URI: 
       # taz.de -- Frauenfußball in Italien: Mehr als nur ein Sommer
       
       > Die „Azzurre“ spielen gegen China um den Einzug ins Viertelfinale der
       > Fußball-WM. Daheim ist das Turnier bislang ein großer Erfolg.
       
   IMG Bild: Cristiana Girelli nach ihrem Vorrundentreffer gegen Jamaika
       
       Rom taz | Auf dem Spielplatz kickt ein Junge im Trikot der Nummer 10. Ja,
       er trägt das Trikot von Cristiana Girelli … Nein, ganz so weit ist man in
       Italien noch nicht, aber die Frauen der Nationalmannschaft genießen zurzeit
       hohe Popularität. Über sieben Millionen Zuschauer saßen beim dritten
       Gruppenspiel gegen Brasilien vor den Fernsehgeräten: Die 0:1-Niederlage,
       trotz der die „Azzurre“ als Gruppensiegerinnen ins Achtelfinale eingezogen
       sind, hat sich in Italien jedeR Dritte angeschaut. Der Marktanteil betrug
       bei dem 21-Uhr-Spiel 32,8 Prozent.
       
       Die Neugierde auf das Team von Trainerin Milena Bertolini ist riesig: Noch
       vor ein paar Wochen wurde es lediglich als die eine Nationalmannschaft
       betrachtet, die sich für eine WM qualifiziert hatte – im Gegensatz zur
       männlichen Auswahl, die das Turnier in Russland so kläglich verpasst hatte.
       Jetzt haben sich die Frauen endlich vom Vergleich mit den Männern lösen
       können. Dazu haben sowohl die positiven Ergebnisse in der Gruppenphase
       beigetragen als auch die intensive Medienberichterstattung: Über die WM
       wird täglich berichtet; die Spiele werden live nicht nur auf Sky
       übertragen, sondern auch in der Rai, also im Free-TV.
       
       Das Spiel gegen Brasilien wurde sogar zur Prime-Time-Sendung von Raiuno,
       dem ersten öffentlich-rechtlichen Sender, auf einem Sendeplatz, an dem
       traditionell die Spiele der Männer übertragen werden. Interessanterweise
       wurde sogar der Kommentar zum ersten Mal in der Geschichte des
       italienischen Fernsehens einer Frau anvertraut, nämlich der Journalistin
       Tiziana Alla. Bei Sky war dagegen noch eine männliche Stimme zu hören, aber
       mit dem Co-Kommentar der bekanntesten italienischen Ex-Spielerin, Carolina
       Morace, die heute die Frauen des AC Milan trainiert.
       
       Die Art und Weise, wie über die WM berichtet wird, könnte man für eine
       kleine Revolution halten: Zum ersten Mal sind die Fernsehstudios fast
       ausschließlich von Frauen besetzt. Hintergrund ist keine feministische
       Entscheidung, sondern die Tatsache, dass die Fachleute für Frauenfußball
       bis auf wenige Ausnahmen eben Frauen sind – meistens ehemalige Spielerinnen
       oder Trainerinnen.
       
       Die WM gilt als Höhepunkt einer historischen Saison für den italienischen
       Frauenfußball: Zum ersten Mal wurden die Serie-A-Spiele der Frauen live
       auf Sky übertragen, und zwar sonntagvormittags vor den Partien der Männer.
       Deswegen konnten sich viele, die sich sonst ausschließlich für den
       männlichen Fußball interessierten, mit der Meisterschaft der Frauen
       vertraut machen – und sich somit auch auf die WM „vorbereiten“.
       
       Das war noch vor wenigen Jahren undenkbar: Dem Frauenfußball schenkten die
       Medien noch weniger Aufmerksamkeit als dem männlichen Amateur- und
       Jugendfußball. „Frauen, die Fußball spielen, lassen sich nicht anschauen“,
       lautet ein wiederkehrender Ausdruck, der mittlerweile allerdings mehrfach
       widerlegt wurde. Sobald es die Möglichkeit gab, sich die Spiele
       anzuschauen, wurde das auch gern gemacht, wie die Quoten beweisen.
       
       Auf den Titelseiten der Sportzeitungen ist die Konkurrenz allerdings groß:
       Der Transfermarkt der Männer sowie der Motorsport sind im Sommer
       traditionell die Hauptthemen, jetzt aber wird den Spielen der Azzurre, der
       Azurblauen, Vortritt gewährt. „Der Aufmerksamkeit sollte die Beibehaltung
       folgen“, hat Nationaltrainerin Bertolini gewarnt. Wie ihre Kolleginnen
       wünscht sie sich, dass Frauenfußball in Italien nicht bloß eine einmalige
       Sommerliebe bleibt.
       
       Die Begeisterung findet sich in der Politik bislang leider nicht wieder.
       Vorige Woche hat die Kulturkommission der Abgeordnetenkammer in Rom eine
       Änderung abgelehnt, die den Frauen den Status von Profisportlerinnen
       zuerkannt hätte. Auf die Gleichberechtigung von Männer- und Frauensport
       legen die Italienerinnen wert: „Es wurden zwar große Fortschritte gemacht,
       aber es reicht noch nicht“, sagte die Nationaltrainerin. Das Team erfreut
       sich nichtsdestotrotz großer Beliebtheit. Die Hoffnung ist, dass diese
       Liebe in Maßnahmen zur Weiterentwicklung mündet – bis die Jungs auf dem
       Spielplatz eines Tages wirklich das Trikot von Cristiana Girelli tragen.
       
       25 Jun 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Valeria Meta
       
       ## TAGS
       
   DIR Frauen-WM 2019 
   DIR Italien
   DIR Schwerpunkt Frankreich
   DIR Fußball
   DIR Frauen-WM
   DIR Frauen-WM 2019 
   DIR Frauen-WM 2019 
   DIR Frauen-WM 2019 
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Frauen-WM Achtelfinale: Das ganz große, kollektive „Hu“
       
       Italien hat zum ersten Mal seit 1991 das Viertelfinale einer Frauen-WM
       erreicht. China muss wie Japan die Heimreise antreten.
       
   DIR Frankreich im WM-Viertelfinale: Befreiungsschlag einer Nation
       
       Frankreich setzt sich gegen Brasilien durch – mit großartigen Momenten.
       Beinahe wären die Gastgeberinnen an dem immensen Druck zerbrochen.
       
   DIR Portrait Alexandra Popp: Willensstark und brutal ehrlich
       
       Sie ist nicht nachlässig-cool, sie verleiht dem Fleiß Coolness. Die
       Fußballerin Popp ist da, wo sie gebraucht wird – mit seltener
       Selbstlosigkeit.
       
   DIR Kolumne B-Note: Absurdes Theater im Videoraum
       
       Auch bei der Frauen-WM blamiert sich der Videobeweis. Jetzt sogar bei
       Elfmetern. Gegen Argentinien mussten die Schottinnen deswegen leiden.