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       # taz.de -- Generalstreik in Nigeria: Wer arbeitet, soll essen können
       
       > Nach zwei Tagen Generalstreik willigt Nigerias Regierung in Verhandlungen
       > mit den Gewerkschaften ein. Die fordern einen 16-fach höheren
       > Mindestlohn.
       
   IMG Bild: Gewerkschaftsprotest in Nigeria gegen die hohen Lebenserhaltungskosten im Februar
       
       Abuja taz | Als sei der Verlust des Status der größten Volkswirschaft
       Afrikas und das Abrutschen auf den vierten Platz hinter Südafrika, Ägypten
       und Algerien nicht genug, steckt Nigeria jetzt auch in einem Dauerkonflikt
       zwischen Regierung und Gewerkschaften. Ein Generalstreik für höhere
       Mindestlöhne und niedrigere Strompreise hat am Montag und Dienstag das
       210-Millionen-Einwohner-Land weitgehend lahmgelegt und erhöht den Druck auf
       [1][Präsident Bola Tinubu] ein Jahr nach seiner Amtseinführung.
       
       Zu der unbefristeten Arbeitsniederlegung seit Montag riefen die
       Gewerkschaftsdachverbände [2][NLC (Nigeria Labour Congress)] und [3][TUC
       (Trade Union Congress)] aus. Die meisten staatlichen Einrichtungen blieben
       geschlossen, die Energieversorgung und der Flugverkehr brachen zusammen.
       Damit wurden auch andere Branchen mit hineingezogen, auch weil manche
       Angestellte in der Privatwirtschaft sich dem Generalstreik anschlossen.
       Auch das Gesundheitswesen war betroffen.
       
       Der Stromversorger TCN (Transmission Company of Nigeria) stellte
       landesweite Stromausfälle fest. Die beiden größten Flughäfen Nigerias, der
       Nnamdi Azikiwe International Airport in der Hauptstadt Abuja und der
       Murtala Muhammed International Airport in der Wirtschaftsmetropole Lagos,
       wurden von Streikenden blockiert, was zu Flugausfällen führte.
       
       In einem der ohnehin unsichersten Länder Afrikas sorgt all dies für
       zusätzliche Probleme. „Wir rechnen mit Zusammenstößen zwischen
       Protestierenden und Sicherheitskräften, falls es zu Demonstrationen kommt,
       auf denen Anweisungen der Polizei ignoriert werden“, sagt eine Quelle im
       Sicherheitsapparat.
       
       ## Tägliche Treffen für Verhandlungen
       
       Es gibt zwei Gründe für die Streikwelle. Zum einen hat die Regierung eine
       300-Prozent-Erhöhung des Strompreises auf 225 Naira (13,8 Cent) pro
       Kilowattstunde gebilligt. Zum anderen verlangen die Gewerkschaften eine
       deutliche Anhebung des gesetzlichen monatlichen Mindestlohns von derzeit
       30.000 Naira (rund 18 Euro) auf mindestens 500.000 Naira (über 300 Euro).
       
       Die Regierung hat 60.000 Naira (rund 37 Euro) angeboten und auch einen
       höheren Betrag in Aussicht gestellt, ohne diesen zu benennen. Dies liege
       „im nationalen Interesse“, hieß es in einer Regierungserklärung. Es werde
       ab jetzt „für die kommende Woche tägliche Treffen geben, um einen
       akzeptablen landesweiten Mindestlohn zu erreichen“. Präsident Tinubu wies
       das Finanzministerium an, neue Zahlen vorzulegen.
       
       In Erwartung eines verbesserten Angebots verkündeten die
       Gewerkschaftsverbände am Dienstag abend die Aussetzung des Generalstreiks
       für eine Woche. Derweil führen Mohammed Idris, Minister für Information und
       Nationale Orientierung, und Nkeiruka Onyejeocha, Staatsminister für Arbeit,
       die Regierungsdelegation bei Gesprächen mit den Gewerkschaftsdachverbänden
       an. Diese werden von NLC-Präsident Joe Aljaero und TUC-Präsident Festus
       Osifo geführt.
       
       ## Afrikas stärkste Gewerkschaftsbewegung
       
       Eine Erfüllung der Gewerkschaftsforderungen wäre nicht einfach. Nigeria
       steckt in einer Wirtschaftskrise, die Staatseinnahmen befinden sich im
       freien Fall. Nach den jüngsten Quartalsdaten der Zentralbank verringerten
       sich die auf Bundesebene eingenommenen Staatseinnahmen von 4,1 Billionen
       Naira (2,5 Milliarden Euro) im dritten Quartal 2023 auf 2,6 Billionen (1,6
       Milliarden Euro) im vierten Quartal. Der [4][Staatshaushalt für 2024] sieht
       insgesamt wieder deutlich höhere Staatseinnahmen in Höhe von 18,3 Billionen
       Naira (11,2 Milliarden Euro) vor, von denen rund zwei Drittel vom
       Zentralstaat erwirtschaftet werden; die Staatsausgaben für dieses Jahr sind
       mit 27,5 Billionen Naira angesetzt.
       
       Der starke Verfall der Landeswährung in den letzten Monaten lässt die
       staatlichen Haushaltszahlen in Euro oder US-Dollar umgerechnet deutlich
       niedriger aussehen, als sie geplant waren – aber er steigert die Inflation,
       lässt die Kaufkraft erodieren und erschwert die Finanzierung des
       Haushaltsdefizits. „Wir rechnen mit einem höheren Druck auf den
       Staatshaushalt durch höhere Gehälter und steigende Kreditausgaben“,
       prognostiziert der Finanzanalyst Tunde Abidoye, Equity Research Analyst at
       FBN Capital.
       
       Nigeria hat eine der stärksten Gewerkschaftsbewegungen Afrikas. Da viele
       Menschen aber nicht in der formalen Wirtschaft arbeiten, vertreten die
       Gewerkschaften nur Teile der Bevölkerung, vor allem im Staatsdienst, im
       Ölsektor und in den großen Verkehrsgesellschaften. Der Mindestlohn ist aber
       gesetzlich verbindlich.
       
       5 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Neuer-Praesident-fuer-Nigeria/!5937104
   DIR [2] https://www.nlcng.org/
   DIR [3] https://tucnigeria.org.ng/
   DIR [4] https://budgit.org/post_infographics/2024-proposed-budget-framework/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Emeka Okonkwo
       
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