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       # taz.de -- Genug gefremdelt mit Polizei und Militär: Linke, an die Waffen!
       
       > Es ist ein strategischer Fehler, dass so wenige Linke zur Polizei oder
       > zum Militär gehen. Damit geben sie ein Machtmittel aus der Hand.
       
   IMG Bild: Spiegelbild der Gesellschaft: Nicht ganz – Linke sind unterrepräsentiert
       
       Hamburg taz | Die 68er haben der Linken ein paradoxes Erbe hinterlassen:
       zum einen eine misstrauische bis feindselige Einstellung zur Polizei und
       zum Militär, zum anderen die Aufforderung zum Marsch durch die
       Institutionen. Letzterer hat im Großen und Ganzen funktioniert: Der
       ehemalige „konsequente [1][Marxist“ Gerhard Schröder] aus Bad Salzuflen
       marschierte durch bis ins Kanzleramt, flankiert vom ehemaligen Bremer
       Maoisten Jürgen Trittin als Umweltminister und dem ehemaligen
       Straßenkämpfer Joschka Fischer als Außenminister.
       
       In der Polizei oder der Bundeswehr hat ein ähnlicher Durchmarsch nicht
       stattgefunden. Die [2][aktuellste Studie] zur Bundeswehr, eine
       Studentenbefragung des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr
       von 2007, bescheinigt dem Offiziersnachwuchs ein „mehrheitlich
       liberal-konservativ geprägtes politisches Weltbild, das den Unionsparteien
       am nächsten steht“. Von Grünen und Linken sehen sie sich mehrheitlich nicht
       vertreten – aber noch weniger von rechtsradikalen Parteien.
       
       Auch bei der Polizei macht Rafael Behr von der [3][Hamburger Akademie der
       Polizei] eine „wertkonservative Grundströmung“ aus. „Wenn man SPD wählt,
       ist man schon links“, sagt der Professor. Der Marsch durch die Institution
       habe schon deshalb nicht stattfinden können, weil er an einer akademische
       Vorbildung geknüpft sei, die Polizei ihren Nachwuchs aber bis zur Führung
       selbst heranbilde. Schon eine Gruppe wie Polizeigrün, die den Grünen
       nahesteht, sticht hier deutlich heraus.
       
       Linksradikale tun sich schwer mit den Sicherheitskräften, weil sie in ihnen
       die Verteidiger einer als unbefriedigend bis skandalös empfundenen
       herrschenden Ordnung sehen. Die Polizei – wegen der quasi alltäglichen
       Konfrontation noch viel mehr als die Bundeswehr – fungiert als Feindbild
       für die linksradikale Szene. Sie ist das Symbol der Staatsmacht, gegen das
       man mobilisieren, an dem man sich abarbeiten und profilieren kann.
       
       ## Kolossale Verwechslung
       
       Die Frage ist: Braucht es dieses Feindbild oder sitzen Linksradikale damit
       nicht einer kolossalen Verwechslung auf? Sie nehmen das Symbol für die
       Ausbeutungsverhältnisse selbst. Der Akteur, mit dessen Hilfe sich am
       ehesten etwas daran ändern lässt, ist aber der Staat, dessen Machtmittel
       man folgerichtigerweise in die Hand bekommen muss.
       
       Es reicht nicht, sich über rechtsextreme Tendenzen in den
       Sicherheitskräften aufzuregen, wie sie in jüngerer Zeit vermehrt auffällig
       geworden sind; stattdessen wäre es an der Zeit, linke und linksradikale
       Positionen dort zur Geltung zu bringen. Motto: Lasst unsere Polizisten und
       Soldaten nicht mit den Rechtsextremisten allein!
       
       Eine Präsenz von Linken in den Sicherheitskräften hätte eine Reihe von
       augenfälligen Vorteilen: Wer dort mitmischt, erfährt, wie so ein
       Machtapparat funktioniert und wie seine Instrumente gehandhabt werden. Er
       kann selbst Macht ausüben, das Klima verändern, auf Missstände hinweisen,
       den Preppern ein bisschen auf die Finger schauen und für die eigene
       Wehrhaftigkeit sorgen – wer weiß, ob die nicht doch mal gefragt ist. Auch
       Subversion ist denkbar.
       
       Dabei hat die Linke ja nicht per se ein Problem mit hierarchischen
       Strukturen, wie marxistische Kaderorganisationen zeigen oder der erwähnte
       Marsch in die staatlichen Institutionen. Auch der Gewalt ist sie per se
       nicht abgeneigt. Das belegt ihre Faszination für Guerillabewegungen und den
       bewaffneten Kampf.
       
       ## Veraltetes Feindbild
       
       Natürlich hat ein Feind, auf den sich draufhauen lässt, Vorteile. Ein klar
       konturiertes Gegenüber schließt die eigenen Reihen, erzeugt ein Gefühl der
       Solidarität und das Draufhauen schafft öffentliche Aufmerksamkeit. Diese
       Strategie kann allerdings leicht nach hinten losgehen: Dann, wenn ein
       Großteil der Adressaten – des Volks, das man ja für sich gewinnen will –
       verunsichert und abgeschreckt wird. Beim [4][G20-Gipfel] reichte die
       Verunsicherung bis in die linke Szene, als die Krawalle im szenigen
       Schanzenviertel überhand nahmen.
       
       Dazu kommt, dass das Feindbild veraltet ist: Es gibt zwar (neue) Nazis bei
       den Sicherheitskräften, aber anders als 68 sind diese nicht mit (alten)
       Nazis und dem entsprechenden Denken durchsetzt. Vielen Polizisten und
       Soldaten gehen Dinge gegen den Strich, die auch Themen der Linken sind:
       dass sie sich die Mieten nicht mehr leisten können, dass der Staat von
       multinationalen Unternehmen und Banken um Steuern geprellt wird, dass die
       Gesellschaft auseinanderdriftet.
       
       Unterm Strich könnte es lohnender sein, sich Polizei und Militär zu
       Verbündeten zu machen beim Kampf für eine solidarischere, gerechtere und
       nachhaltigere Welt – statt unnötigerweise zum Feind.
       
       Mehr zum Thema lesen Sie in der Nordausgabe der taz am wochenende oder
       [5][hier]
       
       15 Jan 2021
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Kevin-Kuehnert-in-der-Kritik/!5588702
   DIR [2] https://opus4.kobv.de/opus4-zmsbw/frontdoor/deliver/index/docId/139/file/08174407.pdf
   DIR [3] https://akademie-der-polizei.hamburg.de/
   DIR [4] /Nach-Krawallen-in-Hamburg/!5496122
   DIR [5] /e-kiosk/!114771/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gernot Knödler
       
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