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       # taz.de -- Friedensaktivist über Waffenhandel: „Kriege lösen kein Problem“
       
       > Ein internationales Netzwerk gegen Waffenhandel – der Friedensaktivist
       > Reiner Braun will so auch den deutschen Waffenexport transparenter
       > machen.
       
   IMG Bild: Seit den 1980ern: Der Friedensaktivist Reiner Braun engagiert sich für den Frieden
       
       taz: Herr Braun, mit „Global Net – Stop the Arms“ haben Sie ein Netzwerk
       gegen den internationalen Waffenhandel mitbegründet. Was wollen Sie
       erreichen? 
       
       Reiner Braun: Wir wollen weiterführen, was wir mit der Kampagne „Aufschrei“
       angefangen haben: die gesellschaftliche Delegitimierung von Rüstungs- und
       Waffenexporten. Mit „Global Net – Stop The Arms“ wollen wir die
       Erkenntnisse der vielen internationalen Rüstungsexport-Gegner*innen
       bündeln. Das gab es vorher nicht.
       
       Wie wollen Sie das tun? 
       
       Wir wollen den Opfern und Tätern des Waffenexports endlich ein Gesicht
       geben. Wir wollen aufdecken, welche Topmanager, Militärs und Politiker ihr
       Geschäft mit dem Tod machen – historisch und heute. Für uns sind dabei vor
       allem die Fälle interessant, in denen deutsche Waffen eine Rolle gespielt
       haben – und noch spielen. Deutschland ist der viertgrößte Waffenexporteur
       der Welt.
       
       Als Erstes haben Sie sich mit dem Völkermord an den Armenier*innen
       zwischen 1895 und 1916 beschäftigt. Warum? 
       
       Dieser Völkermord verdeutlicht, dass der deutsche Rüstungsexport eine sehr
       lange Tradition hat. Es waren deutsche Waffen, die dort gemordet haben, es
       waren deutsche Offiziere, die leitend mit dabei waren. Fast die Hälfte der
       Gewehre der türkischen Armee wurde 1895 von der Firma Mauser geliefert,
       gebilligt vom deutschen Kaiser. Es ging ja auch um viel Geld und
       hegemonialen Einfluss. 1912 hat die Firma Krupp mit Kanonen, Mörsern und
       Munition nach heutiger Kaufkraft zwischen 700 Millionen und einer Milliarde
       Euro Gewinn gemacht.
       
       Was hat das mit heute zu tun? 
       
       Mauser ist im Rüstungshersteller Rheinmetall aufgegangen. Am 8. Mai hält
       der wie alle großen Rüstungsfirmen seine Aktionärsversammlung in Berlin ab.
       Und raten Sie mal, wer nach wie vor treuer Kunde ist? Die Türkei und ihre
       Armee. Die Leopard-2-Panzer in Afrin sind aus deutscher Produktion. Auch
       die Bundesregierung liefert weiter in Kriegsregionen.
       
       Der Waffenhandel lebt von der Diskretion. Wie schaffen Sie es, zu solchen
       Erkenntnissen zu kommen? 
       
       Es gibt Whistleblower, die bei der Aufarbeitung von Kriegen und
       Waffenexporten eine große Rolle spielen. Es gibt zum Glück immer Menschen,
       die irgendwann nicht mehr aushalten, was sie da machen. Ein Beispiel ist
       Daniel Ellsberg. Der Vietnamkrieg hätte wahrscheinlich länger gedauert,
       wenn Ellsberg die Pentagon-Papiere nicht enthüllt hätte. Auch wir haben in
       der Rüstungsindustrie Menschen, die uns etwas sagen. Zudem kann man vieles
       wissen, wenn man will. Das meiste, was dort geschieht, ist ja öffentlich.
       Die Berichte der großen Konzerne kann man alle lesen.
       
       Haben Sie mal jemanden getroffen, der in der Rüstungsindustrie arbeitet? 
       
       Ja, etwa bei einer Podiumsdiskussion mit dem Präsidenten des Bundesverbands
       der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, übrigens ein
       ehemaliger sozialdemokratischer Staatssekretär. Ich diskutiere gern mit
       politischen Gegnern, persönlich sind sie mir aber zutiefst unsympathisch.
       Ich kann die Bilder vom Jemen nicht ausblenden, wo über Saudi-Arabien auch
       deutsche Waffen zum Einsatz kommen. Wenn mir dann jemand gegenübersitzt,
       der dieses Zeug geliefert hat und auch noch mehr oder weniger stolz darauf
       ist, dann frage ich mich schon, wie man da noch in den Spiegel gucken kann.
       
       Glauben Sie noch an das Gute im Menschen? 
       
