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       # taz.de -- Geschichte der Popkultur: Tanzende Karlsquell-Dosen
       
       > Das Osnabrücker Museum Industriekultur und das Tuchmacher Museum in
       > Bramsche zeigen 60 Jahre Musik und Modegeschichte in einer Ausstellung.
       
   IMG Bild: Bis vor kurzem noch als verlängerter Disco-Eingang in Betrieb: der Bus der "Kleinen Freiheit".
       
       BREMEN taz | Das erinnert alles stark an das Rock’n’Pop-Museum in Gronau:
       Klamotten, Konzertplakate, Gitarren, Verstärker, Musicboxen, Fotos,
       Zeitungsartikel, Filme, Hörstationen. Aber die Doppelausstellung „The Beat
       Goes On“ hat den Vorteil, lokal angelegt zu sein. Und das erst macht sie
       spannend, denn Osnabrück mit seinen 160.000 EinwohnerInnen ist Terra
       incognita, die ländliche Gegend drumrum sowieso. Das hier ist nicht die
       Wiege von Weltstars, und genau das macht die Ausstellung greifbarer als das
       Gronauer Museum, das Markenzeichen berühmter und internationaler Größen aus
       der Welt der Popmusik und Jugendkultur wie Trophäen sammelt.
       
       „Wir wollten die Ausstellung ganz bewusst als Teil der Osnabrücker
       Kulturgeschichte anlegen“, sagt Harald Keller, Kurator von „The Beat Goes
       On – Der Sound“ im [1][Museum für Industriekultur], dem größeren der beiden
       Ausstellungs-Teile. Die Vorarbeit dazu haben Keller und sein Mitstreiter
       Reiner Wolf, der „The Beat Goes On – Der Style“ im [2][Tuchmacher-Museum]
       der benachbarten Gemeinde Bramsche konzipiert hat, in Form ihres Buchs
       bereits vor knapp zwei Jahren vorgelegt: „Hyde Park Memories – Ein
       Osnabrücker Musikclub und seine Geschichte“.
       
       Das und auch ihre „Hyde-Park-Multimedia-Revues“ – abendfüllende Shows mit
       Lesung, Musik, Filmvorführung und Vortrag – waren jedoch nichts für
       Menschen, die diese legendäre Diskothek und Konzerthalle nicht erlebt
       haben. Anfang der 1980er Jahre war sie Schauplatz von Straßenschlachten,
       über die die Tagesschau und die Bild berichteten. Hier tobten sich die
       Punks aus. Heute ist der Hyde Park ein Tanzschuppen wie viele andere.
       
       Natürlich ist er Bestandteil der Ausstellung, für die man aber nicht
       verhaftet sein muss in den lokalen Auswüchsen der Jugendkultur. Ein
       bisschen Orientierung in Osnabrück schadet freilich nicht – zumindest macht
       es mehr Spaß, wenn man die aus heutiger Sicht piefigen Räume der
       „Blumenhalle“ kennt, in denen in den 1950ern und 1960ern wilde Jazz und
       Beat-Jamborees veranstaltet wurden, oder wenn man vor Augen hat, wo einmal
       der Ocambo Club war, nämlich am Haarmannsbrunnen, wo es heute Osnabrücks
       einziges China-Restaurant gibt, das auch Pommes auf der Speisekarte hat.
       
       Aber so ist das ja immer, wenn Lokalgeschichte gezeigt wird. Und dass der
       Ocambo Club Deutschlands erste Diskothek war und nicht, wie
       fälschlicherweise behauptet, der Scotch-Club in Aachen, das ist auch für
       die Unkundigen interessant. Diese Aachener Jockey-Tanz-Bar eröffnete
       nämlich erst im Oktober 1959, der Ocambo Club schon ein halbes Jahr früher.
       Und Osnabrücks erstes Fanzine, Boris Karloffs Skalp, ist ohnehin bis heute
       weit über die Landkreisgrenzen bekannt.
       
       Oder Udo Lindenberg: Ein Foto zeigt einen kurzhaarigen und hutlosen
       Milchbubi als Schlagzeuger einer Jazzband Ende der 1950er Jahre. Damals
       stand er in Osnabrück auf der Bühne und wurde in der Lokalpresse gelobt:
       „Die ,Old-Time Jazzband-Gronau‘ brachte mit ihrem 12-jährigen Schlagzeuger
       Udo ,Matz‘ Lindenberg eine echte Attraktion mit. Sein fleißiges Spiel,
       seine geschickt eingeflochtenen Breaks riefen immer wieder anerkennendes
       Schmunzeln im Parkett hervor.“
       
       Überhaupt: In der Osnabrücker Live-Musik-Szene dominierten in den 1950er
       Jahren Jazz-Bands, an jeder Straßenecke und in jedem Club wurde Jazz
       gespielt. Anders war’s beim Rock’n’Roll: Der wurde höchstens von
       „Halbstarken“ veranstaltet, die sich auf dem Jahrmarkt trafen und denen das
       Osnabrücker Tageblatt „unzüchtige Handlungen“ vorwarf. 800 Jugendliche
       demonstrierten damals gegen die Schließung der „Raupe“, die wegen
       verbotener Knutschereien von der Polizei angeordnet worden war.
       
