URI: 
       # taz.de -- Gaspreise und Energiekrise: Von Mittelschicht zu Mittelschicht
       
       > Die Gaspreisbremse ist ungerecht, weil sie dem Gießkannenprinzip folgt.
       > Zum Glück kann nachgebessert werden, denn die Gaskrise bleibt uns
       > erhalten.
       
   IMG Bild: Ob Villenbesitzer oder Alleinerziehende, beide werden gleich subventioniert. Ist das gerecht?
       
       Zu den eigenartigeren Nachrichten dieser Woche zählte, dass wir in den
       ersten beiden Pandemiejahren weniger geheizt haben als sonst – und das,
       obwohl ein Gutteil der Leute 2020 und 2021 recht viel zu Hause gehockt hat.
       [1][Ein Prozent weniger sei in Deutschland geheizt und entsprechend weniger
       für Energie ausgegeben worden,] schrieb das Deutsche Institut für
       Wirtschaftsforschung am Mittwoch. Das Ergebnis habe auch die Forscher
       überrascht. Bevor sich jetzt die ersten Schlaumeier regen: Doch, Wetter und
       Temperaturschwankungen sind da rausgerechnet.
       
       Wenn wir also schon ohne besonderen Anreiz Energie sparen, obwohl wir mehr
       Zeit als sonst daheim verbringen – wie viel könnten wir erst sparen, wenn
       wir es wollten beziehungsweise sollten? Oder sparen wir, wenn, dann
       überhaupt nur freiwillig unbewusst?
       
       Leider ist weiterhin reichlich unklar, wie groß der Energiesparwille
       derzeit tatsächlich ist. Jedenfalls wurde er in der Liste der Faktoren,
       [2][die den Gaspreis am Großmarkt diese Woche für einen Moment sogar unter
       null gedrückt haben], nicht an vorderer Stelle genannt. Stattdessen: das
       Wetter (keine Temperaturbereinigung an dieser Stelle), kombiniert mit
       überraschend viel Flüssiggas in Spanien – ein Überangebot also.
       
       Kurz überlegte ich, ob ich bei meinem Versorger anrufen und Geld dafür
       verlangen sollte, dass ich ihm Gas abnehme. Dann las ich jedoch, dass die
       Großhandelspreise sowieso nicht so schnell auf die Verträge von uns
       EndverbraucherInnen durchschlagen.
       
       ## Extrem ungerecht
       
       Die ÖkonomInnen warnen ohnehin davor, das Thermostat zu weit aufzudrehen,
       wenn der aktuelle Spätspätsommer vorbei ist – so auch Isabella Weber,
       Wirtschaftswissenschaftlerin an der University of Massachusetts. Sie sitzt
       derzeit in der Gaskommission der Bundesregierung, die diesen Monat die
       Gaspreisbremse vorgestellt hat. Und sie sitzt dort ziemlich gut, denn Weber
       hat bereits zu Jahresbeginn eine Gaspreisbremse gefordert und auch
       entworfen.
       
       [3][In einem sehenswerten Gespräch mit Tilo Jung] erzählt die
       Juniorprofessorin nun jedoch, wie unzufrieden sie mit dem Entwurf der
       Kommission ist: Es sei „inhärent extrem ungerecht“, dass ein Energie
       verprassender Villenbesitzer ebenso subventioniert werde wie eine sparsam
       auf wenig Raum lebende Alleinerziehende.
       
       Weber meint es offenbar als eine Art Trost, dass es immerhin 2023 noch
       Gelegenheit gebe, am Gerechtigkeitsende nachzubessern: „Die Gaskrise wird
       auf jeden Fall noch nächsten Winter anhalten.“
       
       Über das [4][Gießkannenprinzip haben wir auch in der taz schon diskutiert].
       Es gibt noch keine konkreteren Zahlen, aber klar ist, dass ein viel zu
       hoher Teil des Doppelwumms-Geldes über Gut- und Bestverdiener ausgekippt
       wird. „Lieber manchen zu viel als allen zu wenig helfen“, sagt Weber dazu,
       und das ist auch der Tenor der Bundesregierung.
       
