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       # taz.de -- Frieden in der Ukraine: Faule Deals
       
       > Donald Trump behauptet, den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine
       > innerhalb kürzester Zeit beenden zu können. Ist das realistisch?
       
   IMG Bild: Am 11. November 2024 traf ein russischer Luftangriff auch das Wohnheim der Polytechnischen Universität von Saporischschja
       
       Der Wahlsieg von Donald Trump löste eine Welle von [1][pessimistischen
       Prognosen in Kyiw] und in den europäischen Hauptstädten aus. Aber auch in
       Moskau scheint keine große Freude zu herrschen – da sieht man Trump als ein
       unvorhersehbares Risiko für die [2][Kriegsziele des Regimes Putin]. Zum
       jetzigen Zeitpunkt kann niemand genau sagen, wie Trump sein Versprechen
       erfüllen will, den Krieg binnen 24 Stunden zu beenden. Möglicherweise weiß
       es Trump selbst nicht.
       
       Eine Möglichkeit, auf die immer wieder hingewiesen wird und die in die
       Rhetorik von Trump ganz gut passen würde, wäre ein „Big Deal“: das
       Einfrieren des Konflikts entlang der aktuellen Frontlinien. Einige
       Mitglieder von Trumps Team haben das bereits vorgeschlagen. Die Erwartung
       wäre, dass die Ukraine auf die militärische Befreiung der besetzten
       Territorien im Osten verzichten würde. Im Gegenzug würde Russland das Ziel
       aufgeben, durch militärische Gewalt ein neues moskautreues Regime zu
       erzwingen. Um diesen Deal umzusetzen, würde Trump der Ukraine damit drohen,
       seine militärische und wirtschaftliche Unterstützung zu reduzieren.
       Russland wiederum könnten die USA damit unter Druck setzen, die
       Unterstützung der Ukraine massiv auszubauen – und sogar mit noch
       radikaleren Szenarien wie der direkten Einmischung der USA und der Nato in
       den Krieg. Falls das der Plan Trumps wäre, gäbe es vier Szenarien.
       
       ## Beide Seiten akzeptieren den Deal
       
       Auf den ersten Blick scheint es ein bitteres Ergebnis für die Ukraine zu
       sein – sie muss sehr lange Zeit darauf verzichten, dass ihre territoriale
       Integrität wiederhergestellt wird. Und sie wird dauerhaft mit der Gefahr
       aus dem Osten leben müssen, denn Putins Regime und seine militärischen
       Kapazitäten bleiben intakt. Wenn man aber auf den aktuellen Kriegsverlauf
       blickt, scheint das Szenario aus ukrainischer Perspektive vielleicht doch
       nicht so schlecht zu sein.
       
       Denn anders als viele es ursprünglich erwartet hatten, ist Putins Regime in
       Russland [3][trotz 1.000 Tagen Angriffskrieg stabil]. Was wichtiger ist:
       Auch die russische Wirtschaft bleibt stabil. Das Regime ist deswegen in der
       Lage, die Militärproduktion sicherzustellen und für ausreichend Soldaten zu
       sorgen. Putin braucht nicht unbedingt eine Mobilmachung, denn neue Rekruten
       werden durch großzügige finanzielle Anreize angelockt (was wiederum nur
       geht, weil die Wirtschaft läuft). Der Westen kann die Ukraine zwar mit
       militärischer Ausrüstung und Geld unterstützen, aber das Problem knapper
       personeller Ressourcen kann er nicht lösen.
       
       Von Anfang an bestanden keine Zweifel, dass der Krieg irgendwann mit einem
       Verhandlungsfrieden abgeschlossen wird. Die Frage war immer nur, ob gerade
       jetzt schon der richtige Moment dafür ist, oder ob man die Ukraine durch
       weitere Unterstützung in eine bessere Verhandlungsposition bringen kann.
       Falls man aber weder erwartet, dass ihre Lage besser wird, noch dass Putins
       Regime (oder die Wirtschaft) kollabieren, ergibt es keinen Sinn, darauf zu
       hoffen, dass die Bedingungen des Friedens in der Zukunft besser werden.
       
       Das gilt umso mehr, weil es gerade für die Ukraine Chancen eröffnet, den
       Krieg einzufrieren. Ob die Ukraine der Nato beitreten wird, ist unklar.
       Aber in jedem Fall würde der Westen dem Land dabei helfen, sein
       militärisches und wirtschaftliches Potenzial wieder aufzubauen. Trump wäre
       dabei wohl besonders aktiv, um lukrative Geschäfte für US-Konzerne zu
       sichern. Man würde die Grenze zu den besetzten Territorien militärisch
       gegen eine eventuelle neue Aggression sichern. Die Geflüchteten kämen
       zurück, und man könnte die Energieinfrastruktur aufbauen. Freilich könnte
       auch Russland die Zeit nutzen, um sich militärisch zu stärken, aber gerade
       jetzt sieht es danach aus, dass die Vorteile einer Atempause für die
       Ukraine größer werden. Falls Trump dazu noch die Ölförderung in den USA
       stärken würde (was er beabsichtigt) und die Rohstoffpreise weltweit fallen,
       würde das die russische Wirtschaft hart treffen. Für Putin könnte eine
       solche Entwicklung gefährlich werden.
       