       Erst der Beat brachte wieder lokale Bands hervor. „Wie Pilze schossen die
       aus dem Boden“, erzählt Harald Keller: The Lord, The Dynamites, The
       Heartbeats, The Javellins – und mit ihnen verwandelten sich die Jazz-Clubs
       in Beat-Clubs. Die Halle Gartlage, heute noch immer Konzerthalle, der Club
       99, der Beat-Band-Club Gondel in der Gaststätte Wellmann in Lotte und
       natürlich das Haus der Jugend, damals wie heute das einzige Jugendzentrum
       mitten in der Stadt.
       
       Dort wurde zum „Jugendtanz“ geladen, dort fanden bereits 1965 lokale
       Band-Contests statt und dort war die Heimat des Jugendtanzorchesters, der
       ersten Tanz-Big-Band Osnabrücks. Die tritt noch heute auf, immer noch vor
       vollem Haus und gern mit jungen GastmusikerInnen der aktuellen Musikszene.
       
       Sechzig Jahre Jugendkultur zeigt die Ausstellung. „Sie ist ganz bewusst
       nicht nostalgisch eingefärbt“, sagt Keller. Das gelingt, indem der
       Gegenwart ebenso viel Platz eingeräumt wird wie den Anfängen, der Zeit der
       Folk-Festivals, dem Punk, den autonomen Jugendzentren oder der Entstehung
       von Großraumdiskotheken. Nicht ohne Grund empfängt die BesucherInnen
       bereits vorm Industriemuseum der Bus, der noch bis vor anderthalb Jahren
       der verlängerte Eingang des Clubs „Kleine Freiheit“ am alten Güterbahnhof
       war.
       
       Den Club gibt’s noch, der Bus musste auf Weisung des neuen
       Gelände-Eigentümers weg – der Anfang eines Konflikts, der für Aufbegehren
       bis hinein ins Rathaus sorgt: Eigentümer des Güterbahnhof-Areals, auf dem
       sich neben der Kleinen Freiheit weitere Clubs, Ateliers und
       Band-Probe-Räume befinden, ist die Zion GmbH, Teil einer freikirchlichen
       Gemeinde, die dort für „Ordnung“ sorgen will und deren Geschäftsführer vor
       wenigen Wochen öffentlich Homosexualität als Sünde bezeichnete – die taz
       berichtete.
       
       Der zweite Teil der Ausstellung ist im Tuchmacher Museum perfekt
       angesiedelt, denn er behandelt den Aspekt der Kleidung in der Jugendkultur
       – aber: Musik ist das Kernthema beider Ausstellungen. Das kann auch gar
       nicht anders funktionieren, denn sie ist und bleibt wichtigster Bestandteil
       jugendlicher oder besser popkultureller Identifikation, und wird als
       Bekenntnis nach außen getragen, je nach Szene mit Hoodies, Turnschuhen,
       Springerstiefeln oder Doc Martens, Patchwork-Hosen, engen, weiten oder
       karottigen Jeans, Hawaii-Hemden oder Miniröcken, „Turbojugend“-Westen oder
       Lederjacken. Auch die Lederjacke, die Erich Honecker einst von Udo
       Lindenberg geschenkt bekommen hat, ist zu sehen. „Original-Klamotten von
       Leuten aus der Region zu bekommen, vor allem aus den 50er und 60er Jahren,
       das war schon eine Herausforderung“, sagt Kurator Reiner Wolf.
       
       Die Hosen des Osnabrücker Künstlers Monke bilden eine Ausnahme von all den
       identitätsstiftenden Plünnen, die teils Jugendmode-Massenware, teils
       Kleinode sind. Neben einer bodenlangen, aus hunderten von Aufnähern
       zusammengehaltenen Kutte sind sie die interessantesten Exponate der
       „Style“-Ausstellung, denn sie transportieren das Gegenteil, nämlich die
       Weigerung, einer auch nur irgendwie definierbaren „Szene“ zugeordnet zu
       werden. Selbst genäht und bemalt mit Schweinekopf, Gehirn, Darm-Gewinden
       und allerlei anderen Innereien, versehen mit einem kleinen Motor und einem
       LED-Lauflicht oder mit langen, fingerähnlichen Silikon-Noppen, sind sie in
       ihrer Einzigartigkeit heute genauso spektakulär wie vor über fünfundzwanzig
       Jahren. Und wer Monke, der sagt, er sei damals „einfach irgendwie sauer“
       gewesen, zu jener Zeit gekannt oder auch nur erlebt hat, der erinnert sich
       mit Begeisterung daran, wie er, scheinbar ohne Grund, in seiner Lampen-Hose
       den elektrischen Reiter gemimt und sich schreiend auf den Boden geworfen
       hat.
       
       Übrigens gibt’s auch im Industriemuseum einen Monke aus den 1980er Jahren
       zu sehen: zwei Karlsquell-Bier-Dosen tanzen da in einer Art Aquarium
       umeinander. Titel des Werks: „The Beat Goes On“.
       
       The Beat Goes On – Der Sound: bis 6. 10., Museum Industriekultur Osnabrück 
       
       The Beat Goes On – Der Style: bis 8. 9., Tuchmacher-Museum Bramsche
       
       24 Jun 2013
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.industriekultur-museumos.de/
   DIR [2] http://www.tuchmachermuseum.de/index.php
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Simone Schnase
       
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