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       # taz.de -- Gedenkfeier in Hanau: Was bleibt? Leere und Schmerz
       
       > Erinnerungen an die Getöteten: Bei der Trauerfeier für die Opfer des
       > rechtsextremen Anschlags in Hanau steht das Gedenken im Mittelpunkt.
       
   IMG Bild: Angehörige der Opfer stehen bei der Gedenkfeier neben Kanzlerin Merkel und Bundespräsident Steinmeier
       
       Hanau taz | Für drei Stunden ruht an diesem Nachmittag in Hanaus Innenstadt
       der Verkehr. Der Busverkehr ist eingestellt. Ab 16 Uhr sind die meisten
       Geschäfte geschlossen. In vielen Schaufenstern hängt das Plakat mit der
       brennenden Kerze und dem Aufdruck #hanaustehtzusammen! Auf den Plätzen der
       Stadt verfolgen Tausende die Übertragung der zentralen Trauerfeier für die
       MitbürgerInnen, [1][die am 19. Februar ein Rechtsextremist in seinem
       rassistischen Wahn erschossen hat].
       
       Im nahen Congress Park Hanau versammeln sich vor allem die Angehörigen, um
       der Verstorbenen zu gedenken. Gekommen sind auch der Bundes- und der
       Bundesratspräsident, die Bundeskanzlerin, der hessische Ministerpräsident
       mit seinem Landeskabinett und VertreterInnen von Kirchen und
       Religionsgemeinschaften.
       
       Es wird eine bewegende Trauerfeier, bei der die Opfer und ihre Angehörigen
       und Freunde im Mittelpunkt stehen sollen. Und endlich kommen sie tasächlich
       zu Wort. Für sie spricht zunächst Kemal Koçan. Er versucht seine
       Fassungslosigkeit zu beschreiben. „Das, was vorgefallen ist, tut mir so in
       der Seele weh, mein Herz blutet derart, ich kann es nicht in Worten
       beschreiben“, sagt er. „Es war der Laden meines eigenen Sohnes“, berichtet
       er vom zweiten Tatort, am Kurt-Schumacher-Platz in Kesselstadt. Er sei oft
       vor Ort gewesen, um auszuhelfen: „Dieser Kiosk war kein normaler Kiosk,
       dieser Kiosk war ein Ort der Familie“, sagt der 45-jährige Vater von vier
       Kindern.
       
       „Die Menschen kamen jeden Tag, nicht um zu kaufen, sondern um hallo zu
       sagen und mich zu umarmen. Jetzt sind die alle nicht mehr da“, sagt er und
       nennt die Namen: Mercedes Kierpacz, die ebenfalls im Kiosk geholfen hat. An
       diesem Tag hatte sie frei und wollte für ihre beiden Kinder eine Pizza
       besorgen. „Sie hatte ein Herz aus Gold“, sagt Koçan. „Sie hörte gerne laute
       Musik, jetzt ist es ganz leise.“ Ferhat Unvar, 23 Jahre alt, gerade fertig
       mit seiner Ausbildung: „Ein selbstbewusster junger Mann; wenn man ihn
       sieht, bekommt man vielleicht Angst, weil er gut gebaut, groß ist, aber er
       hatte ein Herz, das keiner Fliege etwas zuleid tun konnte. Ich kann sein
       Lächeln nicht mehr sehen.“
       
       ## Capri-Sonne und zwei Naschtüten
       
       Hamza Kurtović, der Sohn seines Freundes, der selten im Kiosk war, aber
       eben gerade an diesem Tag, Fatih Saraçoğlu, den alle als freundlichen und
       höflichen Menschen erlebt hätten. Nachbar Kaloyan Velkov, „der eine große
       Lücke hinterlässt“, Sedat Gürbüz, der jedem Hilfe angeboten habe. Vili
       Viorel Păun, der Stammgast war, und Said Near Hashemi: „Wenn er reinkam,
       wollte er drei Capri-Sonnen und zwei Naschtüten.“
       