       ## Russland nimmt den Deal nicht an
       
       Aus den genannten Gründen erscheint es plausibel, dass Putin an einem Deal
       gerade jetzt eigentlich kein Interesse hat. Aus seiner Sicht kann es
       attraktiver sein, weiteren Druck auf die Ukraine auszuüben, um irgendwann
       doch sein strategisches Ziel (ein ihm untergeordnetes Regime in Kyiw) zu
       erreichen. Aktuell kann er den Krieg weiterführen und sich
       verhandlungsbereit präsentieren, mit dem Verweis, dass vom Westen keine
       Angebote kommen. Falls Trump so ein Angebot machen würde, stünde Putin
       jedoch vor großen Problemen.
       
       Erstens würden die USA die militärische Unterstützung der Ukraine massiv
       erhöhen, wenn Putin das Angebot ablehnt. Trump hat den alleinigen Vorteil
       unter allen westlichen Staatsoberhäuptern, dass er glaubwürdig
       unvorhersehbar ist – der Kreml müsste also sogar die radikalsten Drohungen
       Trumps ernst nehmen. Diesen Trumpf hat Trump bereits während seiner ersten
       Präsidentschaft sehr erfolgreich gegen Nordkorea ausgespielt. Zweitens wäre
       eine Weigerung Putins, auf einen Deal einzugehen, sehr wahrscheinlich ein
       enormes Problem in den Augen des Globalen Südens und eventuell auch Chinas.
       Und drittens würde die Entscheidung, das Angebot nicht anzunehmen, für die
       russischen Eliten und die Bevölkerung bedeuten, dass ein dauerhafter Krieg
       die einzige Option bleibt. Denn außer Trump scheint heute niemand im Westen
       bereit zu sein, Angebote an Putin zu machen, und man würde die allerletzte
       Chance ablehnen, einen Exit zu finden. Putin mag zu jahrelangem Krieg
       bereit sein – ob das auch auf die Eliten zutrifft, ist unklar.
       
       ## Die Ukraine nimmt den Deal nicht an
       
       Auch dieses Szenario ist nicht ganz ausgeschlossen. Für Selenskyj wäre ein
       Deal politisch gefährlich. Er hat seinem Volk versprochen, den russischen
       Angriff ohne Zugeständnisse an den Aggressor abzuwehren. Unmittelbar nach
       einem Waffenstillstand würden Präsidentschaftswahlen stattfinden, weil das
       Kriegsrecht dann nicht mehr gilt. Für Selenskyi könnte ein solches Szenario
       auch deshalb unvorteilhaft sein, weil es in der ukrainischen Elite und
       Bevölkerung noch immer Stimmen gibt, die auch ohne amerikanische
       Unterstützung weiterkämpfen wollen. Doch auch wenn die Ukraine den Kampf
       ohne die USA fortsetzen würde, bleibt unklar, ob sie dabei noch
       Erfolgschancen hätte. Die europäischen Verbündeten müssten dann überlegen,
       ob sie die ausfallende amerikanische Hilfe ersetzen können – was zumindest
       schwierig zu sein scheint.
       
       ## Trump schlägt keinen Deal vor
       
       Auch dieses Szenario darf man nicht ausschließen. Es kann sein, dass Trumps
       Berater*innen – oder die der Ukraine –ihn dazu bringen, Russland gar
       keine Angebote zu unterbreiten. Zum Beispiel könnte Trump die Möglichkeit
       attraktiv finden, einen privilegierten Zugang zu ukrainischen Ressourcen zu
       erhalten. Oder es kann sein, dass sich Trumps Aufmerksamkeit auf andere
       Themen konzentriert und er gar keine Zeit findet, sich um die Ukraine zu
       kümmern.
       
       Diese vier Szenarien sind natürlich extrem vereinfacht. Auch wenn der Deal
       kommt, sind seine Bedingungen völlig unklar. Und keines der Szenarien
       bedeutet, dass es zu dauerhafter Stabilität im östlichen Europa kommt. Sie
       sind alle lediglich als Vorbereitungsphase auf einen sehr langen neuen
       Kalten Krieg zu sehen, mit dem die EU und Deutschland zu leben haben
       werden.
       
       Alexander Libman ist Professor für Politikwissenschaften mit Schwerpunkt
       Osteuropa und Russland an der FU Berlin.
       
       16 Nov 2024
       
       ## LINKS
       
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