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       # taz.de -- Frauen über 40: Endlich unsichtbar
       
       > Es hat Vorteile, wenn frau nicht mehr so im Fokus der Aufmerksamkeit
       > steht. Endlich muss sie vermeintliche körperliche Mängel nicht mehr
       > verstecken.
       
   IMG Bild: Man wird ja wohl noch den Strandhafer angucken dürfen
       
       Frauen über 40 sollen ja unsichtbar sein, vor allem für Männer. Meine
       Mutter hatte mir das zu einem Zeitpunkt erzählt, als 40 noch echt alt
       klang, [1][ein Alter, das mir jetzt ausgesprochen jugendlich erscheint].
       Damals hatte mir diese Aussicht eine diffuse Angst gemacht – ohne dass ich
       hätte sagen können, warum. Mir haben nie viele Männer hinterher geguckt, es
       gab also nichts, was ich vermissen würde. Womöglich habe ich die Blicke
       nicht bemerkt, weil ich nicht wusste, dass junge Menschen zwar nicht
       zwangsläufig attraktiv sind, aber fast immer schön, so auch ich. „Youth is
       wasted on the Young“, ein Zitat, dessen Urheberschaft übrigens ungeklärt
       ist.
       
       Vielleicht hatte ich Sorge vor permanenten Kopfverletzungen, weil frau die
       eigene Unsichtbarkeit daran erkennen soll, dass ihr keine Türen mehr
       aufgehalten werden. So steht es jedenfalls in einschlägigen
       Frauenzeitschriften, was mich ratlos macht: Die Deutschen sind nicht für
       ihre ausgesuchte Höflichkeit bekannt.
       
       Ob jetzt also mehr Menschen als früher durch mich hindurch gucken, weiß ich
       daher gar nicht so genau. [2][Jüngere tun das bestimmt, auch Frauen], das
       liegt daran, dass sie nicht verstehen, dass ich ihre Zukunft bin, während
       ich all ihre Altersstufen in mir trage und genau weiß, wie es ist, 15 zu
       sein, 25 oder 35. Ich habe das auch erst mit etwa 40 begriffen.
       
       Irgendetwas machte zeitgleich mit dem Auftreten der ersten Zipperlein Klick
       und seitdem sehe ich Ältere besser als vorher. Wenn das nicht nur mir so
       geht, kann es nicht stimmen, dass Frauen im Alter unsichtbar werden, aber
       wahrscheinlich ändert sich der Blick auf sie. Sie werden von weniger
       Menschen und seltener als potentielle Sexualpartner:innen
       wahrgenommen. Was streng genommen nur dann dramatisch ist, [3][wenn dies
       auch einher geht mit weniger Sex], sofern man auf diesen Lust hat.
       
       ## Schleimhaut wird dünner, das Fell dicker
       
       Zudem hat es Vorteile, weniger im Fokus zu stehen. Früher bin ich nur
       ungern nackt schwimmen gegangen aus Angst begafft und beurteilt zu werden,
       was mir mittlerweile nicht ganz egal ist, aber ziemlich. Ich trage auch
       erst einen Bikini, seitdem ich 30 bin. Während meine Haut an Spannkraft
       verlor, wuchs mein Selbstbewusstsein. Die Schleimhaut wird dünner, das Fell
       dicker. Kürzlich hatte ich nach einem Sprung in die Weser keine Lust mich
       anzuziehen, es regnete eh, und ich radelte in Regenjacke und Bikini nach
       Hause und scherte mich einen Dreck darum, dass ich meine Cellulitis
       präsentierte.
       
       Aber nein, ganz so cool wie ich es gern wäre, bin ich – noch? – nicht. Ich
       hätte mich im August nicht alleine an dem FKK-Strand auf Föhr gesonnt wie
       die vielleicht 30-jährige Frau, die hinter meiner Freundin E. und mir im
       Sand lag, in zweiter Reihe hinter ein paar Büscheln Strandhafer. Die
       sollten wohl als Schutz dienen vor den Blicken der Männer, die auf und ab
       flanierten, um einen Blick auf nackte Frauenhaut – auch unsere fast 50
       Jahre alte – zu erhaschen (klar, vielleicht interessierten sie sich auch
       für den Strandhafer oder die wenigen männlich gelesenen Personen, die dort
       mit ihren Partnerinnen lagen).
       
       Ein Mann um die 60 mit kräftigem Schmerbauch hatte sich zu helfen gewusst
       und sich an einem nahezu menschenleeren Strand einfach neben die Frau
       gelegt. „Stört es Sie?“, hörte ich ihn fragen und in Gedanken antwortete
       ich für sie: „Ja, sehr.“ Aber sie sagte: „Nein, kein Problem“. Später
       fragte ich sie, ob es ihr nichts ausmache, alleine am FKK-Strand zu sein.
       „Eigentlich nicht“, sagte sie, und erzählte dann, dass der Mann ihr, als E.
       und ich im Wasser waren, gesagt hatte, er habe sie „dann doch“ anschauen
       „müssen“, weil sie so schön sei. „Das hätte er lassen können“, sagte die
       Frau, beeilte sich aber hinterher zu schieben, sie sei recht
       „schmerzbefreit“ in der Hinsicht.
       
       Ich weiß nicht, wie oft ich solche Sätze schon von weiblich gelesenen
       Menschen gehört habe. „Meine Schuld, wenn mich das stört. Ich muss
       einfacher noch tougher werden.“
       
       Es tut so weh.
       
       20 Sep 2022
       
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