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       # taz.de -- Freigelassene Hamas-Geiseln: Geschlagen, mit Gewehren bedroht
       
       > Weniger als ein Drittel der rund 240 Hamas-Geiseln ist bislang
       > freigekommen. Einige schildern nun, wie es ihnen in der Gewalt der
       > Terroristen erging.
       
   IMG Bild: Arm in Arm mit der Mutter: der zwölfjährigen Eitan Yahalomi beim Verlassen des Gazastreifens
       
       Berlin taz | Weiterhin gehen Wellen der Erleichterung durch Israel, während
       zugleich Bilder von freigelassenen Kindern und Frauen, die in die Arme
       ihrer Familie laufen, über die Bildschirme flimmern. Doch während einige
       Geiseln zurückkehren, kommt der Schmerz über den 7. Oktober noch einmal
       hoch, nicht nur für die israelische Bevölkerung insgesamt, sondern auch für
       einige der freigelassenen Geiseln. Denn der Tag ihrer Befreiung wurde für
       viele auch zu dem Tag, an dem sie von der Ermordung ihrer Familie und
       Freund*innen erfuhren.
       
       So ging es beispielsweise Noam und Alma Or, die sich in ihrer wochenlangen
       Geiselhaft an einem Gedanken festgehalten haben: sich bei ihrer Befreiung
       in die Arme ihrer Mutter graben zu können. So berichtet es ihr Onkel Ahal
       Besorai am Dienstag auf einer Pressekonferenz. Doch als sie die Grenze nach
       Israel überquerten und von ihrer Großmutter und ihrem älteren Bruder in
       Empfang genommen wurden, wurde dieser Traum zerstört: Sie erfuhren, dass
       ihre Mutter nicht mehr lebt. Der Vater wird wahrscheinlich noch im
       Gazastreifen festgehalten.
       
       Die vierjährige Avigail Idan kam als Vollwaise zurück: Ihre Mutter wurde am
       7. Oktober vor ihren eigenen Augen erschossen, genauso wie ihr Vater, der
       sich schützend über seine kleine Tochter gelegt hatte und auf ihr starb.
       Ihre Geschwister überlebten versteckt in einem Schrank, in dem sie 14
       Stunden lang ausgeharrt hatten.
       
       Es gibt nur vereinzelte Zeugenaussagen von Freigelassenen über die
       Bedingungen, unter denen sie in Gaza gehalten wurden und wie sie ihre Zeit
       erlebt haben. Aus Gesundheits- und Sicherheitsgründen und zum Schutz der
       Privatsphäre werden die Freigelassenen weitgehend von der Presse
       abgeschirmt. Doch das Abducted and Missing Families Forum organisiert
       digitale Konferenzen mit der internationalen Presse, in denen Angehörige
       berichten und Zeugenaussagen vorgelesen werden.
       
       ## Die 84-jährige Elma Avraham kämpft um ihr Leben
       
       Eine dieser Aussagen ist die vom zwölfjährigen Eitan Yahalomi, der ohne
       seine Eltern im Gazastreifen festgehalten wurde. Er sei bei seiner Ankunft
       in Gaza geschlagen worden und von Hamas-Terroristen gezwungen worden, sich
       Videos der Gräueltaten anzusehen. Jedes Mal, wenn ein Kind geweint habe,
       sei es mit Gewehren bedroht worden. Eitan war ohne seine Eltern entführt
       worden.
       
       Thomas Hand, der Vater der neunjährigen freigelassenen Emily Hand,
       berichtet gegenüber dem amerikanischen Fernsehsender CNN, dass seine
       Tochter nur noch flüstere. Sie weine sich jeden Abend in den Schlaf:
       „Gestern konnte sie nicht mehr aufhören. Sie wollte nicht getröstet werden,
       ich glaube, sie hat vergessen, wie es ist, getröstet zu werden“, sagt Hand:
       „Sie vergrub sich unter der Decke des Bettes, deckte sich zu und weinte
       leise.“
       
       Die 84-jährige Elma Avraham, die am Sonntag aus Gaza freigelassen wurde,
       kämpft derweil weiter um ihr Leben. Ihre Tochter berichtete gegenüber
       Medien, dass ihre Mutter mit einem Puls von 40 und einer Körpertemperatur
       von 28 Grad im Soroko-Krankenhaus in Beersheva eingeliefert wurde. Ihr
       Zustand sei weiterhin kritisch.
       
