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       # taz.de -- Frankreich im WM-Viertelfinale: Befreiungsschlag einer Nation
       
       > Frankreich setzt sich gegen Brasilien durch – mit großartigen Momenten.
       > Beinahe wären die Gastgeberinnen an dem immensen Druck zerbrochen.
       
   IMG Bild: Größte französische Teamleistung: Gratulantinnen stürzen sich auf Torschützin Henry
       
       Le Havre taz | So einfach ist das. „Wenn wir gewinnen, habe ich natürlich
       recht gehabt.“ Das hat Corinne Diacre, die Trainerin der französischen
       Nationalmannschaft, nach dem 2:1-Erfolg der ihren im Achtelfinale dieser WM
       gegen Brasilien gesagt. Klar. Niemand hat ihr widersprochen nach diesem
       emotionalen Abend von Le Havre, nach einem aufreibendem Spiel, das erst in
       der Verlängerung entschieden worden ist. Diacre wird wissen, dass dieser
       Erfolg passiert ist, dass er nicht unbedingt auf ihren Entscheidungen
       beruht. Es war ein großer Sieg in einem großen Spiel. Es war einer, der das
       Team zur Gemeinschaft gemacht haben könnte. Davon jedenfalls waren
       Spielerinnen und Trainerin nach vollbrachter Großtat überzeugt.
       
       Dass sie eigentlich gar nicht so gut gespielt haben, wie sie es von sich
       selbst gedacht, wie es auch die 24.000 Fans im Stade Océane erwartet haben,
       war allen nach der Partie klar. Am deutlichsten brachte Corinne Diacre dies
       zum Ausdruck. „Ich habe meine Mannschaft heute nicht wiedererkannt“, meinte
       sie. Was die individuellen Leistungen angehe, habe keine Einzige auf
       höchstem Niveau gespielt. „Die eine bei 80 Prozent, eine bei 85. Vielleicht
       war eine auch bei 95 Prozent. „Aber was vor allem in der Defensive erledigt
       werden musste, haben wir erledigt.“
       
       Sie hatte ihre Mannschaft mit einem neuen System auf das Feld geschickt.
       Statt mit drei Angreiferinnen zu spielen, hatte sie auf 4-4-2 umgestellt.
       Sie wollte dadurch wohl vor allem Stabilität gewinnen. Doch stabil war da
       lange gar nichts. Das zu Beginn aufgekratzte Publikum wurde immer ruhiger,
       konnte kaum ertragen, mitanzusehen, wie die Französinnen an dem Druck, der
       – wie Diacre nachher sagte – auf den Spielerinnen lag, schier zu zerbrechen
       schienen. „Wir haben ja kaum drei Bälle hintereinander spielen können“, so
       Diacre. Das Publikum war schockiert, die Französinnen spielten nicht, sie
       litten.
       
       Und die Brasilianerinnen? Die schnappten sich den Ball und dominierten
       phasenweise. Was war da los? Es schien, als wären die Französinnen nicht in
       der Lage, die ganze Last eines solchen Turniers zu schultern. „Ja, das war
       schwer“, sagte die Trainerin und erzählte, wie sie in der Pause versucht
       hat, ihre Spielerinnen vom Druck zu befreien: „Spielt einfach!“, habe sie
       gesagt.
       
       ## Irrwitzig und wahnwitzig
       
       Gelungen ist das nicht wirklich. Selbst nach der Führung ließen die
       Französinnen fast jede Sicherheit vermissen. Die Folge war der schnelle
       Ausgleich durch Thaisa. Am Ende waren es einzelne Großtaten, die sich zum
       Bild des französischen Spiels zusammengefügt haben. Eine irrwitzige Parade
       von Sarah Bouhaddi nach einem Kopfball von Christiane. Der wahnwitzige
       Flankenlauf von Kadidiatou Diani vor dem 1:0 der Französinnen durch Valerie
       Gauvin. Die total verrückte Rettungstat vom Griedge Mbock Bathy auf der
       Linie in der ersten Hälfte der Verlängerung, als alle im Stadion den Schuss
       von Debinha schon im französischen Tor wähnten. Und natürlich der
       entscheidende Treffer von Amandine Henry in der 107. Minute, in der die in
       der Verteidigung gebundene Käpitänin endlich von allen Zwängen befreit in
       bester Stürmerinnenmanier den Freistoß von Amel Majri ins Tor bugsierte.
       
       All diese Momente werden haften bleiben. Sie waren großartig. Die größte
       Mannschaftsleistung der Französinnen an diesem Abend war wahrscheinlich
       dennoch der Torjubel nach dem Treffer von Henry. Die war schnell unter
       ihren Mitspielerinnen begraben. Was sie gedacht hat nach dem Tor? „Erst mal
       gar nichts, ich war nicht mal in der Lage aufzustehen.“ Und dann hat sie
       sich gefragt, ob wohl der Videoschiedsrichter noch eingreift. So ist das
       eben im modernen Fußball. Selbst in den größten Momenten des Spiels, beim
       großen Befreiungsschlag einer ganzen Fußballnation gilt der erste Gedanke
       dem Videoschiedsrichter.
       
       Nun geht es also weiter für La France. Doch wenn wirklich stimmt, was
       Torhüterin Bouhaddi, die froh war, das erste Mal im Turnier wirklich etwas
       Arbeit gehabt zu haben, gesagt hat, dann könnte es schon im Viertelfinale
       wieder ganz eng werden. „Wir haben das Maximum gegeben.“ So richtig viel
       war das nicht gegen die alten Damen aus Brasilien, die am Ende auch deshalb
       verloren haben, weil sie einfach nicht mehr konnten. So sah es auch deren
       Trainer Vadao nach dem Spiel. Der wusste genau wie seine Kapitänin Marta,
       dass dies für längere Zeit das letzte große Spiel einer brasilianischen
       Nationalmannschaft gewesen sein könnte.
       
       Eine ganze Spielerinnengeneration steht vor dem Abgang. Martas Appell nach
       Spielschluss an die Jugend Brasiliens gehört zu den besten Szenen dieses
       großen Spiels: „Du musst mehr wollen, mehr trainieren, bereit sein, 90
       Minuten zu spielen, dann noch einmal 30 Minuten. Das ist es, was ich den
       Mädchen sage. Formiga (41) ist nicht ewig da, genauso wenig wie Marta (33)
       oder Cristiane (34). Das Überleben des Frauenfußballs hängt von euch ab!“
       
       24 Jun 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Rüttenauer
       
       ## TAGS
       
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