       Keiner wird als Rüstungsmanager geboren. Auch dahin entwickelt man sich.
       Ich weiß nicht, ob es „das Gute“ im Menschen gibt, aber ich weiß, dass es
       viele Menschen gibt, die sich für Frieden, Demokratie und Gerechtigkeit
       engagieren. Das stimmt mich optimistisch.
       
       Viele Menschen haben trotzdem das Gefühl, dass die Welt schlechter wird. 
       
       Die Welt hat mehr Konflikte und Konfrontationen, ja. Das ist aber nicht nur
       mit dem bösen Willen von einigen vielleicht unfähigen Staatspolitiker*innen
       zu erklären. Wir erleben gerade eine Neuaufteilung der Erde unter neuen
       geostrategischen Konzeptionen. Die alte Supermacht USA ist schwächer
       geworden, andere Mächte wie Russland und China sind stärker. Zwischen
       diesen Mächten gibt es nun ein Ringen um hegemoniale Fragen: Wer hat das
       Sagen über die immer begrenzter werdenden Ressourcen dieser Welt? Um es
       platt zu sagen: Die alte Weltordnung ist untergegangen und die neue noch
       nicht erwachsen.
       
       Wie behält man den Überblick? 
       
       Wenn wir als Externe einen Konflikt verstehen wollen, müssen wir uns sowohl
       offizielle Regierungspapiere als auch die Statements der Oppositionskräfte
       anschauen. Was dort steht, gleichen wir mit regierungstreuen wie
       -kritischen Medien und dem, was in den sozialen Medien berichtet wird, ab.
       
       Zu welchen Erkenntnissen gelangen Sie dabei? 
       
       Kriege finden nicht statt, weil Menschen böse sind. Sie werden politisch
       entwickelt und sind gewollt. Politik kann diese Konflikte, die dem Krieg
       zugrunde liegen, auch anders – friedlich – lösen. Oder noch besser: schon
       vorher eindämmen. Eine moderne Friedenspolitik setzt auf Prävention und
       Peacebuilding, nicht auf militärische Interventionen. Moderne
       Sicherheitspolitik setzt auf komplette Abrüstung. Aus der Friedensforschung
       und den Evaluationen der Kriege wissen wir, dass Waffen Konflikte eher
       verlängern als sie einzudämmen. Kriege lösen kein Problem.
       
       Laut Umfragen teilen 83 Prozent der Deutschen diese Einschätzung. Trotzdem
       geht für den Frieden niemand mehr auf die Straße. 
       
       Jede soziale Bewegung erlebt ihr Auf und Ab. Aber Sie haben recht, die
       Friedensbewegung ist zurzeit – zumindest was ihre Mobilisierung angeht –
       nicht mehr den Herausforderungen gewachsen, vor denen sie steht.
       
       Woran liegt das? 
       
       Gegenüber den 1980er Jahren haben sich die Rahmenbedingungen für die
       Friedensarbeit fundamental verändert. Als ich zur Universität ging, war das
       noch eine Kulturinstitution. Wir hatten viele Freiheiten, und es war
       geradezu erwünscht, dass man sich engagiert. Heute ist die Uni bestenfalls
       eine Paukinstitution. Die 6-Semester-Bachelor-Studenten haben kaum noch
       Zeit, sich für irgendwas zu engagieren! Das nur als Beispiel, wie der
       Neoliberalismus mit seiner Ellenbogenmentalität und seinem Individualismus
       die Rahmenbedingungen erschwert.
       
       Frieden ist ja nun nicht irgendetwas. 
       
       Aber es wird für eine Bewegung schwierig, wenn es keine greifbaren Erfolge
       gibt, die das Engagement belohnen und beleben. In der internationalen Welt
       ist das aber leider schwierig und dauert mitunter Jahre.
       
       Gibt es heute vielleicht andere Formen des Engagements? 
       
       Heute engagieren sich Menschen kurzfristiger, für ein Projekt, eine
       Aktivität, eine Herausforderung. Institutionen werden eher gemieden. Ihnen
       haftet etwas Gestriges an. Auch die Friedensbewegung ist für viele
       Menschen schon eine Institution. Wir haben viel zu spät erkannt, wie
       notwendig ein interner Transformations- und Verjüngungsprozess ist. Statt
       uns um Nachwuchs zu kümmern, haben wir alten Hasen einfach weitergemacht.
       
       Sind Sie privat eigentlich ein friedlicher Mensch? 
       
       (lacht) Das müssen Sie andere fragen. Wie auf dem internationalen Parkett
       gilt aber auch im Privatleben: Man muss miteinander sprechen und Konflikte
       nicht hochkochen lassen. Und manchmal hilft es, zusammen zu feiern – am
       besten das, was man gemeinsam hat.
       
       7 May 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katharina Meyer zu Eppendorf
       
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