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       # taz.de -- Frank Spilker über Die Sterne: „Für mein Gesicht verantwortlich“
       
       > Der Hamburger Musiker Frank Spilker über Mittel seiner Band gegen
       > kreativen Stillstand, Feilen an Details und Verweigerungsgesten in
       > Texten.
       
   IMG Bild: Er ist Die Sterne: Frank Spilker
       
       taz: Frank Spilker, mit Ihrer Band Die Sterne veröffentlichten Sie
       demnächst ein neues Album. Es heißt schlicht „Die Sterne“. Wie kommt’ s? 
       
       Frank Spilker: Der Witz ist doch klar, oder? Ich habe lange überlegt und
       keine stärkere Geste gefunden. Es ist natürlich frech, in dem Moment, in
       dem eine Band sich neu formieren muss, zu sagen: Das ist Die Sterne. Aber
       es ist auch eine Geste der Selbstbehauptung: Es geht weiter.
       
       2018 stiegen Bassist Thomas Wenzel und Drummer Christoph Leich nach mehr
       als 25 Jahren als Mitglieder Ihrer Band aus. Sie sind jetzt das letzte
       verbliebene Gründungsmitglied. 
       
       Schon 2014 gab es bei uns kreativen Stillstand, das damalige Album „Flucht
       in die Flucht“ kam nur mit Ach und Krach zustande. Danach haben wir haben
       aus verschiedenen Gründen kein einziges Stück fertig bekommen.
       
       Lag es an den üblicherweise kolportierten „künstlerischen Differenzen“? 
       
       Es ist erstaunlich, dass wir überhaupt so lange zusammengeblieben sind.
       Wenn die Rolling Stones das machen, weil es da um sehr viel Kohle geht, mag
       es verständlich sein, dass es alle anderen Lebensaspekte in den Schatten
       stellt. Bei einer Band wie uns ist es nach dem zwölften Album nur
       menschlich, wenn jemand etwas anderes machen möchte. Oder: Ihm ist das zu
       unsicher, er arbeitet lieber Vollzeit in einem Büro und macht nur noch als
       Hobby Musik.
       
       Warum heißt Ihre Band immer noch Die Sterne?
       
       Es ist wie ein Update: Die Sterne 2,0. Das ist nicht der zwanghafte
       Versuch, so wie 1995 zu klingen. Für mich war klar, dass auch etwas Neues
       Die Sterne heißen kann. Es ist etwas Vorläufiges: Wir gehen jetzt erst mal
       auf Tour und gucken, ob danach noch alle Bock haben.
       
       Sie haben sich eine heterogene Band zusammengesucht, bestehend aus dem Duo
       Düsseldorf Düsterboys, dazu als Rhythmusgruppe Musiker der Kölner Band Von
       Spar, außerdem Mitglieder des klassischen Ensembles Kaiser Quartett und als
       Sahnehäubchen Carsten Meyer alias … 
       
       … Erobique! Sterne-Fan der ersten Stunde. Er fand unsere Synthese aus Pop
       und Disco mit deutschen Texten immer gut. Carsten hat seine Parts in
       wenigen Stunden in der Küche eingespielt. Das ist magisch, wie er mit zwei,
       drei Moves den Sound übernimmt. Auch Von Spar mochten schon früher die
       Krautrock-Seite der Sterne.
       
       Wer Erobique hört, kommt nicht umhin, an Giorgio Moroder zu denken. 
       
       Richtig. Es ging um die Genauigkeit in der Rekreation dieser Sounds.
       Carsten hat ja 2019 ein Album im Stil von Hildegard Knef gemacht. Von Spar
       dagegen wissen genau, wie Klaus Dinger von NEU! sein Schlagzeug aufgenommen
       hat und können das reproduzieren. Auch die alte Sterne-Besetzung hat sich
       schon dafür interessiert, aber jetzt klingt es genauer.
       
       Ein Hit der Sterne heißt „Ich scheiß auf deutsche Texte“.
       Verweigerungsgesten ziehen sich seit jeher durch Ihre Lyrics. Ist der neue
       Song „Du musst gar nichts“ nun die Kulmination davon? 
       
       Verweigerung ist ein Leitmotiv von Punk, und auch vom Schlager. Alle
       wissen, dass es nicht stimmen kann: Du musst essen, du musst auf die
       Toilette, es gibt physikalische Grenzen. Aber anzunehmen, dass es nicht so
       sein muss – das kann man feiern. Vielleicht nur für die sechs Minuten, die
       der Song dauert. Die Kuhglocke treibt dich übers Feld, du willst nicht,
       dass es aufhört. Ganz großer Song!
       
       Ähnlich gelungen ist „Das Herz schlägt aus“, ein toller, optimistischer
       Popsong. Wie schwierig ist es, das Wort „Herz“ in einem anspruchsvollen
       Text unterzubringen? 
       
