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       # taz.de -- Genossenschaft im Fußball: Grüßt euch, Genossen!
       
       > Schalke 04 will eine Genossenschaft werden, genauso wie der FC St. Pauli.
       > Denn Investoren sind unerwünscht, das Geld aber knapp. Ist das der
       > Ausweg?
       
   IMG Bild: Potenzielle Genossen, hier auswärts gegen den 1. FC Kaiserslautern im Januar 2024
       
       Alle paar Tage wird eine neue Episode des königsblauen Dramas erzählt. Die
       reflexhafte Neigung zur Hysterie ist beim [1][FC Schalke 04] zu einer Art
       Dauerzustand geworden. Wenn sich der Abstand zu den Abstiegsplätzen
       verringert, oder wenn die jungen Spieler, die der neue Sportdirektor geholt
       hat, nicht sofort zu Helden werden. Wenn Verteidiger X im falschen Moment
       über den Ball tritt, wenn mal wieder der Trainer gewechselt wird, und wenn
       es ums Geld geht sowieso.
       
       Die schöne Alliteration „Schalker Schuldenklub“ ist älter als der
       Bundesligaverein RasenBallsport Leipzig. Logisch, dass auch das neuste
       Vorhaben der Klubführung erst mal für Hysterie sorgt. Die Schalker wollen
       ähnlich wie der FC St. Pauli Teile ihres Stadions in eine Genossenschaft
       auslagern, um Geld einzunehmen. Der „Verein geht auf Betteltour“, behauptet
       die Bild, und die WAZ fragt: „Ist die finanzielle Lage nun so prekär, dass
       Schalke über einen Arena-Verkauf nachdenkt?“
       
       Dabei ist so eine Genossenschaft gerade für eingetragene Vereine wie
       Schalke und St. Pauli, deren Mitglieder die Ausgliederung der
       Profiabteilung ablehnen, hochinteressant. Sagt zumindest Oke Göttlich, der
       Präsident des FC St. Pauli. In Hamburg ist das Projekt schon deutlich
       weiter fortgeschritten als in Gelsenkirchen, noch in diesem Jahr sollen
       erste Genossenschaftsanteile erworben werden können. „Alle gängigen Modelle
       der Geldbeschaffung passen nicht zu uns, unser Ziel ist es, eine
       Alternative zu bieten“, sagt Göttlich. Beim FC St. Pauli ist es auf Wunsch
       der Mitglieder nicht möglich, den Stadionnamen zu vermarkten, Investoren
       sind unerwünscht, und eine Ausgliederung ist tabu. „Der Wunsch unserer
       Mitglieder ist ein unabhängiger und gestaltbarer FC St. Pauli“, meint der
       Präsident.
       
       Doch in der Realität sind auch die Idealisten vom Hamburger
       Millerntor-Stadion Wettbewerber im scheinbar grenzenlosen Kommerzbetrieb
       Fußball. Sie brauchen Geld, weil in Infrastruktur investiert werden muss.
       Weil alte Schulden die Budgets durch Zins und Tilgungszahlungen belasten.
       Weil Investoren Millionensummen in die ausgegliederten Profiabteilungen der
       Konkurrenten pumpen. Die Frage lautet also: „Wie lässt sich eine größere
       Summe einsammeln, während zugleich unsere Ansprüche an das Gemeinwohl
       erfüllt werden? Und wie können die Leute auch davon profitieren, wenn es
       funktioniert?“, sagt Göttlich.
       
       ## Engagieren, mitbestimmen, Rendite!
       
       In Hamburg beschäftigen sich die Beteiligten seit fast zehn Jahren mit den
       Vor- und Nachteilen einer Genossenschaft, die Suche nach alternativen Wegen
       in der Welt des ausufernden Fußballkapitalismus ist Teil der Klub-DNA. „Ein
       anderer Fußball ist möglich“, lautet ein Slogan des Klubs, nun sieht die
       bislang einzigartige Alternative so aus: Über Anteile an der
       Stadion-Genossenschaft, die wohl für etwa 850 Euro verkauft werden, sollen
       rund 30 Millionen Euro eingenommen werden.
       
