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       # taz.de -- Gefährliche Chemikalie Bisphenol A: Industrie gegen neue Grenzwerte
       
       > Es wird in Verbindung mit Krebs, Unfruchtbarkeit, Diabetes und
       > neurologischen Störungen gebracht. Dennoch kämpfen Unternehmen weiter für
       > Bisphenol A.
       
   IMG Bild: Hier ist Bisphenol A bereits verboten: Babyflasche
       
       Berlin taz | Industrieverbände wehren sich gegen strengere Grenzwerte für
       die gefährliche Chemikalie [1][Bisphenol A] (BPA). Am Donnerstag haben
       unter anderem Plastics Europe und der Lebensmittelverband einen Brief an
       das Agrarministerium geschickt, in dem sie ihre „Sorge“ über den „nunmehr
       beginnenden Prozess“ eines neuen Risikomanagements bekunden. Hintergrund
       ist eine Neubewertung des Kunststoffbestandteils BPA durch die Europäische
       Agentur für Lebensmittelsicherheit, Efsa.
       
       Sie hatte kürzlich die Empfehlung für die tolerierbare Tagesmenge von BPA
       über die Nahrung um das 20.000-fache herabgesetzt – eine „spektakuläre
       Entscheidung“, urteilt Josef Köhrle, Seniorprofessor am Institut für
       Experimentelle Endokrinologie an der Berliner Charité.
       
       Die Entscheidung der Efsa [2][ist ein neuer Versuch der Politik], BPA
       einzudämmen. In Babyflaschen und Kassenzetteln verboten, steckt das
       Kunststoffadditiv noch immer in vielen Beschichtungen und Produkten. Im
       Rahmen [3][eines europaweiten Screenings auf Schadstoffbelastungen wurde
       BPA praktisch in allen untersuchten Personen gefunden], teils in Mengen
       weit oberhalb aller Grenzwerte. BPA wird in Verbindung mit Krebs,
       Unfruchtbarkeit, Diabetes und neurologischen Störungen gebracht.
       
       Schwangere, Kinder, Vorerkrankte oder Übergewichtige reagieren besonders
       empfindlich auf die Chemikalie. Die Europäische Arzneimittelagentur EMA
       wollte der Efsa in ihrer Neubewertung nicht folgen. In einer gemeinsamen
       Stellungnahme schreiben die beiden Behörden, es sei nicht möglich gewesen,
       ihre Meinungsverschiedenheiten über BPA auszuräumen.
       
       ## Wissenschaftliche Studien werden nicht berücksichtigt
       
       Köhrle wundert das nicht. „Auch die Efsa hat viele Jahre gebraucht, bis sie
       den bekannten Forschungsstand akzeptierte und in Empfehlungen für die
       tolerierbare tägliche BPA-Aufnahme mit der Nahrung umsetzte“, sagt er, „das
       steht der EMA noch bevor“.
       
       Problem: Viele publizierte wissenschaftliche Studien werden von den
       Behörden nicht berücksichtigt, weil sie nicht von speziell zertifizierten
       Laboren durchgeführt wurden. Köhrles Labor an der Charité etwa ist nicht
       zertifiziert. „Das ist zu teuer und zu personalaufwändig“, so der
       Wissenschaftler. Also fielen bei der Gefährdungs- und Risiko-Bewertung auch
       von BPA wichtige Erkenntnisse unter den Tisch.
       
       Schützen kann sich die Bevölkerung vor der Chemikalie kaum. Am heutigen
       „Europäischen Hormontag“ empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für
       Endokrinologie, Kosmetikprodukte ohne Phthalate zu kaufen, auf
       Plastikverpackungen zu verzichten und etwa auf Glas auszuweichen. Der
       Hinweis „BPA-frei“ sei kein Kaufargument: Das Produkt könnte die
       Alternativen Bisphenol S oder Bisphenol F enthalten; ihnen werden ähnliche
       Wirkungen wie BPA unterstellt.
       
       Umweltverbände fordern deshalb eine Gruppenbewertung von Stoffen mit
       ähnlichen Eigenschaften statt langwieriger Einzelbewertungen. Dass die
       Gefahr von Bisphenol A von der EFSA so spät anerkannt wurde, zeige, dass
       die europäischen Behörden gefährliche Stoffe nicht verlässlich regulieren,
       sagt Luise Körner, Chemikalienexpertin des BUND, „sie üben das
       Vorsorgeprinzip nicht aus.“ Statt gefährliche Chemikalien zu verbieten,
       erließen die Behörden vermeintlich sichere Grenzwerte.
       
       14 May 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /EU-plant-Ueberarbeitung/!5882412
   DIR [2] /EU-plant-Ueberarbeitung/!5882412
   DIR [3] https://www.hbm4eu.eu/wp-content/uploads/2022/05/Policy-Brief-Bisphenols.pdf
       
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