       Schließlich sein Freund Gökhan Gültekin, den alle „Gogo“ nannten, der jedes
       Telefonat und jedes Treffen mit den Worten beendet habe: „‚Möge Dich Gott
       beschützen!‘ Er hat es nicht verdient, so zu gehen“, erinnert sich sein
       Freund. Ein Wort gibt er denen mit, „die oben an den großen Hebeln stehen“:
       „Ich möchte nicht mehr viele Worte hören, sondern Taten sehen, dass so
       etwas nicht mehr passieren kann. Lasst uns gemeinsam gegen Hass und Hetze
       vorgehen!“
       
       Ajla Kurtović, die ihren Bruder verloren hat, sagt: „Nein, ich empfinde
       keinen Hass. Ich möchte deutlich machen, dass Hass den Täter zu seiner
       rassistischen Tat getrieben hat. Damit liegen Hass und Rassismus sehr nahe
       beieinander. Ich will, dass wir uns alle vom Hass abgrenzen!“ Gleichwohl
       erinnert sie an den grenzenlosen Schmerz und die Leere, die der Tod ihres
       Bruders hinterlassen hat. Schließlich fordert sie „restlose Aufklärung,
       damit sich so eine Tat nicht wiederholen kann“.
       
       Auch die Schwester von Said Nesar Hashemi findet die Kraft, ihre Trauer in
       Worte zu fassen. Saida Hashemi dankt der Stadtgesellschaft für ihre
       Anteilnahme. „Die BürgerInnen haben Stärke gezeigt“, sagt sie und erinnert
       an die Angst der Tatnacht, als erst nach Stunden Gewissheit über die Namen
       der Opfer geherrscht habe. „In diesem Moment hat ganz Hanau geweint“, sagt
       sie. Bitter sei gewesen, dass in den „sozialen Medien“ Gerüchte und falsche
       Informationen verbreitet worden seien: „Glaubt nicht alles, was euch
       vorgesetzt wird!“, ruft sie. Ihr Bruder sei stolz gewesen, ein Hanauer zu
       sein. Das Kennzeichen seines ersten Autos habe mit den Ziffern 454 geendet,
       den letzten Ziffern der Postleitzahl von Hanau-Kesselstadt.
       
       Wie bei der ersten [2][Trauerfeier], unmittelbar nach der Tat, sprechen
       auch an diesem Tag Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier,
       Ministerpräsident Volker Bouffier und Hanaus Oberbürgermeister Claus
       Kaminsky den Angehörigen ihr Mitgefühl aus. Die Bundeskanzlerin und andere
       prominente Ehrengäste begleiteten schließlich Angehörige der Opfer auf die
       Bühne, um mit ihnen an der Tafel mit den Namen der Verstorbenen
       innezuhalten und weiße Rosen abzulegen. Oberbürgermeister Kaminsky
       bekräftigte das Versprechen, die Stadt werde auf dem Hanauer Hauptfriedhof
       eine Gedenkstätte für die Opfer errichten, weil deren Namen „unauslöschbar
       zum kollektiven Gedächtnis dieser Stadt gehören“.
       
       In unmittelbarer Nachbarschaft der Stadthalle, am Rande des
       Friedensplatzes, hat ein Graffiti-Sprayer das sichtbare Gedenken bereits
       bildlich umgesetzt. Auf der Wand eines unbewohnten Gebäudes am Rande eines
       Spielplatzes hat er in großen Buchstaben den Hashtag [3][#SayTheirNames]
       hinterlassen. Daneben stehen die Vor- und Nachnamen aller neun Mordopfer.
       
       5 Mar 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Mutmasslich-rassistischer-Anschlag/!5665203
   DIR [2] /Mahnwache-in-Hanau/!5665402
   DIR [3] https://twitter.com/hashtag/saytherenames?src=hashtag_click
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christoph Schmidt-Lunau
       
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