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       # taz.de -- Geheimdienste in Russland: Tschekist als Traumberuf
       
       > Eine Anstellung beim FSB halten immer mehr Russen für einen Glücksfall.
       > Zu dem positiven Image hat auch Präsident Wladimir Putin beigetragen.
       
   IMG Bild: „Glückwünsche zum Geburtstag, ihr Schlächter!“ Protestaktion vor dem Sitz des Geheimdienstes FSB am 20. Dezember 2017 in Moskau
       
       Moskau taz | Dürfte die ältere Generation über die Berufswahl des
       Nachwuchses entscheiden, würde sie der Jugend zu einer Karriere im
       Staatsdienst raten. Jedoch nicht irgendeiner, sondern einer Laufbahn beim
       Geheimdienst FSB, der Nachfolgeorganisation des sowjetischen KGB. Das ergab
       eine Umfrage des Moskauer Meinungsforschungsinstituts FOM im Januar. Fast
       die Hälfte aller Befragten erträumte sich für ihre Lieben ein Leben in den
       Rängen des Föderalen Sicherheitsdienstes (FSB).
       
       Die Attraktivität des Dienstes hat sich seit 2001 verdoppelt, ermittelte
       das russische Meinungsforschungsinstitut FOM im Januar. In 2000 war gerade
       Wladimir Putin, scheidender FSB-Chef, als russischer Präsident in den Kreml
       eingezogen.
       
       35 Prozent der Befragten hielten an der Jahrtausendwende einen FSB-Job für
       erstrebenswert. 34 Prozent begegneten damals dem Geheimdienst noch mit
       Bedenken. Nach 17 Jahren Putin-Ära sind die Vorbehalte fast verflogen. Nur
       noch zwölf Prozent hegen Zweifel. Stattdessen halten bereits zwei Drittel
       der Gesellschaft eine Anstellung im Geheimdienstorden für einen besonderen
       Glücksfall.
       
       69 Prozent halten die Arbeit der Behörde für prestigeträchtig. Noch mehr
       schätzt die junge Generation bis 30 Jahre mit 76 Prozent den Dienst.
       
       ## Gestählter Sportler
       
       Unbestritten, zur wachsenden Beliebtheit des Dienstes trug Wladimir Putin
       als gestählter Sportler und wachsamer Tschekist bei. Tscheka hieß der
       Geheimdienst nach der Oktoberrevolution. Als Berufsbezeichnung hat sich der
       „Tschekist“ für Spione innen wie außen bis heute erhalten.
       
       Das Prestige förderte nicht zu Letzt auch die Propaganda vermeintlicher
       Bedrohung aus dem Westen. Der Dauerbeschuss aus den TV-Röhren verwandelte
       Russland in eine belagerte Festung, die sich gegen übermächtige Feinde
       meint zur Wehr setzen zu müssen.
       
       Auch der Kampf gegen islamistischen Terror – etwas realer als die
       virtuellen Fantasien westlicher Bedrohung – fördert die positive Sicht auf
       die Sicherheitsorgane. Nachteil indes, die Gefahr, dass sich der
       Geheimdienst ins Privatleben einmischen könnte, wird nur noch als
       zweitrangig betrachtet, meint Grigorij Kertman vom FOM.
       
       Darüber hinaus zeichnen auch Unmengen von Filmen und TV-Serien ein
       heroisches Bild vom Komitee für Staatssicherheit samt den
       Vorgängerorganisationen Tscheka und NKWD. Aufopferungsbereite Patrioten
       überlagern allmählich das Image des Dienstes als Repressionsinstanz.
       
       ## Sozialer Aufstieg
       
       Ebenfalls nicht zu unterschätzen: Die Biographien von Wladimir Putin und
       KGB-Mitstreitern laden zur Nachahmung ein. Sie stehen noch für eine Zeit,
       in der die Mitarbeit in den „Strukturen“ gesellschaftlichen Aufstieg
       bedeutete.
       
       Wladimir Putin stammte aus ärmlichen Verhältnissen und war nur ein
       durchschnittlicher Schüler. Gelegentlich räumt er das freimütig ein. „Er
       hat es geschafft, warum sollten wir es nicht hinkriegen“, sagen sich
       Jugendliche. Die „Organe“ boten damals soziale Aufstiegsmöglichkeiten.
       Diese sozialen Lifte sind inzwischen überfüllt.
       
       In der Auseinandersetzung um die Führungsrolle in Staat und Gesellschaft
       stach der FSB alle anderen staatlichen Agenturen aus. Inzwischen
       präsentiert er sich als gesamtgesellschaftlicher Kontrolleur, der alles im
       Griff hat. Weder Beamte noch Geschäftsleute seien Herren ihrer selbst,
       meint der Politologe Nikolai Petrow im Wirtschaftsblatt Wedomosti.
       
       Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in den 1990ern träumten junge Leute
       davon, binesmeny – Geschäftsmänner zu werden. Himbeerrote Jacketts waren
       die Einheitskleidung jener ruchlosen Glücksritter. Zwischendurch sorgte
       auch mal für Verstörung, dass junge Frauen Liebesdienste auf Valutabasis
       als Berufswunsch nannten.
       
       ## Garantierte Nebeneinnahmen
       
       Das änderte sich jedoch mit Wladimir Putin in den Nullerjahren. Seither
       galt eine Stelle im Staatsdienst, der garantierte Nebeneinnahmen sicherte,
       als erstrebenswert. Deren Anwärter stiegen auch zu den begehrtesten
       Bräutigamen auf.
       
       „Hat jemand noch Illusionen über die Zukunft Russlands?“ fragt ein
       Wedomosti-Leser. Niemand möchte heute noch Kosmonaut oder Wissenschaftler,
       ja nicht einmal Geschäftsmann oder Bandit werden. Nein, KGBler! klagt der
       Beobachter. „Was bedeutet Freiheit und Wachstum eigentlich für Euch? Ihr
       wollt den Sieg der Repression…“
       
       Die Hälfte der von FOM Befragten wünscht den Kindern einen FSB-Job.
       Schwarzer Humor der Sowjetzeit brachte es schon auf den Punkt: die eine
       Hälfte sitzt, die andere bewacht.
       
       9 Feb 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Klaus-Helge Donath
       
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