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       # taz.de -- Gescheiterter Klima-Volksentscheid: Es gibt noch sehr viel zu tun
       
       > Auch wenn solche Kritik zuletzt fast als anrüchig galt: Es gab gute
       > Argumente gegen ein „Ja“ beim Volksentscheid.
       
   IMG Bild: Rauchen sollen auch die Köpfe beim Nachdenken übers Klima – ein Kurzschluss bringt aber nichts
       
       Eine Woche ist seit dem gescheiterten Volksentscheid „Berlin 2030
       klimaneutral“ vergangen. In den Kreisen der BefürworterInnen wurden derweil
       Wunden geleckt, Narrative neu justiert und Parolen zum Weiterkämpfen
       ausgegeben. Ein interessantes Phänomen war dabei auch im taz-Kosmos zu
       beobachten: Wer sich in den Wochen und Tagen rund um die Abstimmung als
       SkeptikerIn outete, wurde von manchen fast schon als KlimaleugnerIn
       behandelt und mit spitzen Fingern angefasst. Dabei gab es genügend Gründe,
       nicht für das vorgelegte Gesetz zu stimmen.
       
       Zunächst einmal zum [1][Framing des Ergebnisses], das die InitiatorInnen
       des Volksentscheids betreiben: Das Quorum sei nicht zustande gekommen, weil
       die Abstimmung nicht zusammen mit der Wahl am 12. Februar habe stattfinden
       dürfen. Das ist mehr als fraglich. Zwar hätte in diesem Fall das Quorum
       keine Rolle gespielt, es wäre aber auf die Verteilung der „Ja“- und
       „Nein“-Stimmen angekommen. Und es ist keine gewagte These zu behaupten,
       dass das „Nein“ gewonnen hätte.
       
       Nur zur Erinnerung: Am 12. Februar gab es einen konservativen Backlash, und
       allein die Stimmen für CDU, FDP und AfD – alle mit höchster
       Wahrscheinlichkeit keine „Ja“-Stimmen – beliefen sich auf rund 42 Prozent.
       Für die fehlenden 8 Prozentpunkte hätten Kreise in der SPD und der Linken,
       sicherlich aber auch bei den Grünen locker gesorgt. Auch wenn die Trennung
       der Termine keine gute Entscheidung für die direkte Demokratie war, bekam
       der Klimaentscheid höchstwahrscheinlich erst durch sie seine Chance.
       
       Aber hat Berlin mit dem Sieg bei den abgegeben Stimmen „ein Zeichen um die
       Welt gesendet“? So lautete ein weitere Interpretation der Initiative. Auch
       das ist mehr als fraglich – nicht nur, weil die Mehrheit für das
       2030-Gesetz hauchdünn war, sondern weil jenseits der Stadtgrenzen oder gar
       im Ausland wirklich niemand mit der Lupe hinschaut. Verloren ist verloren,
       erst umgekehrt wird leider ein Schuh draus. Es ist zu befürchten, dass die
       nun ausgesandte Botschaft lautet: Sooo wichtig ist Klimaschutz den Menschen
       auch wieder nicht.
       
       Hätten schon deswegen alle, denen Klimaschutz am Herzen liegt, die aber
       dieses Gesetz nicht für sinnvoll hielten, gegen ihre Überzeugung mit „Ja“
       stimmen sollen? Das kann es nun auch nicht sein. Schon gar nicht hätten sie
       es tun sollen, um „Schwarz-Rot damit ultimativ zu ärgern“, eine Ansicht,
       die zuletzt auch nicht ganz unpopulär war. Für solche Spielchen ist das
       Thema dann doch zu ernst.
       
       ## Ein Gesetz mit der Brechstange
       
       Dass es mit einer Zustimmung am 26. März doch eigentlich „nichts zu
       verlieren“ gegeben hätte, wie es auch oft hieß, das stimmt einfach nicht.
       Auf dem Spiel stand nicht zuletzt die Seriosität der Klimabewegung: Weil
       ein Brechstangengesetz wie das nun abgelehnte im schlimmsten Fall jede
       Menge Verwaltungschaos und soziale Verwerfungen produziert, Berlin aber am
       Ende trotzdem böse die tiefergelegte CO2-Latte gerissen hätte.
       
       Wie Bernd Hirschl, einer der Autoren der [2][Studie „Berlin paris-konform
       machen“], [3][im taz-Interview erläutert], hätte beispielsweise ein
       „Scharfstellen“ der neuen Klimaziele eine hausgemachte Inflation
       provozieren können: Weil es auf Jahre hinweg zu wenig Fachkräfte gibt, die
       Wärmepumpen einbauen, Häuser dämmen und Solaranlagen installieren, aber
       auch Radwege planen oder Fernwärmeleitungen verlegen können, ja weil es
       noch nicht einmal ausreichend Materialien und Geräte gibt, wären die Preise
       für solche und verwandte Dienstleistungen explodiert – und der ganze
       Prozess hätte sich prompt festgefahren.
       
       Dass es nicht einfach schnell-schnell gehen kann, nur weil es vermeintlich
       schnell-schnell gehen muss, zeigt Hirschl auch am Beispiel der notwendigen
       Wärmewende. Sinn machen in der Fläche eigentlich nur die hocheffizienten
       Bodenwärmepumpen, aber diese in Berlin einzusetzen, kollidiert erst mal mit
       dem Grundwasserschutz. Wer hier zu sehr aufs Tempo drückt, riskiert
       entweder massive Umweltschäden oder aber (indem man auf die weniger
       effizienten Luft-Wärmepumpen setzt) ein Wärmesystem, das um Längen mehr
       Strom frisst als nötig. Letzterer muss im Übrigen zu wachsenden Teilen
       importiert werden, weshalb Berlin seine CO2-Bilanzen gar nicht allein in
       der Hand hat.
       
       ## Der Druck auf die Politik muss bleiben
       
       Aber vielleicht ist es nach einer oder zwei Wochen dann auch genug mit dem
       gegenseitigen Aufrechnen. Der Druck auf die Politik muss sehr hoch bleiben,
       und das geht nun mal besser, wenn er nicht ständig an Ultimaten und
       hyperambitionierte Ziele geknüpft wird. So erfreulich es wäre, wenn das
       kleine Berlin schon in ein paar Jahren klimaneutral wäre und der Welt als
       Leuchtfeuer der Nachhaltigkeit den Weg wiese.
       
       Wobei, aufgepasst: Im engeren Sinne „klimaneutral“ wäre Berlin 2030 auch
       bei Erfolg und Umsetzung des Volksgesetzes keineswegs gewesen. Nicht weil
       es da immer noch den zähen 5 Prozent-Rest gibt, sondern weil der
       Klima-Fußabdruck der BerlinerInnen bei Weitem nicht nur vor Ort erzeugt
       wird. Unser Waren- und Lebensmittelkonsum – vom argentinischen Steak bis
       hin zum Lithium für die E-Bus-Batterie – erzeugt einen riesigen Batzen an
       klimaschädlichen Emissionen, nur eben anderswo. Wie man sieht, gibt es noch
       viel, sehr viel zu tun.
       
       1 Apr 2023
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://klimaneustart.berlin/blog/51-prozent-stimmen-fuer-klima-volksentscheid/
   DIR [2] https://www.berlin.de/sen/uvk/klimaschutz/klimaschutzpolitik-in-berlin/berlin-paris-konform/
   DIR [3] /Nach-dem-Berliner-Klima-Volksentscheid/!5921463
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Claudius Prößer
       
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