# taz.de -- Gaza-Tagebuch: Primitive Toiletten zwischen dünnen Vorhängen
> Unsere Autorin erzählt, wie sie in ihrem Zeltlager in Gaza ihren Körper
> pflegt: Duschen zweimal die Woche – und warum Frauen besonders leiden.
IMG Bild: Warten auf ein bisschen Wasser, hier am 6. August in Gaza Stadt. Damit muss gewaschen, geduscht, gespült werden
Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir im Gazastreifen jemals unter
Wasserknappheit gelitten hätten. Wir haben nie gelernt, Wasser zu sparen.
Und ich habe mich nie darum gekümmert, woher es kam oder wie wir es
bekamen. Damals sah ich darin keinen Segen, für den ich Gott hätte danken
müssen.
[1][Heute suchen wir Wasser], nicht nur zum Trinken, sondern zum Überleben.
Seit der Wiederaufnahme des Krieges in Gaza im März hat sich die Wasser-
und Sanitärkrise in beispielloser Weise verschärft: Im Herzen der vielen
Zeltlager, wo Tausende Familien leben, ist die Beschaffung von sauberem
Wasser oder die Suche nach einer benutzbaren Toilette zu einer täglichen
Herausforderung geworden.
Das Schwierigste für uns ist derzeit, sauberes Wasser zu finden –nicht nur
zum Trinken, sondern auch zum Baden, Geschirrspülen, Wäschewaschen und die
Waschung vor dem Gebet.
## Mit Eimern und Kanistern in der Schlange stehen
Jeden Morgen öffne ich meine Augen [2][in unserem Zelt], das uns weder vor
der sengenden Sonne des Tages noch vor der Kälte der Nacht schützt. Nachdem
wir unser Zuhause verloren haben, ist es alles, was uns geblieben ist.
Schon in den frühen Morgenstunden herrscht draußen Lärm und Geschrei:
Kinder und Frauen tragen leere Kanister, Männer warten auf die Lastwägen,
die Wasser verteilen. Die einzige Wasserquelle für die Lager sind diese
Lastwägen, die durch die Straßen fahren. Sobald wir den Motor eines
Lastwagens hören, beginnt das Geschrei: „Wasser! Wasser!“.
Alle rennen los, suchen nach Eimern und leeren Kanistern, sammeln sie ein
und beeilen sich, einen Platz in der Schlange vor dem Schlauch des
Lastwagens zu ergattern. Menschen kommen von überall her angerannt,
streiten und drängeln, um Wasser zu bekommen.
Jede Familie bildet kleine Gruppen, um den Vorgang zu beschleunigen: Einige
tragen die gefüllten Behälter und reichen sie an andere weiter, die sie
leeren und sich dann wieder in die Schlange stellen.
Selbst das Tragen des Wassers ist eine enorme Herausforderung. Alle helfen
mit, unabhängig von Alter, Frauen, Mädchen, Männer, Kinder und ältere
Menschen. Die Kanister sind schwer, manchmal muss man sie über weite
Strecken durch zerstörte Straßen tragen, was es noch schwieriger macht.
## Ein Loch, darauf ein Toilettensitz – wenn man Glück hat
Auch die Toiletten sind primitiv: Die Männer graben ein tiefes Loch in den
Boden, eine Grube für Abwasser. Denn das Kanalnetz ist zerstört. Neben
diesem Loch stellen sie einen Toilettensitz auf – oder für diejenigen, die
keinen haben, nur einen Eimer mit einem Loch im Boden. Er ist mit einem
Rohr verbunden, das in die Grube führt.
Alle paar Zelte teilen sich eine Gemeinschaftstoilette – für Männer, Frauen
und Kinder. Sie sind also ständig stark frequentiert, überfüllt, schwer
sauber zu halten und riechen übel.
Die Toiletten sind mit dünnen Stoffbahnen umgeben. In der glühenden
Sommersonne nutzen sie sich schnell ab und reißen leicht, sodass sie
jederzeit herunterfallen und einen entblößen können. Genauso ist es bei den
sich ebenfalls dort befindlichen improvisierten Duschen.
Deshalb bin ich die ganze Zeit, die ich darin bin, in Alarmbereitschaft:
Ich achte auf jede Lücke, durch die man mich sehen könnte. Ich habe immer
Angst vor einem plötzlichen Windstoß, der den Stoff wegwehen könnte – oder
einem nahen Luftangriff. Viele Frauen und Mädchen weigern sich, die
Toiletten im Lager zu benutzen. Manche erzählen mir, dass sie weniger essen
und trinken, damit sie tagsüber nicht auf die Toilette müssen.
## Zwei Eimer kalten Wassers ergeben eine Dusche
Dazu kommt: Nach einer Weile wird die Sickergrube zu einer Brutstätte für
Ratten und [3][Insekten]. Mit der Zeit vermehren sich diese Schädlinge –
und breiten sich in den Zelten aus.
Seit wir hierhergezogen sind, haben wir ein großes Problem mit Ratten. Es
hat einen ganzen Monat gedauert, bis wir ihre Zahl reduzieren konnten. Wir
sind sie nicht vollständig losgeworden, aber jetzt sind es weniger als
zuvor.
Früher habe ich gerne geduscht, eine Stunde lang, mich um die Körperpflege
gekümmert – ohne Bedenken zu haben wegen des Wasserverbrauchs. Aber im
Lager geht das nicht länger als zehn Minuten. Dafür gibt es zwei Gründe:
Einmal ist da die geringe Menge an kaltem Wasser, die wir pro Dusche zur
Verfügung haben: Nur ein kleiner Eimer, und das nur zweimal pro Woche.
Anfangs reichte mir das nicht, aber ich habe gelernt, damit zurechtzukommen
und mich anzupassen. Zweitens: Während man duscht, stehen draußen Leute und
warten.
In Gaza träumen wir nicht mehr von einem Leben in Luxus, die einfachsten
Dinge des Lebens sind zu unserem täglichen Ziel geworden. Wasser,
Privatsphäre, Sauberkeit – was einst selbstverständlich war, ist nun ferner
Traum.
Seham Tantesh, 23, aus Beit Lahia, ist die Cousine unserer Reporterin Malak
Tantesh. Sie wurde insgesamt acht Mal vertrieben.
Internationale Journalist*innen können seit Beginn des Kriegs nicht in
den Gazastreifen reisen und von dort berichten. Im „Gaza-Tagebuch“ holen
wir Stimmen von vor Ort ein.
1 Sep 2025
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