       So nüchtern wie möglich gesehen bleibt die Gaspreisbremse jedenfalls erst
       mal einem bundesdeutschen Prinzip treu: Das Geld nicht zielgenau nach unten
       zu lenken, sondern im Wesentlichen von Mittelschichten zu Mittelschichten
       zu schaufeln, siehe Elterngeld und Eigenheimzulage.
       
       So erzeugt man Legitimität, denn es wird der schöne große
       Umverteilungsapparat nicht dauernd in Zweifel gezogen. Es dürfen dann nur
       die Ärmsten halt nicht zu viel vom Geld abbekommen.
       
       29 Oct 2022
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.diw.de/de/diw_01.c.857100.de/diw_waermemonitor__deutsche_haushalte_heizen_in_der_pandemie___fuer_die_energie-_und_klimakrise_aber_noch_nicht_geruestet.html
   DIR [2] https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/gaspreise-kurzfristig-negativ-18413070.html
   DIR [3] https://www.youtube.com/watch?v=rnPQvKPSwEE
   DIR [4] /Energiekrise-in-Deutschland/!5885344
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrike Winkelmann
       
       ## TAGS
       
   DIR Kolumne Ernsthaft?
   DIR Gaspreise
   DIR Mittelschicht
   DIR Kolumne Ernsthaft?
   DIR Energiekrise 
   DIR Energiekrise 
   DIR Gas
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Energiekrise 
   DIR Kolumne Ernsthaft?
   DIR Kolumne Ernsthaft?
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Antimilitaristische Impulse: Friedensgutachten für den Krieg
       
       Eine Friedensforscherin ruft zu mehr Waffenlieferungen für die Ukraine auf.
       Darüber regen sich jetzt Widerstand und irritierte Stimmen.
       
   DIR Deutschlands Gas-Deal mit Senegal: Fischen statt Fördern, fordern NGOs
       
       Die bundeseigene KfW-Bank will die Ausbeutung eines neuen Erdgasfelds vor
       der Küste Westafrikas unterstützen. Bloß nicht, sagen Klimaschützer.
       
   DIR Schornsteinfeger übers Heizen mit Holz: „Bloß nicht erfinderisch werden“
       
       Das Interesse an Kaminöfen steigt rasant. Schornsteinfeger Andreas Walburg
       erklärt, wann Holz verbrennen sicher und klimafreundlich ist.
       
   DIR Steigende Energiepreise: Weg mit der Gießkanne
       
       Die geplante Energiepreisentlastung gerät zum Gewurstel ohne Sinn für
       soziale Gerechtigkeit. Warum kompliziert, wenn es auch einfach geht?
       
   DIR Weiterbaggern im Kohletagebau Garzweiler: RWE kauft Windräder vom Markt
       
       Beim vorzeitigen Abriss einer einzelnen Turbine am umkämpften Tagebau
       Garzweiler soll es nicht bleiben. RWE will schneller mehr Platz. Was heißt
       das?
       
   DIR Treffen der EU-Energieminister: Preisdeckel ohne Wumms
       
       Der gemeinsame Einkauf von günstigerem Gas stand im Vordergrund des
       EU-Gipfels. Trotz sinkender Preise zahlen Verbraucher weiterhin extrem
       viel.
       
   DIR Neuwahlen in Berlin: Demokratische Rutschpartie
       
       In Berlin muss wohl die Wahl von Bundestag und Abgeordnetenhaus wiederholt
       werden. Das könnte massive Folgen haben.
       
   DIR Soziale Gerechtigkeit: Nemesis, an die Arbeit bitte
       
       Oft fällt bei Fragen der Umverteilung der Begriff „Neiddebatte“. Doch
       dieser ist eine Beleidigung des politischen Verstands.