       Absolut schwierig. Liebe, Herz und Schmerz sind Schlager-Reizworte. Der
       Kontrast, der dabei entsteht, hat mit Gewalt zu tun: in die Fresse, in den
       Magen. Wenn ich so eine Formulierung habe, will ich sie auch machen. Meine
       zentrale Idee ist, dass Gefühle auch brutal und rücksichtslos sein können.
       Kein neuer Gedanke, aber wenn man einen Satz hat, der das transportiert,
       kann er einen Song tragen. Das ist nur eine Frage des Stils, ob es Kitsch
       oder Kunst wird.
       
       Die Frage nach dem Anspruch hat Sie schon in den Achtzigern umgetrieben,
       als Sie in Bad Salzuflen mit Freunden das Label „Fast Weltweit“ gründeten.
       Es gilt mit Künstler:Innen wie Bernd Begemann, Jochen Distelmeyer und
       Bernadette La Hengst als Brutstätte der Hamburger Schule. Brauchten Sie die
       Kleinstadt als Trigger für rebellische Haltung? 
       
       Was ich an der Provinz immer gehasst habe, war der Vergleich. Die Frage:
       Was geht anderswo? Gar nicht erst anzufangen, eine eigene Sprache zu
       finden. Es wurde nur kopiert, was international passiert. Wir haben Fast
       Weltweit gegründet, um uns selbst zu ermächtigen und nicht zu warten, bis
       wir von einem Label gesignt wurden. Schon zu Schulzeiten habe ich positive
       Erfahrungen mit Punk gemacht, es ging um Lokales wie den Brand in einer
       Chemiefabrik. Wenn nicht genug Leute gekommen sind, gingen wir von der
       Bühne und diskutierten. Das waren unsere ersten Gehversuche.
       
       Ihre Kunst wäre in Hamburg also so nicht entstanden? 
       
       Ich kann zumindest sagen, dass die Einöde, die zuvor um uns herum
       herrschte, ein starker Impuls war. Den hatte kein Hamburger. Die haben
       diese Dissonanz zwischen der Kultur vor Ort und dem medial Vermittelten
       nicht erlebt. In Hamburg haben sowieso immer schon alle in coolen Bands
       gespielt.
       
       Gibt es angesichts sich ständig verkomplizierender Rahmenbedingungen noch
       eine Zukunft für professionelle MusikerInnen in Großstädten wie Hamburg? 
       
       Die Branche in der Stadt ist groß, es wird viel Geld mit Pop verdient, das
       Produkt Musik ist gewollt. Das Problem sind global agierende Rechteinhaber,
       die ihre Interessen gegen diejenigen durchsetzen, die die Inhalte liefern.
       Für den Interessenausgleich muss gesorgt werden, damit Kultur nicht stirbt.
       Aber da haben wir das Problem mit den Major Labels: Die Vielfalt geht
       drauf. Die möchten lieber wenige Produkte an alle verkaufen. Die meisten
       Menschen sind keine Fachidioten wie wir beide und interessieren sich leider
       nicht für Musik.
       
       Indie war nicht immer nur cool. Sie schreiben in einem Essay auf Ihrer
       Website: „All die Labels, von denen ich in den 80er-Jahren Fan war, haben
       höchstens ein, zwei Jahre existiert oder die Künstler um ihr Geld
       betrogen.“ 
       
       In den Siebzigern ging es darum, sein Zeug unter die Leute zu kriegen,
       später merkte man, dass man mit unabhängig veröffentlichter Musik Geld
       verdienen konnte. Noch einmal: Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe,
       für kulturelle Vielfalt zu sorgen. Das darf nicht damit zu Ende sein, die
       bürgerliche Kultur in der Oper zu fördern. Aber es kommt nun eine neue
       Generation von Politikern, die das wissen. Carsten Brosda ist der erste
       Hamburger SPD-Kultursenator, der die lokale Popszene wirklich kennt.
       
       Leidiges Thema: Kaum ist man über 50, wollen Journalisten mit MusikerInnen
       übers Altern reden. Haben Sie noch Lust darauf? 
       
       Pop ist was für junge Leute, in meinem Alter wählt man CDU und geht in die
       Oper! Sorry, aber so ist es nicht. Es gibt genug Beispiele für Popstars,
       die in Würde gealtert sind. Von Nick Cave und Herbert Grönemeyer würde man
       schließlich auch nicht erwarten, dass sie zurücktreten, weil sie eingesehen
       haben, dass Pop nur etwas für Kinder ist. Hanns Dieter Hüsch hat allerdings
       einmal treffend gesagt: Ab einem gewissen Alter ist man für sein Gesicht
       verantwortlich. Ich glaube, er hat das wörtlich gemeint. Ich meine es im
       übertragenen Sinne.
       
       Und was heißt das nun für Ihre Kunst? 
       
       Ich komponiere Songs über das, was mich interessiert. Und wenn mir das gut
       gelingt, interessiert es nicht nur Leute in meinem Alter.
       
       Gehen Sie noch aus? 
       
       Clubkultur interessiert mich nicht mehr. Es ist schon eine Frage des
       Alters, ob man um drei Uhr nachts Lust hat, in Clubs herumzustehen.
       Irgendwann ist man derjenige, den das Publikum für einen Polizisten hält.
       
       18 Feb 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan Paersch
       
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