       So sollen die Restschuld von 15 Millionen Euro aus dem Stadionbau getilgt
       und neue Investitionen in die Infrastruktur möglich werden. Die
       Genossenschaftsmitglieder können im Gegenzug auf eine kleine Rendite
       hoffen, sie können sich engagieren, mitbestimmen und Verantwortung
       übernehmen. In der Stadtgesellschaft wird das Projekt bislang eher mit
       Wohlwollen begleitet, auch weil während der vergangenen Jahre Vertrauen in
       die Klubführung entstanden ist und weil alle sehen, wie sich der HSV seit
       Jahren mit seinem Investor Klaus-Michael Kühne herumplagt.
       
       Ganz anders auf Schalke, wo umstrittene Geldbeschaffungsmaßnahmen eine
       gewisse Tradition haben. Die Anleihe bei dem Finanzmakler Stephen Schechter
       sorgte in den nuller Jahren für Schlagzeilen, eine Landesbürgschaft wirft
       die Frage auf, ob der eigentlich reiche Fußball wirklich so ein
       öffentliches Förderinstrument nutzen sollte, und der gruselige Deal mit
       Gazprom endete erst nach 13 Jahren mit dem Überfall Russlands auf die
       Ukraine. Vielleicht muss man verstehen, dass es dem Schalker Umfeld
       schwerfällt der Klubführung jetzt zu vertrauen. Wobei Genossenschaften
       eigentlich keinen Schrecken verbreiten.
       
       Seit 160 Jahren gibt es das Konzept, das sich in ganz unterschiedlichen
       Wirtschaftsbereichen als tauglich erwiesen hat: in der Landwirtschaft, im
       Banken- und im Energie-Sektor, beim Wohnungsbau. Überall dort, wo es
       sinnvoll ist, die Interessen und den Einfluss der unmittelbar Beteiligten
       zu stärken, statt Macht in die Hände externer Geldgeber zu legen, denen es
       in der Regel auch um die Privatisierung von Gewinnen geht.
       
       ## Ganz ohne dubiose Instanzen
       
       Im Fußball ist eine Genossenschaft ein Partnerunternehmen, das mit einer
       klug ausgearbeiteten Satzung auch unmittelbar mit dem Wertekanon des Klubs
       verbunden sein kann. Mit einer Genossenschaft lassen sich die Schwächen
       kompensieren, die so ein eingetragener Verein gegenüber den ausgelagerten
       Profiabteilungen der meisten anderen Bundesligaklubs hat, heißt es auf
       Schalke.
       
       Es ist geradezu rätselhaft, warum es bis ins Jahr 2024 gedauert hat, bis
       das System, in dem die Biotope der eingetragenen Vereine mit Investoren,
       Staaten und Großkonzernen konkurrieren, die Genossenschaft als
       Alternativmodell erkannt hat. In einer Fußballwelt, in der es immer
       schwieriger wird, sich dem durch Milliardensummen erkauften Einfluss
       dubioser Instanzen zu widersetzen, erregt das Genossenschaftsmodell des FC
       St. Pauli so viel Aufmerksamkeit, dass sogar die New York Times ausführlich
       über das Projekt berichtet hat. „Wir versuchen, ein richtigeres Leben im
       falschen möglich zu machen. Das ist für mich etwas, wofür der Verein ganz
       klar steht“, s[2][agt Miriam Wolframm aus dem Vorstand des FC St. Pauli im
       September in einem Interview mit der taz], hinter der ja auch eine
       Genossenschaft steht.
       
       Im Fußball sollen sowohl auf Schalke als auch am Millerntor
       Governance-Regeln dafür sorgen, dass die Genossenschaft keine
       Entscheidungen treffen kann, die den Leitlinien des Muttervereins
       widersprechen. So könnte beispielsweise unterbunden werden, dass eine
       Gruppe BVB-Ultras Anteile an der Schalker Genossenschaft erwirbt, um dann
       zu fordern, das Dach der Arena schwarz-gelb anzustreichen. Auch der
       Einstieg von moralisch zweifelhaften Unternehmen oder Staaten lässt sich
       durch Veto-Rechte unterbinden. „Es ist gut für den Fußball, wenn zwei
       Vereine wie St. Pauli und Schalke das gleichzeitig machen, wir können da
       einen neuen Weg gehen und ein Stück weit auch Vorreiter sein“, sagt
       Schalkes Vorstandschef Matthias Tillmann im Deutschlandfunk.
       