       ## Verlängerte Feuerpause bis Donnerstag
       
       Avrahams Kinder beschuldigen das Internationale Komitee des Roten Kreuzes,
       sich nicht genug dafür eingesetzt zu haben, ihrer Mutter während der 51
       Tage, die sie von Hamas-Terroristen als Geisel gehalten wurde,
       lebensrettende Medikamente zu bringen. Dabei gewährt die Hamas dem Roten
       Kreuz bis heute nicht, die Geiseln zu besuchen.
       
       Die Hamas veröffentlichte unterdessen einen angeblich von Danielle Aloni
       verfassten Brief auf X (vormals Twitter), der breit geteilt wird. In dem
       auf Hebräisch verfassten und ins Arabische übersetzten Brief heißt es,
       Aloni danke der Hamas für die „außergewöhnliche Menschlichkeit“, die sie
       ihr und ihrer Tochter gegenüber gezeigt haben soll. Ihre Tochter habe sich
       in Gaza „wie eine Königin“ gefühlt. Eine Stellungnahme von der Familie
       Aloni liegt bislang nicht vor. Drei weitere Familienangehörige von Danielle
       Aloni wurden am Montag freigelassen, ihr Schwager wird weiter als Geisel im
       Gazastreifen festgehalten.
       
       Unterdessen hatte [1][Katar] am Montagabend bekannt gegeben, dass eine
       Vereinbarung zur Verlängerung des Waffenstillstands getroffen wurde –
       vorerst um zwei weitere Tage. Israel hat zugestimmt, weitere 30
       palästinensische Gefangene freizulassen und den Waffenstillstand um 24
       Stunden für jeweils 10 freigelassene israelische Geiseln zu verlängern.
       Katar signalisierte auf einer Pressekonferenz am Dienstag, dass die
       Verhandlungen über die israelischen Soldat*innen unter den Geiseln
       beginnen würden, wenn die Zivilist*innen freigelassen sind.
       
       Doch einige Fragen bleiben offen: etwa die, ob die Hamas dem Komitee des
       Internationalen Roten Kreuzes ermöglichen wird, die Geiseln im Gazastreifen
       zu besuchen und ihnen Medikamente zukommen zu lassen. Außerdem bleibt im
       Dunkeln, wie es mit Raya Shoshani weitergeht, die in einem Bruch der
       Vereinbarung nicht gemeinsam mit ihrer 13-jährigen Tochter Hila aus der
       Geiselhaft der Hamas entlassen wurde. Die Terrororganisation gibt an, Hilas
       Mutter Raya nicht auffinden zu können. Hila hingegen sagt aus, dass sie nur
       zwei Tage vor ihrer Freilassung am vergangenen Samstag von ihrer Mutter
       getrennt wurde.
       
       Enden wird die seit Freitag geltende Feuerpause, Stand jetzt, nun am
       Donnerstagmorgen. Bereits am Mittwoch wird US-Außenminister Antony Blinken
       zum dritten Mal seit dem Beginn des Krieges in den Nahen Osten reisen. Sein
       Ziel: eine Verlängerung der Feuerpause zu erreichen, damit weitere der noch
       170 Geiseln freikommen. Außerdem drängt Washington weiterhin darauf, dass
       Israel humanitäre Hilfe und weitere Tanklaster in den Gazastreifen lässt.
       Treibstoff ist wichtig für das Funktionieren der Infrastruktur, für die
       Wasserversorgung und die Krankenhäuser – auch in Anbetracht der Sorge, dass
       sich im Süden Gazas, wo sich derzeit rund 80 Prozent der Gesamtbevölkerung
       des Gazastreifens auf engstem Raum aufhalten, Epidemien ausbreiten
       könnten.
       
       Währenddessen wachsen die Spannungen innerhalb der israelischen
       Gesellschaft über die Frage, ob die Waffenruhe noch weiter als über die
       maximal zehn Tage ausgedehnt werden soll – oder ob dies [2][das Ziel, die
       Hamas zu zerstören, gefährden würde].
       
       28 Nov 2023
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Judith Poppe
       
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