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       # taz.de -- Geflüchtete im Heim alleine gelassen: Ungesunde Unterkunft
       
       > 700 Menschen leben dicht gedrängt in der Erstaufnahmeeinrichtung
       > Lindenstraße in Bremen. Sie fürchten um ihre Gesundheit und wollen
       > verlegt werden.
       
   IMG Bild: In vielen Unterkünften leben Geflüchtete dicht an dicht
       
       BREMEN taz | Die Bewohner:innen in der
       [1][Geflüchteten-Erstaufnahmeeinrichtung] Lindenstraße (EAE) wollen
       evakuiert werden. Denn hier fühlen sie sich nicht mehr sicher: Sollte in
       der Unterkunft eine Person mit dem Corona-Virus infiziert werden, sagt ein
       Bewohner besorgt, ist das Risiko hoch, dass es alle bekommen.
       
       „Wenn wir zum Essen gehen, stehen wir dicht in einer Schlange beisammen.“
       Das gesamte Besteck liege in einem Kasten, das Brot nehme man sich mit der
       Hand. „Alle fassen alles an.“ Erst vor zwei Tagen habe die Sozialbehörde
       die Bewohner:innen erstmalig kontaktiert.
       
       „Das ist fahrlässige Nicht-Informationspolitik“, sagt Gundula Oerter vom
       [2][Flüchtlingsrat Bremen]. In der EAE leben rund 700 Menschen auf engstem
       Raum zusammen. „Alles, was den Menschen außerhalb der Lager jetzt dringend
       zu vermeiden geraten wird, ist in der EAE System.“ Erst am
       Dienstagnachmittag habe die Sozialbehörde Informationen zum Corona-Virus
       an die Bewohner:innen verteilt. Vorher soll es keine Kommunikation gegeben
       haben – geschweige denn Desinfektionsmittel. „Es herrschen miserable
       hygienische Zustände“, sagt Oerter, deren Verein mit einigen Bewohner:innen
       gesprochen hat.
       
       [3][Desinfektionsmittel ist derzeit bundesweit knapp], sagt Bernd
       Schneider, Sprecher der Sozialsenatorin: „Selbst in Kliniken gibt es
       Engpässe.“ Inzwischen gebe es die Zusage des Bundes, solche Mittel
       beschleunigt zu beschaffen. Bei der Verteilung aber hätten die
       Einrichtungen des medizinischen Betriebs Vorrang.
       
       Auf den inzwischen in der EAE verteilten Informationszetteln stehe, sagt
       der Bewohner, der anonym bleiben möchte, wie das Virus übertragen werden
       kann, was Symptome sind und an wen man sich wenden muss, sollte man
       Symptome haben. Auch sei den Bewohner:innen inzwischen persönlich erklärt
       worden, was zu beachten sei. „Uns wurde gesagt, wir sollen nur in wichtigen
       Fällen rausgehen.“ Andere Vorsichtsmaßnahmen gebe es nicht.
       
       „Wir brauchen mehr Abstand beim Essen und Desinfektionsmittel an den
       Eingängen“, sagt der Bewohner. Und einen sichereren Ort zum Leben als
       diesen: „Wir sind alle in einem Gebäude eingeschlossen.“ In den
       Schlafräumen ohne Fenster leben rund sechs Personen, sagt er, die Betten
       stehen dicht an dicht. Lüften sei sehr schwierig.
       
       Schneider widerspricht: „Die Erstaufnahme wird von einer zentralen
       Belüftungsanlage versorgt, wie das in großen Immobilien üblich ist; in den
       Fluren lassen sich darüber hinaus auch Fenster öffnen.“
       
       Bereits am 28. Februar sei die Einrichtung zudem mit einem strikten
       Besuchsverbot belegt worden, sagt er. Auch seien vor zwei Wochen die
       Reinigungsintervalle verdoppelt worden. „Oberflächen und Türklinken werden
       regelmäßig desinfiziert, und auf die erforderliche Handhygiene wird zudem
       ausdrücklich hingewiesen.“ Es gebe, so Schneider, überdies Aushänge vom
       Robert-Koch-Institut in zahlreichen Sprachen, die ausdrücklich für den
       Aushang in Flüchtlingseinrichtungen vorgesehen seien.
       
       Der Flüchtlingsrat fordert die Evakuierung der Einrichtung. „Es gibt freie
       Kapazitäten in Übergangswohnheimen und leerstehenden Containern“, sagt
       Oerter.„Wir befürchten, dass die EAE als nächstes dichtgemacht wird. Das
       wäre fatal.“ Es sei nicht auszuschließen, dass dort dann aufgrund der
       „unerträglichen Gesamtsituation“ Panik ausbricht.
       
       Ob die EAE dichtgemacht wird, sei eine Entscheidung des Ordnungsamts, sagt
       Schneider.Außerdem gebe es „keine freien Einrichtungen in Bremen, die sich
       für die Erstaufnahme eignen.“ Bremen habe sich von allen Einrichtungen
       getrennt, die für die Versorgung von Geflüchteten perspektivisch nicht
       mehr erforderlich gewesen seien. „Der Ausbruch der Pandemie gehört zu den
       Jahrhundertereignissen, dafür lässt sich eine ständige Vorsorge kaum
       treffen“, sagt er.
       
       ## Linke fordert Schließung
       
       Die Bremer Linke fordert indes ebenfalls die sofortige Schließung der EAE
       und die Verteilung der Menschen auf bessere Unterkünfte oder Hotels. „Auch
       für Bewohner*innen von Geflüchteten-Unterkünften muss soziale
       Distanzierung möglich sein“, sagt Anna Fischer, Sprecherin für Flucht und
       Migration im Linken-Landesvorstand. Es müsse die Möglichkeit geben, alles
       tun zu können, um sich zu schützen – „wie alle anderen Menschen auch.“
       
       Gerade aufgrund der Nicht-Absehbarkeit der Situation sei die Unterkunft zu
       schließen. Die „massiven Eingriffe in die Lebensumstände“, die in der EAE
       ohnehin schon „mehr als grenzwertig sind“, so Fischer, seien, auf einen
       längeren Zeitraum gesehen, unzumutbar. „Eine Schließung der Erstaufnahme
       ist rechtlich und faktisch nicht möglich“, heißt es dazu aus der
       Sozialbehörde.
       
       20 Mar 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Kindeswohlgefaehrdung-in-Bremen/!5653928
   DIR [2] https://www.fluechtlingsrat-bremen.de
   DIR [3] /Gesundheitssystem-in-der-Corona-Krise/!5672466
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alina Götz
       
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