       Der Verdacht, dass die Schalker ihr Stadion verscherbeln, um die Liquidität
       im laufenden Betrieb zu sichern, sei falsch, versichert der Schalker
       Klubchef. Vielmehr sollen die Einnahmen dazu verwendet werden, Schulden
       abzubauen, die als bleierne Altlast auf dem Klub liegen. Derzeit stehen
       Finanzverbindlichkeiten von rund 160 Millionen Euro in den Bilanzen. Das
       hat zur Folge, dass in jedem Jahr 16 Millionen Euro an Zins und Tilgung
       fällig werden, dieses Geld muss erst mal verdient werden, bevor auch nur
       ein Euro für das Projekt Wiederaufstieg zur Verfügung steht. Gerade in der
       zweiten Liga, wo mancher Konkurrent mit 16 Millionen Euro ihre ganze
       Mannschaft finanziert, ist das ein massiver Wettbewerbsnachteil.
       
       ## Anteile? Zeig deinen Mitgliedsausweis!
       
       Allerdings sollen die Anteile an der Schalker Stadiongenossenschaft
       günstiger sein als in Hamburg, und es gibt auch die Einschränkung, dass
       neben Unternehmen nur Mitglieder des eingetragenen Vereins einsteigen
       können. Bei einer Ausgliederung der Profiabteilung aus dem eingetragenen
       Verein und dem anschließenden Verkauf von Anteilen – ein Konzept, mit dem
       Dortmund, Stuttgart oder der FC Bayern Millioneneinnahmen generiert haben –
       „hat man andere im Verein, die mitbestimmen“, sagt Tillmann, im Konstrukt
       mit der Genossenschaft soll alles in Schalker Hand bleiben.
       
       Wenn den Schalkern die auch juristisch komplexe Herausforderung dieses
       Vorhabens glückt, könnte dieser Schritt irgendwann als Gamechanger gelten.
       Schließlich sind gerade im Ruhrgebiet Solidarmodelle traditionell genauso
       verwurzelt wie die Skepsis gegenüber Unternehmern, denen es zuallererst
       darum geht, Geld zu verdienen, bevor sie irgendwann an die Folgen für die
       Menschen denken. „Was einer nicht schafft, schaffen viele zusammen. Das ist
       ein Weg, der sehr gut zu Schalke passt“, sagt Tillmann, der auf der
       Mitgliederversammlung Mitte November für das Projekt werben und weitere
       Details bekannt geben wird.
       
       Zur Wahrheit gehört aber auch, dass mit solchen unter großen Anstrengungen
       und mit viel Aufwand erwirtschafteten Mitteln einer Genossenschaft niemals
       die Ungleichheit kompensiert werden kann, die durch Teilnahmen an
       internationalen Wettbewerben entstehen. So nahm selbst selbst der eher
       kleine Klub SC Freiburg während seiner beiden jüngsten
       Europa-League-Teilnahmen über 20 Millionen Euro ein.
       
       Genossenschaftsprojekte sind außerdem mit Kommunikations- und
       Verwaltungsaufwand sowie mit jährlichen Versammlungen verbunden – für die
       Klubs ist das herausfordernder als die Zahlung eines Investors, der im
       Gegenzug vielleicht einen Platz im Aufsichtsrat erhält. Aber gerade in
       Deutschland, wo die Deutsche Fußball-Liga und die aktiven Fanszenen für die
       Ideale hinter der 50+1-Regel kämpfen, könnten die Projekte der Schalker und
       der Hamburger viele Nachahmer finden. Und im besten Fall könnten sich die
       Debatten über Genossenschaften im Fußball auch in anderen
       gesellschaftlichen Bereichen auswirken.
       
       Schön fände es Göttlich, wenn das Thema durch den Fußball grundsätzlich
       wieder stärker in den Fokus öffentlicher Debatten rückt. Als
       kontrastierende Ergänzung zu den Privatisierungsdynamiken, zum
       Social-Entrepeneurship und zur Start-up-Kultur. „Genossenschaften haben
       viel zum Wohlstand Deutschlands beigetragen“, sagt Göttlich. „Das Konzept,
       durch diese Form des Eigentums mitzugestalten, Verantwortung zu übernehmen
       und als Teil einer Gemeinschaft zu profitieren“, sei viel besser als sein
       etwas angestaubter Ruf.
       
       31 Oct 2024
       
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