchenbeschleunigern trat ein zunächst bloß störendere
       Effekt auf: Die Elektronen gaben in den Kurven Energie ab, die
       Synchrotronstrahlung. Schnell kamen die Forscher auf den Gedanken, dass
       sich dieses Röntgenlicht für Forschungszwecke verwenden ließe. Die neueste
       Ausbaustufe des Teilchenbescheunigers wird deshalb als Lichtquelle benutzt,
       mit der sich winzige Eiweißkristalle oder feinstes Material für
       Computer-Festplatten quasi fotografieren lässt.
       
       Der gleiche Effekt wird am Desy für Freie-Elektronen-Laser genutzt. Dabei
       werden geradeaus beschleunigte Elektronen von Magneten auf einen
       Schleuderkursgebracht, bei dem sie Licht emittieren. Das wird so
       koordiniert, dass sehr intensive Laserblitze in der Größenordnung einer
       Billionstel Sekunde entstehen. Damit das klappt, werden die Elektronen
       widerstandslos auf supraleitenden Bahnen beschleunigt, die auf minus 271
       Grad Celsius gekühlt werden müssen.
       
       Zwei dieser Anlagen gibt es heute, [6][die jüngste, den European Xfel, seit
       2015.] Wegen der kurzen Wellenlänge und der Kürze der Blitze lässt sich
       damit nicht nur die Struktur von Molekülen erfassen sondern auch wie sie im
       Zeitablauf miteinander reagieren.
       
       22 Oct 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Festival-Goethe-Institut-im-Exil/!5883774
   DIR [2] /Kunst-im-Teilchenbeschleuniger/!5455921
   DIR [3] https://www.desy.de/
   DIR [4] /Deutsch-Russische-Forschungsprojekte/!5838701
   DIR [5] /Universum-und-Materie/!5442747
   DIR [6] https://www.xfel.eu/aktuelles/news/index_ger.html?openDirectAnchor=1979&two_columns=0
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gernot Knödler
       
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